Lauda: Vettel zwischen Pazifismus und Killerinstinkt

Niki Lauda erklärt, warum Sebastian Vettel dieses Jahr viel stärker ist und ihn bald überholen wird und zeigt sich von dessen menschlicher Gratwanderung fasziniert

(Motorsport-Total.com) - Erst ein Blick auf Mark Webbers Saison 2011 zeigt, wie stark Sebastian Vettel diese Saison wirklich war: Nur einmal stand der Weltmeister als Vierter nicht auf dem Podest, neun von 15 Grand Prix beendete er als Sieger. Der "Aussie" triumphierte nie, selbst ohne Vettel hätte er bloß zwei Rennen gewonnen. "Sebastian hat das ganze Jahr über gegen die anderen Fahrer und Autos eine derartige Top-Performance gebracht. Man kann im dazu nur gratulieren", zieht Formel-1-Legende Niki Lauda gegenüber 'ServusTV' die Kappe vor Vettel.

Titel-Bild zur News: Sebastian Vettel und Niki Lauda

Niki Lauda schätzt das sympathische Naturell Sebastian Vettels

Noch im Vorjahr hatte Webber, der übrigens von Niki Lauda Ende 2002 zu Jaguar und damit zum Red-Bull-Vorgängerteam geholt wurde, seinem jungen Teamkollegen das Leben so richtig schwer gemacht. Wie ist die Leistungsexplosion Vettels zu begründen? Der Österreicher - selbst dreifacher Formel-1-Champion - hat eine Theorie: "Der erste Titel ist der schwierigste. Man fängt mit dem Go-Kart an und benötigt acht bis zehn Jahre, bis man es in die Formel 1 geschafft hat. Dann dauert es noch ein paar Jahre, bis man Weltmeister wird."

Weiter Weg zum ersten Titel

Für Lauda beginnt der Weg zum ersten Formel-1-WM-Titel tatsächlich in der Kindheit, wenn die Motorsport-Karriere seinen Lauf nimmt: "Der Kampf um die erste Weltmeisterschaft ist ein längerer und wesentlich schwierigerer. Der zweite kommt einfacher und man hat die Erfahrung der ersten Weltmeisterschaft hinter sich, man weiß, was auf einen zukommt."

"Wenn du gewinnen willst, dann musst du brutaler und egoistischer sein, schneller ins Ziel kommen wollen." Niki Lauda

Doch damit will Lauda nicht sagen, dass der zweite WM-Titel emotionell nicht gleichwertig wäre. "Und dass Sebastian ein sehr emotioneller Mensch ist, wissen wir mittlerweile - durch seine Schreiereien, die er nach dem Sieg im Cockpit vollführt", so der nunmehrige Fluglinien-Besitzer, der sich über die Tränen des Deutschen auf dem Siegerpodest in Monza wunderte.

"Wahrscheinlich hat er sich über sein Überhol-Manöver an Alonso in der Wiese nachher erst geschreckt", sagt er. "Es war für mich jedenfalls interessant zu beobachten, weil er mit seinen jungen Jahren ein irrsinnig emotioneller Typ ist. Das merkt man auch bei den Interviews und bei seiner Ausdrucksweise - und das macht ihn ja so sympathisch."

Wie egoistisch ist Vettel?

Lauda sieht das Verhalten des Red-Bull-Piloten teils als widersprüchlich an. Einerseits nimmt er den 24-Jährigen als "extrem sympathischen, jungen Mann" wahr, "der keiner Fliege was zu leide tun würde. So kommt er rüber, das ist sein Naturell." Andererseits weiß er, dass Erfolg in der Königsklasse des Motorsports nur über eine ausgefeilte Ellbogentechnik möglich ist.

"Wenn du gewinnen willst, dann musst du brutaler und egoistischer sein, schneller ins Ziel kommen wollen - also all das, was Menschen, die nicht im Spitzensport sind, unsympathisch finden", glaubt Lauda - und gibt offen zu: "Ich werde auch öfter von meiner Frau als Egoist bezeichnet, ich würde aber sagen, ich bin ein sympathischer Egoist."

Der Formel-1-Experte glaubt, dass auch Vettel diesen Killerinstinkt besitzt und verweist auf das Manöver des Titelverteidigers nach dem Start gegen den von hinten heranstürmenden McLaren-Piloten Jenson Button. Vettel habe "all das, was man als normaler Mensch nicht haben sollte, nämlich genau das, was er auch am Start gemacht hat, wie er sein Auto fährt, wie er sein Team fordert, wie er egoistisch schnell zum Ziel kommt. Das ist die tolle Kombination an ihm."

Warum Lauda wusste, dass Vettel nicht bestraft wird

Dass Vettel trotz Buttons Aufforderung an Rennleiter Charlie Whiting, den Gegner zu bestrafen, ungeschoren davonkam, wundert Lauda nicht. Als er am Vorabend des Rennens mit Whiting und Blash zusammengesessen hatte, tauchte plötzlich sein alter Weggefährte Allan Jones auf, der als Rennkommissar fungierte. Aufgrund des Naturells des Australiers war sich Lauda nach Vettels Manöver "ganz sicher, dass das nach ein paar Runden erledigt sein würde".

"Jones ist ein alter Haudegen. Er sieht das wie ein Rennfahrer der alten Garde." Niki Lauda

"Jones ist ein alter Haudegen. Er sieht das wie ein Rennfahrer der alten Garde", spielt Lauda auf die Zeiten an, als raue Manöver in der Formel 1 noch zur Tagesordnung gehörten. Jones interessiere sich auch nicht für die modernen Hilfsmittel, die den Rennkommissaren zur Verfügung stehen. "Er hat sich beschwert, dass ihm die anderen Stewards immer Rundenzeiten und Ausdrucke zeigen, was die Fahrer am Funk sagen. Er hat gesagt, dass ihn das alles nicht interessiert." Lauda findet aber, dass die Entscheidung, Vettel nicht zu bestrafen in Ordung geht: "Einmal darf man die Spur wechseln, also überhaupt kein Problem."

Vettel macht Lauda bald Konkurrenz

Lauda ist klar, dass der Heppenheimer seiner eigenen Erfolgsbilanz bald Konkurrenz macht. "Wenn ich richtig rechne, habe ich jetzt zwei Titel und der Niki drei", leitet Vettel gegenüber 'ServusTV' mit Augenzwinkern eine Kampfansage gegen den Österreicher ein. "Also - Niki, nimm dich in Acht, ich komme. Und wenn es klappt, dann packe ich dich auch noch. Schauen wir mal."

Lauda reagiert gelassen: "Da mach ich mir überhaupt keine Sorgen." Die Formel-1-Legende rechnet damit, dass der vom Red-Bull-Piloten in der ewigen Bestenliste bald überholt wird. "Und wenn er so weitermacht, dann macht er's gleich nächstes Jahr."