• 28.10.2011 19:04

  • von Pit Lane

Kolumne: Die andere Seite von Indien

Erinnerungen aus seiner Zeit am indischen Bau: Kolumnist Pit Lane erinnert sich an ein Indien, wie es die Formel 1 nicht zu Gesicht bekommt...

Titel-Bild zur News: Armut auf den Straßen von Delhi

Die Armut der Menschen in Indien kann man sich hierzulande kaum vorstellen

Liebe Freunde von Curry und Lassi,

Indien ist für uns Engländer ja eine alte Kolonie. Als ich jung war, hatte ich einmal das große "Vergnügen", für mehrere Monate dort zu arbeiten. Es hatte mit Motorsport überhaupt nichts zu tun, es handelte sich vielmehr um eine große Baustelle zur Verbesserung der Infrastruktur. Und wie es mit solchen Bauvorhaben halt immer ist, finden diese dort statt, wo Infrastruktur nötig ist: in der Pampa. Genauer gesagt mitten in der Pampa.

Meine Baustelle war also in der Provinz Gujarat, nahe der Stadt Bharuch. Das liegt knapp 1.000 Kilometer nördlich von Bombay, heute Mumbai. Nach Neu-Delhi sind es noch einmal etwa 2.000 Kilometer in Richtung Nordwesten. Indien ist groß, sehr groß. Und es ist voller Menschen, die jeden Tag ums Überleben kämpfen, weil sie wenig bis nichts zu Essen haben. Wir Europäer können uns die Armut auf dem Land nicht vorstellen. Man kann es auch nicht wirklich beschreiben.

Überall nur Menschen

Schon wenn du im Bombay (sorry, ich meine natürlich Mumbai) landest, dann riechst du, dass du nicht mehr zu Hause bist. Es ist ein wahrer Moloch mit jeder Menge Smog und Menschen, Menschen, Menschen und noch einmal Menschen. Wir hatten zum Transport auf die Baustelle normalerweise einen Privatflieger, aber wehe, wenn der streikte. Dann warst du zwei lange Tage unterwegs. Kurz hinter Mumbai hört die Straße auf, eine Straße zu sein. Der Rest ist Schweigen...

Pit Lane

Die Lage der vielen armen Menschen in Indien stimmt mich nachdenklich Zoom

Auf einer großen Baustelle wie der unseren arbeiten in Spitzenzeiten knapp 2.000 Menschen. In Indien waren es fast 10.000. Als der Bau in vollem Gange war, hat man uns über Nacht immer wieder die Bagger und die Baumaschinen kaputt gemacht. Der Grund war nicht, dass man uns boykottieren wollte. Nein, jeder Bagger hat hunderten von Menschen einen Arbeitsplatz weggenommen. Das wollten sie nicht.

Mörderische Hitze

Die Männer waren mit Schaufeln und Pickeln ausgestattet, die Frauen haben den Bauschutt auf großen Körben und auf dem Kopf weggetragen. Ich muss wahrscheinlich nicht erwähnen, welche Blutshitze da in den Sommermonaten herrscht. Uns Europäer hätte es nach ein oder zwei Stunden einfach umgebeamt, aber wir hatten in unserem Camp ja eine Klimaanlage. Wehe, wenn die einmal ausfiel.

Ich werde es nie vergessen: Selbst schwangere Frauen haben den Erdaushub der Baustelle in diesen großen Körben weggetragen. Es waren hunderte, nein eher tausende. Eines Tages ging eine dieser schwangeren Frauen mit ein paar ihrer Bekannten hinter ein Gebäude, brachte dort ein Kind zur Welt und ging wieder arbeiten. Wir wurden natürlich herbeigerufen - und ich kann euch versichern: Ich habe das neugeborene Baby mit meinen eigenen Augen gesehen.


Fotos: Impressionen: Leben in Delhi


Plötzlich waren wir Bösewichter

Natürlich sagten wir der Frau via Dolmetscher, dass sie nun nicht mehr arbeiten kann. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was dann los war! Die ganze Menschenmenge wollte auf uns losgehen, denn die Frau schrie lauthals, dass sie schließlich ihre Familie ernähren muss. Wir Bösewichter würden sie daran hindern, alle würden verhungern. Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich weiß nicht mehr, ob die Frau dann weiterarbeiten durfte oder nicht. Und ich bin gottfroh, dass ich das nicht zu entscheiden hatte.

Delhi

Die Qualität der Bauwerke in Delhi ist nicht von europäischem Standard Zoom

Ich habe seither einige Male in Indien wieder Urlaub gemacht. Dieses riesige Land hat wunderschöne Landstriche. Aber wehe, wenn du einmal von den Touristenrouten abweichst. Dann siehst du eine bittere Armut, wie ich sie noch nirgendwo anders beobachten konnte. Und nun fährt am Wochenende die Formel 1 in Indien. Das ist für mich immer noch nicht wirklich vorstellbar. Eine größere Diskrepanz zum Hightech-Reichtum der westlichen Welt kann es kaum geben.

Denkt drüber nach!


Pit Lane