McLaren-Duell um den Sieg: Norris hatte "Bilder von Max und Lewis im Kopf"

Daniel Ricciardo gewinnt das Rennen in Italien und das interne Duell gegen McLaren-Teamkollegen Lando Norris - Was es mit der indirekten Stallorder auf sich hat

(Motorsport-Total.com) - Neun Jahre musste McLaren auf einen Sieg in der Formel 1 warten, ehe Daniel Ricciardo und Lando Norris 2021 im Grand Prix von Italien in Monza die Durststrecke beenden: Der Australier gewinnt das Rennen vor dem Briten. Ausgerechnet der Neuling führt den ersten Doppelerfolg des britischen Traditionsteams seit elf Jahren (Kanada 2010) an, der Brite begnügt sich mit Position zwei.

Titel-Bild zur News: Lando Norris, Daniel Ricciardo

Daniel Ricciardo gewinnt in Monza vor Lando Norris Zoom

"Das wurde auch Zeit", strahlt Ricciardo nach seinem ersten Rennsieg seit Monaco 2018. Schon seit Freitag befand er sich im "Berserker"-Modus. Den Grundstein für den Erfolg legte er bereits im Sprint, denn er konnte sich auf den dritten Platz verbessern und am Start im Hauptrennen die Führung direkt übernehmen.

Teamkollege Norris hingegen musste sich zunächst lange Zeit gegen Lewis Hamilton verteidigen, bevor sich McLaren nach dem Crash des Champions mit Max Verstappen und der anschließenden Safety-Car-Phase auf den Rängen eins und drei wiederfand. In Runde 31 ging Norris an Charles Leclerc vorbei und machte die Doppelführung in Orange perfekt.

Runde 41: "Wäre es das Beste, wenn ich bleibe, wo ich bin?"

"Da liegt noch ein langes Rennen vor uns. Wir haben noch alle Chancen. Also lass uns clever sein", funkte das Team an den Briten. Ab jenem Zeitpunkt stellte sich im Grand Prix nur noch eine Frage: Welcher McLaren-Pilot erlöst das Team und gewinnt sensationell in Monza?

Würde sich der 21-Jährige in seiner dritten Saison beim Traditionsteam die Lorbeeren für die harte Aufbauarbeit der vergangenen Jahre einheimsen und seinen allerersten Sieg in der Königsklasse sichern? Oder könnte doch der 32-jährige Routinier die Führung verteidigen und seinen insgesamt achten Triumph einfahren?

"Ich wusste schon am Freitag, dass an diesem Wochenende etwas möglich sein kann. Daher war ich auch so aufgedreht. Ich wollte diese Chance nicht verschwenden, da ich noch nicht wirklich viele hatte in dieser Saison und mich noch nicht oft in diese Position gebracht habe", schildert Ricciardo nach dem Rennen.


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Nach dem Ende der Safety-Car-Phase konnte er sich zunächst behaupten, allerdings machte der Brite von hinten Druck. In Runde 36 funkte Norris: "Ricciardo fährt zu langsam. Er muss schneller werden." In jenem Umlauf war er tatsächlich rund vier Zehntel schneller unterwegs und drückte den Rückstand auf 0,3 Sekunden.

Ricciardo wurde daraufhin aufgefordert: "Fahr so schnell du kannst." Daraufhin konterte der Australier mit einer persönlich schnellsten Rennrunde und wurde vom Kommandostand gelobt: "Gut so." Er hielt seinen Abstand zu Norris bei kontrollierten eineinhalb Sekunden.

Doch der Youngster wollte nicht kampflos aufgeben und fragte in Runde 41 höflich am Funk nach: "Wäre es das Beste für uns, wenn ich bleibe, wo ich bin?" Antwort: "Das wäre das Beste." Diese indirekte Stallregie von der Boxenmauer signalisierte ihm, er solle jeglichen Angriff auf Ricciardo unterlassen.

Norris fair und reif: "Daniel hat den Sieg heute verdient"

Und Norris wurde noch in Runde 46 versichert: "Daniel wurde gesagt, er solle sich absetzen." Das begrüßte Norris, der schließlich 1,7 Sekunden hinter seinem Teamkollegen die Ziellinie überquerte. Hat er in keinem Moment des Rennens überlegt, sich der Anweisung des Teams zu widersetzen?

"Nein, ich kam auf einer Runde mal näher heran und da hatte ich ein paar Bilder im Kopf vom Zwischenfall zwischen Max und Lewis. Ich habe [den Unfall] ziemlich gut im Rückspiegel gesehen. Als ich daran dachte, es zu versuchen, tauchten die Bilder in meinem Kopf auf", schildert Norris.

Da dachte er sich: "'Nah, vielleicht ist das doch nicht die klügste Entscheidung'. Ich hätte es gerne gemacht, aber ich freue mich genauso über die Plätze eins und zwei - so sehr ich auch gerne um den Sieg gekämpft hätte." Schließlich habe das Team Priorität, betont er.


F1: Grand Prix von Italien (Monza) 2021

Und er fügt reif hinzu: "Ich bin noch sehr viele Jahre hier, bei McLaren, daher denke ich, werde ich in Zukunft noch Möglichkeiten haben, um es zu versuchen. In diesem Moment war ich aber zufrieden damit, wo ich war." Mit Platz zwei konnte er sein bislang bestes Resultat in der Königsklasse einfahren, sein insgesamt fünftes Podium.

"Ob ich Zweiter, Dritter oder Erster bin - das Beste ist, dass wir Erster und Zweiter geworden sind für das Team und die maximalen Punkte gesammelt haben. Das ist so ein cooles Gefühl, Teil davon zu sein. Mir fehlen fast die Worte. Ich freue mich auch für mich selbst, wieder hier zu stehen."

Gleichzeitig gratuliert er aber auch sehr fair seinem Teamkollegen: "Ich bin sicher, viele denken, wir hatten bloß Glück heute, weil die anderen beiden gecrasht sind. Aber Daniel hat das Rennen von Beginn an angeführt, daher hat er das verdient."

Teamchef Seidl betont: "Beide hatten heute die gleiche Pace"

Dass seine persönliche Reise mit McLaren zu vier Podestplätzen in dieser Saison reichen würde, hätte er sich nicht erträumen lassen. "Das ist ziemlich irre, wenn man darüber nachdenkt. Das ist so ein cooles Gefühl. Ich freue mich für das Team und darüber, dass ich ein Teil davon bin", gibt er sich als fairer Verlierer.

Was ging McLaren-Teamchef Andreas Seidl durch den Kopf, als er die Nachfrage von Norris am Teamfunk gehört hat? Wäre es eine Möglichkeit gewesen, die Fahrer zu einem Zeitpunkt im Rennen zu tauschen? "Nein", betont er im 'ORF'-Interview.

Im Vorfeld des Rennens habe er gemeinsam mit beiden Fahrern besprochen, wie man eine solche Situation handhaben würde. "Wir haben im Vorfeld besprochen, dass wir die Informationen von unseren Fahrern brauchen, wie es aussieht mit der Pace. Ich glaube, beide Autos hatten heute die gleiche Pace."

Lando Norris, Zak Brown, Daniel Ricciardo

Norris, McLaren-CEO Zak Brown und Ricciardo feiern auf dem Podium Zoom

Daher habe Ricciardo seinen Abstand ebenso gemanagt wie Norris. Als der Brite angemerkt hatte, dass sein Teamkollege zu langsam fahre, habe man sofort reagiert und den Australier aufgefordert, wieder schneller zu werden.

"Das Wichtigste war, den Abstand zu den Autos dahinter zu kontrollieren, dass Lando den Windschatten hat von Daniel vorne und gleichzeitig aber genügend Abstand zum Auto dahinter. Dafür hat's die Kommunikation gebraucht, und das hat das Team und beide Fahrer super gemanagt."

Der Deutsche ist stolz auf seine Mannschaft, denn das Rennen haben seine beiden Piloten auch unabhängig vom Unfall zwischen Hamilton und Verstappen "sehr gut unter Kontrolle" gehabt, merkt er an. "Wir haben genau gewusst, wann wir Gas geben müssen und wann wir Reifen managen müssen."

Schumacher: "Vielleicht hätte Lando schneller fahren können"

Angesprochen auf eben jenen Funkverkehr und seine Rennpace gibt Ricciardo nach dem Rennen in der Pressekonferenz gar zu, dass er sich am Ende seines ersten Stints auf dem Medium-Reifen "ein wenig angreifbar" gefühlt habe.

Und: "Ich denke, es gab definitiv Runden, in denen ich zu langsam war. Dann habe ich wieder mehr Gas gegeben. Ich habe versucht, eine Balance zu finden. Ich hatte es aber im Griff", schmunzelt er. Den Eindruck, dass Teamkollege Norris zeitweise schneller gekonnt hätte, hatte auch 'Sky'-Experte Ralf Schumacher.

"Vielleicht hätte Lando sogar ein bisschen schneller fahren können, zumindest anhand des Boxenfunks. Er war nicht ganz so zufrieden, als er nachgefragt hat", merkt der Ex-Rennfahrer im Interview mit Teamchef Seidl an. Doch der Deutsche meint: "Ich glaube, dass es ein extrem kontrolliertes Rennen war von beiden Fahrern."


Fotos: McLaren, F1: Grand Prix von Italien (Monza) 2021


Ricciardo habe sich per Funk immer wieder erkundigt, ob er den Abstand zu Norris halten sollte, damit der Brite vom Windschatten profitieren kann im Kampf gegen Valtteri Bottas und Sergio Perez, merkt Seidl an. "Das war eine super Teamleistung heute, beide Autos haben super zusammengespielt."

Als Ricciardo schließlich nach dem Boxenstopp in Runde 22 und der Safety-Car-Phase danach wieder als Führender rauskam, habe er gewusst, dass er den Sieg nur noch verlieren könne. "Da wusste ich, dass wir [den Sieg] in der Tasche haben - außer etwas Unglückliches passiert. Ansonsten könnten wir das Rennen tatsächlich gewinnen."