• 01.02.2012 16:54

  • von Dieter Rencken

Neale: "Es ist ein kurzer Winter gewesen"

McLaren-Geschäftsführer Jonathan Neale über die kurze Vorbereitungszeit auf die neue Saison, Personalwechsel und die Herausforderungen des Reglements

(Motorsport-Total.com) - Als erstes Top-Team hat McLaren am Mittwoch seinen Rennwagen für die kommende Saison vorgestellt. Geschäftsführer Jonathan Neale beschreibt im Interview die Herausforderungen, die durch die kurze Winterpause und die jüngsten Regeländerungen an das Team gestellt wurden. Darüber hinaus nimmt er zu den scheinbar vielen Personalwechseln bei McLaren Stellung.

Titel-Bild zur News: Jonathan Neale

Für McLaren-Geschäftsführer Jonathan Neale war es eine kurze Winterpause

Frage: "Jonathan, es muss schön sein, endlich mal wieder ans Tageslicht zu kommen. Du hattest dich wahrscheinlich seit dem Saisonende in Brasilien ununterbrochen im Keller des McLaren-Technology-Center eingesperrt, oder?"
Jonathan Neale: "Es fühlt sich jedenfalls so an, ja. Meine Kollegen und ich haben mit Lewis und Jenson darüber gesprochen, wie sie den Winter verbracht haben. Ihre Winter haben sich offenbar ganz anders angefühlt als die Zeit, die wir durchgemacht haben [lacht; Anm. d. Red.]. Es ist aber auch ein kurzer Winter für uns gewesen, für alle Formel-1-Teams. Wir haben durch die ausgedehnte Saison praktisch einen ganzen Monat verloren."

"Normalerweise ist die Arbeit Ende Oktober zu Ende und dann können wir mit unserem Entwicklungsprogramm beginnen. Jetzt waren wir plötzlich mit einem Monat weniger mit der selben Arbeit, mit der selben Komplexität, konfrontiert - und einer sehr kurzen Testphase. Testzeit ist wertvoll. Es wäre wunderbar, wenn wir in der Situation wären und ein paar Sekunden Vorsprung und somit etwas Spielraum hätten. Aber die Realität sieht so aus, dass in einer sehr kurzen Zeitspanne sehr viel Arbeit vor uns liegt."

Frage: "Bei den Teams wandern immer wieder Ingenieure ab und heuern bei der direkten Konkurrenz an. Welche Auswirkungen haben Abgänge von Mitarbeitern, besonders in der Entwicklungsabteilung?"
Neale: "Das muss man im richtigen Verhältnis sehen. Die meisten Entwicklungsabteilungen haben eine Personalfluktuation von zehn bis zwölf Prozent, das können meine Kollegen hier bestätigen. Das scheint die Norm in der Industrie zu sein. Bei uns betrug der Anteil der Personalwechsel in den vergangenen Jahren ungefähr fünf Prozent, glaube ich. Es ist natürlich nie gut, wenn man wichtige Leute verliert. Es gibt natürlich immer Fälle, bei denen woanders höhere Gehälter gezahlt werden, wo andere Teams talentierte Leute holen, die von uns kommen."

Lewis Hamilton, Jenson Button

Jenson Button (r.) und Lewis Hamilton kehren erholt aus der Winterpause zurück Zoom

"Martin [Whitmarsh, McLaren-Teamchef; Anm. d. Red.] hat durchaus Recht, wenn er sagt, dass es nicht überraschend ist, wenn andere bei uns nach Talenten Ausschau halten. Wir haben aber ein gutes System, um junge Ingenieure zu entwickeln und Talente zu fördern. Wir haben hier über 200 Ingenieure, Mathematiker und Wissenschaftler - aus 23 verschiedenen Nationen. Wir verlieren also etwa zwölf pro Jahr, was für manche eine Nachricht darstellt."

"Natürlich ist es interessant, wenn neue Leute zu unserer Organisation hinzustoßen. Wir profitieren ungemein von Sams Erfahrung [Sam Michael, ehemaliger Technischer Direktor bei Williams; Anm. d. Red.], so wie es auch schon bei einigen anderen Ingenieuren der Fall gewesen ist, die wir von anderen Teams verpflichtet haben. Es gibt aber keinen Aderlass an Fähigkeiten, oder so etwas. Ich bin zufrieden."

Frage: "Bist du überrascht, dass sich viele Ingenieure dazu entschlossen haben, nach Italien zu gehen?"
Neale: "Nicht, wenn man durch unsere Firma geht und die Latino-Fraktion hört, nein. Wir haben einige großartige spanische und italienische Leute. Ein Großteil unserer Konstruktionsabteilung ist italienisch. Ich weiß gar nicht genau, warum das so ist. Unsere Aerodynamik-Assistenten kommen zum Teil von Ferrari, Renault und Sauber. Sie sind alle Teil des Klubs, wenn man so will. Es ist aber auch echt wichtig zu erwähnen, dass rund die Hälfte unserer Neuzugänge in den vergangenen beiden Jahren nicht aus der Formel 1 kamen."

McLaren Heck

Besonders am Heck des Autos mussten sich die Ingenieure etwas einfallen lassen Zoom

"Wir haben ein paar Schwergewichte in unserer Organisation, die seit zehn, zwanzig Jahren in verschiedenen Teams im Formel-1-Geschäft tätig sind. Aber wir freuen uns genauso über einige unserer Hochschulabsolventen, die noch über keine Erfahrung in der Formel 1 verfügen. Wir sind gespannt, wie sehr diese nachrücken werden. Man sieht also, dass dort eine neue Generation heranwächst."

"Die Formel 1 bietet Ingenieuren und Wissenschaftlern nach wie vor wirklich aufregende Jobs an - unabhängig davon, aus welchen Bereich man kommt, zu welcher Industrie man gehört. Es ist ein großartiger Arbeitsplatz - und darauf sollten wir stolz sein."

Frage: "Bietet das aktuelle Regelwerk genug Spielraum für Innovationen oder schränken euch die derzeitigen Regeln zu stark ein?"
Neale: "Nein, ich finde nicht, dass sie uns zu sehr einschränken. Wenn man sich einen Zeitraum von zehn Jahren ansieht, dann ist es schon so, dass sich die Regelhüter dazu entschlossen haben, uns in eine immer engere Schablone zu pressen, je besser unsere Technologie und die Simulationsprogramme wurden. Wenn ich das mit unseren Innovationen und der Menge an Talent innerhalb unserer Firma vergleiche, erwecken wir nie den Anschein, dass unsere Ideen begrenzt seien."

Lewis Hamilton

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Lewis Hamilton auch aus dem Cockpit twittert Zoom

"Wenn man sich die Leistungsteile unserer Autos ansieht, sei es Motorleistung oder Abtrieb, und das auf die vergangenen 20 Jahre bezieht, erkennt man eine fast lineare Leistungssteigerung - nur unterbrochen von den diversen Regeländerungen. Das Problem besteht nicht darin, dass wir uns in irgendeiner Art und Weise eingebremst oder beschränkt fühlten. Die Herausforderung am Heck des Autos, der wir aufgrund der jüngsten Regeländerung gegenüberstehen, eröffnet neue Möglichkeiten, sich wieder gegenüber der Konkurrenz zu beweisen. Das hält uns bei der Stange."


Fotos: Präsentation des McLaren-Mercedes MP4-27


Frage: "Stichwort Fortschritt: Ihr habt inzwischen so viele Knöpfe am Lenkrad - könnt ihr mittlerweile von dort aus twittern?"
Neale: "Lewis kann das ganz sicher [lacht; Anm. d. Red.]."