• 22.12.2010 08:19

  • von Timo Glock

Glock-Kolumne: "Was ein Jahr ausmacht!"

Virgin-Pilot Timo Glock berichtet in seiner Kolumne von deutlich sichtbaren Fortschritten des Teams, dem neuen Teamkollegen und "Überholzwang"

Liebe Leser von 'Motorsport-Total.com',

Titel-Bild zur News: Timo Glock

Manche Regeländerungen für das kommende Jahr sehe ich skeptisch

während draußen viele Leute frieren, komme ich zurzeit heftig ins Schwitzen. Ich habe mein geliebtes Rennrad in der Wohnung auf die Rolle gestellt und trainiere jetzt fleißig bei Zimmertemperatur. Klar - ich würde viel lieber bei halbwegs gutem Wetter durch die schöne Landschaft radeln, aber so ist wenigstens der Weg zum Getränk und zur Dusche nicht ganz so weit.

Ich war jetzt kurz vor Weihnachten nochmal bei meinem Team Marussia Virgin Racing in Großbritannien. Bei meinem Besuch - inklusive Probefahrten in unserem Simulator - habe ich mir die Fortschritte für 2011 angeschaut und wichtiges Feedback gegeben. Ich muss ehrlich sagen, dass ich beeindruckt bin. Die gesamten Abläufe, die ganze Herangehensweise des Teams ist deutlich anders als vor einem Jahr.

Die vergangene Saison hat meine Mannschaft richtig stark vorangebracht. Die Abläufe sind alle viel routinierter. Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht, uns fallen dann viele Aufgaben natürlich auch tausendfach leichter als vor zwölf Monaten. Die ersten Eindrücke aus dem Simulator sind wirklich gut, aber wo wir im Vergleich zur Konkurrenz stehen, werden wir natürlich erst im Februar bei den Tests sehen.

Neuer Teamkollege, neues Auto, neue Fabrik

Neuerdings ist beim Team alles unter einem neuen Dach in Sheffield. Die gesamte Anlage sieht klasse aus. Aber ein schönes Auto und eine schöne Fabrik sind nicht so wichtig. Der Wagen muss letztlich schnell um die Ecken kommen - nur darauf kommt es an. Aber ich vertraue voll auf die Ideen unseres Technikchefs Nick Wirth. Der hat tolle Ansätze für 2011.

Timo Glock

Mein Physiotherapeut Axel und ich müssen derzeit in der Wohnung radeln Zoom

Nächstes Jahr wird nicht mehr Lucas di Grassi, sondern Jérôme d'Ambrosio mein Teamkollege sein. Eigentlich ist es mir nicht allzu wichtig, wer das zweite Auto fährt, aber dennoch freue ich mich auf die Zusammenarbeit. Jérôme hat bei seinen bisherigen Einsätzen gute Arbeit gemacht. Außerdem merkt man, dass er ein gutes technisches Verständnis hat. Vielleicht ist es das, was ihn besser macht als die vielen anderen Kandidaten.

Das neue Jahr bringt für die Formel 1 wieder einige Veränderungen. Es werden nicht nur neue Gesichter auftauchen, sondern auch im Reglement gibt es Anpassungen, die enorme Auswirkungen haben können. Zum Beispiel der verstellbare Heckflügel. Der wird wohl zum Überholen zwingen - unabhängig davon, ob ein Fahrer dazu unter normalen Bedingungen eigentlich in der Lage wäre oder nicht.

Für Zuschauer wird das nur schwierig zu verstehen sein, denke ich. Man darf das System im Training jederzeit verwenden, im Rennen nur dann, wenn man maximal eine Sekunde hinter dem Vordermann zurückliegt. Und der darf sich dann nicht einmal richtig wehren - seltsam. Mir wäre eine Lösung wie in den USA am liebsten. Ein System wie das Push-to-Pass, das du zehn oder 15 mal pro Rennen einsetzen darfst. Hast du deine Versuche aufgebraucht, dann hast du eben nichts mehr in der Hinterhand - ganz einfach.

Verstellbarer Heckflügel nicht beliebt

Die Frage ist auch noch, ob man den Heckflügel flach stellen und gleichzeitig KERS nutzen darf. Da wird es wohl Einschränkungen geben. Komplizierter geht es wirklich kaum noch. Bei mir persönlich wird sich allerdings das Spiel an den Lenkradknöpfen in Grenzen halten. Wir verzichten 2011 ganz bewusst auf KERS und konzentrieren uns lieber auf die wichtigen Grundlagen.

Timo Glock

Im kommenden Jahr soll es so laufen: Vorbei an den beiden Lotus-Autos! Zoom

Vielleicht liegen wir mit dieser Taktik goldrichtig. Es kann ja durchaus sein, dass gerade zu Saisonbeginn so manch ein Team Probleme mit der Zuverlässigkeit von KERS hat. Dann sind wir mit unserem konventionellen Auto zur Stelle und können dann hoffentlich mal ein gutes Ergebnis abstauben - schön wär's. Dennoch müssen natürlich auch wir langfristig an die Entwicklung eines solchen Systems denken.

In den kommenden Jahren will sich die Formel 1 immer "grüner" aufstellen. Ich finde diesen Weg richtig, vor allem auch, wenn man allein mal an den verringerten Spritverbrauch mit den neuen Motoren ab 2013 denkt. Natürlich kommt so ein kleiner 1,6-Liter-Turbo nicht überall gut an - in den USA hat fast jeder Rasenmäher einen größeren Hubraum -, aber trotzdem ist diese Entwicklung richtig.

Viel PS und wenig Freizeit

So lange solch ein Motor ordentlich PS auf die Achse bringt, ist mir eigentlich komplett egal, wie viel Hubraum dafür nötig ist. Die Hersteller wollen diesen Weg gehen. Daher kann sich die Formel 1 diesem Ansatz nicht verschließen. Dass die Amerikaner vielleicht über 1,6-Liter-Triebwerke lächeln und sie für nicht würdig erachten, ist zweitrangig. Die USA sind nur ein Rennen von insgesamt 20 im Kalender...

¿pbvin|512|2532|virgin|0|1pb¿Andere Märkte sind aus meiner Sicht mindestens ebenso wichtig: Indien, China und vor allem auch Russland. Wir haben mit unserer neuen intensiven Partnerschaft mit Marussia einen wichtigen Schritt getan. Das ist ein starker Partner, der uns eine neue finanzielle Grundlage und neue Möglichkeiten verschafft. Mit dem Formel-1-Rennen in Sotschi ab 2014 führt der Weg ohnehin in Richtung Russland. Wir sehen da viel Potenzial.

All das wird man natürlich erst in den kommenden Monaten genau einschätzen können. Vor uns liegt jetzt zunächst die besinnliche Weihnacht. Ich trainiere noch bis Heiligabend weiter auf meinem Bike in der Wohnung, die Feiertage verbringe ich dann bei meinen Eltern und anschließend gibt es noch eine Woche Kurzurlaub. Dann nimmt die Arbeit im Januar wieder deutlich mehr an Fahrt auf. Ich wünsche euch allen Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins Jahr 2011!

Bis bald, euer

Timo Glock