• 28.06.2007 12:51

Rennsportnation Frankreich: Bonjour Tristesse

Hintergrund: Frankreichs beste Tage in der Formel 1 liegen lange zurück, auch wenn Jean Alesi versucht, neue Talente an die Spitze zu führen

(Motorsport-Total.com) - Frankreichs beste Tage in der Formel 1 liegen lange zurück: Der letzte Grand-Prix-Sieg eines Franzosen datiert aus dem Jahr 1996, der letzte Titelgewinn ist gar noch drei Jahre älter. Im Moment ist sitzt kein einziger französischer Fahrer in einem Cockpit. Und bald könnte es auch um den Grand Prix von Frankreich geschehen sein. Eine Analyse unserer Kollegen vom emagazine der Credit Suisse.

Titel-Bild zur News: Magny-Cours

In Frankreich herrscht seit Jahren Tristesse, was Erfolg in der Formel 1 angeht

Wenn die Formel 1 streng nach dem Geschichtsbuch leben würde, dann wäre Frankreich in der automobilen Königsklasse immer noch eine Grande Nation. Von der Tradition allein lebt es sich aber schlecht im schnelllebigen Sport: Beim Großen Preis an diesem Wochenende ist kein französischer Pilot am Start - und das Rennen selbst wird wohl zum letzten Mal in Magny-Cours ausgetragen. Grande Catastrophe.#w1#

Frankreich hat den Grand-Prix-Sport erfunden

Was hat Frankreich nicht alles für diesen Sport getan? Nicht die Briten, auch wenn sie es so gern hätten, sind die Erfinder der Autorennen - das waren vor 113 Jahren die Franzosen. Auch den Begriff "Grand Prix" haben sie eingebürgert, die erste Auflage fand 1906 in Le Mans statt. Der Große Preis von Frankreich zählt seit Einführung der Formel-1-Weltmeisterschaft im Jahr 1950 zum festen Bestandteil des Rennkalenders, die letzten 16 Jahre immer in Magny-Cours.

Belgische Kühe

Außer Kühen hat die Gegend um Magny-Cours nicht viel zu bieten Zoom

Das Rennen in der westlichen Bourgogne mag nicht so recht in den glamourösen Rennzirkus passen. Ländlich ist es zwar auch am Nürburgring oder in Silverstone, aber für die Beteiligten und die Zuschauer ist die Anreise dorthin vergleichsweise einfacher. Die Gegend um Nevers, die verkehrstechnisch ein Niemandsland ist, bietet außer dem Idyll wenig Attraktives. Genau deshalb hatte die Landesregierung Anfang der 1990er-Jahre auch beschlossen, im Rahmen der Förderung strukturschwacher Gebiete die bereits 1961 eröffnete Piste komplett zu renovieren. Was damals neue Maßstäbe im Rennstreckenbau setzte, gilt mangels Weiterentwicklung heute als von gestern.

Mangelnde Infrastruktur, mangelndes Interesse, mangelnde Erfolgsaussichten - ein fataler Dreikang, zumal Bernie Ecclestone ohnehin noch nie als Freund von Magny-Cours galt. Unter Hinweis auf die dürftigen Standards drohte er deshalb, im kommenden Jahr erstmals auf die Austragung des Klassikers zu verzichten. Da kann Éric Barbaroux, der Chef des französischen Motorsportverbandes FFSA, noch so lange auf einen bis 2011 gültigen Kontrakt für Magny-Cours verweisen. In den Verträgen mit den Veranstaltern gibt es stets eine Ausstiegsklausel, in der "das Ansehen des Rennens" gewährleistet sein muss. Ob die auf die Schnelle eingerichteten Privatschleichwege für Teams und Journalisten die Formel-1-Gäste (und vor allem Ecclestone) noch einmal davon abbringen können, "au revoir" zu sagen?

Eine Gnadenfrist könnte dann gewährt werden, wenn nicht innerhalb der nächsten beiden Jahre eine Alternative im Land gefunden wird. Eccclestone schwebt Paris vor. Da ein Stadtrennen in einer Weltstadt nicht so ohne weiteres zu stemmen ist, hat er ebenso attraktive Alternativen ganz in der Nähe der Metropole ins Spiel gebracht: Rund um das Schloss von Versailles beispielsweise, oder rund um den Disneyland-Komplex. Letztendlich hängt es an der Finanzierung, und Magny-Cours ist auch in dieser Hinsicht nicht erste Wahl, obwohl der Veranstalter vorrechnet, dass sein Budget von 20 Millionen Euro im Jahr 2006 dank 84.000 Besuchern am Renntag ausgeglichen war. Ein Geschäft für die Region, aber nicht für die Formel 1. Ecclestone hat seine wirtschaftliche Liebesaffäre bereits gestanden: "Für mich wäre ein Grand Prix in Paris ein seit Jahren gehegter Traum." Bislang liegt noch keine offizielle Meldung für einen französischen Grand Prix im Rennjahr 2008 vor. Lediglich einmal, 1955 nach der Katastrophe bei den 24 Stunden von Le Mans, war das Traditionsrennen nicht ausgetragen worden.

Nur Montagny mit einem Formel-1-Vertrag

Personell ist Frankreich, jedenfalls was die Piloten angeht, in diesem Jahr schon nicht mehr vertreten. Am nächsten kommt der Berufsbezeichnung Formel-1-Fahrer derzeit noch Franck Montagny, der nach seiner Ausbildung beim Renault-Rennstall im Vorjahr in Magny-Cours ein Gastspiel bei Super Aguri gab und seit dieser Saison Testfahrer bei Toyota ist. Dass er als Attraktion für Magny-Cours kurzfristig den umstrittenen Ralf Schumacher ablösen würde, war aber nur ein Wunschtraum.

Jean Alesi

Jean Alesi setzt sich für die Förderung von französischen Talenten ein Zoom

Es ist eine paradoxe Situation: Der französische Motorsportverband gehört zu den rührigsten, wenn es um die Ausbildung des Nachwuchses geht, aber den Sprung in die Königsklasse (geschweige denn an die Spitze) hat schon länger keiner mehr geschafft. Olivier Panis war der letzte der 67 Formel-1-Franzosen, der einen Grand Prix gewinnen konnte - 1996 in Monte Carlo. Alain Prost war der einzige Weltmeister, den Frankreich hervorbringen konnte. Und Jean Alesi sicher der populärste Pilot der Neuzeit.

Im Hauptberuf Winzer, kümmert sich der ehemalige Sauber-Pilot an der französischen Motorsportakademie in Le Mans um erfolgreiche neue Fahrerjahrgänge. Die Rennfahrerschule wurde 1993 als La Filière gegründet und 2001 vom Verband übernommen. In diesem Jahr unternimmt sie als Auto Sport Academy einen Neustart. Sechs Hoffnungen hat Alesi versammelt, die in verschiedensten Klassen starten: Simon Pagenaud (ChampCar), Romain Grosjean (Formel-3-Euroserie), Loic Duval (Formel Nippon), Jean-Karl Vernay (Formel-3-Euroserie), Guillaume Moreau (Renault-World-Series) und Nelson Panciatici (Formel Renault). Die beiden profiliertesten französischen Piloten verdingen sich ohnehin im Ausland: Sébastien Bourdais hat mehrfach die Champ-Car-Serie in Nordamerika gewonnen, Alexandre Prémat ist in diesem Frühjahr in die DTM eingestiegen. Bourdais möchte aber unbedingt beweisen, dass er Formel-1-tauglich ist - er liebäugelt mit dem Toro-Rosso-Team. Ob das wirklich ein Hoffnungsschimmer ist, wird sich weisen.

Alesi hat erkannt, dass die frühere Taktik der Franzosen, Landsleute möglichst in einem Nationalteam unterzubringen - mit Rennstall, Motoren, Lieferanten aus der Heimat, falsch war: "Die Formel 1 ist ein Individualsport. Und ich versuche, jeden individuell weiterzubringen." Die nationale Konzentration gibt es ohnehin nicht mehr, die Pleite von Alain Prosts Equipe im Jahr 2002 war die letzte Warnung, dass die Formel 1 eine globalisierte Champions League ist. Bestes Beispiel ist das aktuelle Renault-Team: Die Triebwerke kommen zwar aus Viry-Chatillon, aber der Rennstall wird aus dem britischen Enstone von einem Italiener gesteuert. Und trotzdem heißt es dort: Allez les Bleus!