Die Hintergründe zu Marussia

Mit Marussia engagiert sich der erste russische Sportwagenhersteller bei Virgin in der Formel 1 - Ein Blick hinter die Kulissen des jungen Unternehmens

(Motorsport-Total.com) - Bereits im Kalten Krieg wollte Bernie Ecclestone ein Formel-1-Rennen auf dem Roten Platz in Moskau organisieren. Geworden ist es das Rennen in Ungarn. In den vergangenen 20 Jahren versuchte der Formel-1-Boss Russland in die Königsklasse bringen, doch es klappte lange nicht richtig. Nun interessiert sich das Land für die Formel 1 und drängt immer weiter in diesen Sport. Vitaly Petrov ist der erste russische Pilot und mit Sotschi wird es ab 2014 auch ein Rennen geben. Daneben entdecken immer mehr Firmen die Formel 1 als globale Plattform, so auch Marussia. 2010 ist das Unternehmen als Sponsor bei Virgin eingestiegen und im November Teilhaber geworden.

Titel-Bild zur News: Marussia

Mit Marussia gibt es erstmals einen russischen Sportwagenhersteller

Marussia ist eine junge Firma und will durch die Formel 1 nicht nur den Bekanntheitsgrad steigern, sondern auch technische Vorteile ziehen. Wer oder was tut diese Firma und welche Menschen stehen dahinter? Es ist ein Autohersteller Russlands und stellt Supersportwagen her. Derzeit gibt es die Modelle B1 und B2. Es wird aber kein Geheimnis daraus gemacht, dass die Modelle auf einem Pagani Zonda basieren. Die Italiener konzentrieren sich auf ein neues Produkt und haben die Technik hinter dem alten Erfolgsmodell verkauft.

Neben diesen beiden Fahrzeugen will Marussia in naher Zukunft weitere Fahrzeuge vorstellen. Auch ein SUV wurde bereits präsentiert und wird demnächst in Produktion gehen. Kernmarkt soll Russland sein, aber auch global werden die Autos verkauft. Die Verbindung mit Virgin ist logisch, denn Chef Richard Branson hat schon diverse unkonventionelle Ideen in die Tat umgesetzt. Seit dem Zerfall der Sowjetunion hat sich auch in Russland einiges verändert. Die Formel 1 und ihre hochgezüchtete Technik ist ein weiterer Puzzlestein. Davon will Marussia profitieren.

Die Menschen im Hintergrund haben wie Branson schon viele visionäre Projekte umgesetzt. Die Marussia-Geschichte beginnt mit Nikolai Fomenko. Er ist ein Showman, der seine Pop-Karriere in der Sowjetunion gestartet hat. Er gehörte der Band Secret an, die sich stark an den Beatles orientierte und Anfang der Achtzigerjahre Erfolge feiern konnte. Anschließend wurde er Fernsehmoderator und präsentierte unter anderem die russische Version von 'Top Gear'.

Marussia

Die Marussia Modelle basieren auf dem Supersportwagen Pagani Zonda Zoom

Seine Idee der eigenen Autofirma wurde von dem Philosophen Efim Ostrovsky unterstützt. Gemeinsam kamen sie auf den Namen Marussia. Die namentliche Verbindung mit Russland sticht hervor. Trotzdem sind ein Showman und ein Philosoph nicht gerade die auserkorenen Leute, um Supersportwagen zu bauen. Sie brauchten Hilfe, die sie mit Andrei Cheglakov fanden. Dieser hat sich ein Elektronikimperium aufgebaut.

Von der Spielkonsole in die Formel 1

Cheglakov hat in Moskau Mathematik studiert und arbeitete anschließend an der Wissenschaftsakademie. Als die Sowjetunion zerfiel, gründete er die Firma Stipler und wurde mit der Dendy Spielkonsole berühmt. Weltweit war das Nintendo Entertainment System (NES) ein Verkaufsschlager, doch die Japaner hatten ihr Produkt nicht in Russland patentiert. Cheglakov erkannte die Chance und veröffentlichte 1991 einen Klon davon. Dendy wurde so berühmt, dass der Name noch heute stellvertretend für Spielkonsolen steht.

Nintendo hatte den eigenen Fehler erkannt und schließlich ein Abkommen mit Cheglakov getroffen. Dieser stürzte sich in Softwareentwicklung und importierte Computer und andere neue Technologien nach Russland. Da Virgin in der Formel 1 einen eigenen Weg geht und den Boliden komplett mit CFD-Design entwickelt, ist auch hier ein Zusammenhang logisch.

Das Marussia-Projekt wird zu einem Großteil von Cheglakov finanziert, weshalb er eine Schlüsselperson ist. "Das Wichtigste bei Marussia ist, dass der Name mein Land repräsentiert. Das hat einen hohen Stellenwert für mich", wird der Russe in Joe Sawards Blog zitiert. "Es soll dem Land und der Bevölkerung helfen, damit sie sehen was möglich ist, und sie und Russland etwas der Welt geben können."

Nikolai Fomenko

Marussia-Präsident Nikolai Fomenko hatte die Idee hinter dem Sportwagenprojekt Zoom

"Vor ein paar Jahren habe ich ein Interview mit Vijay Mallya gelesen. Ich war beeindruckt wie er seine Rolle als Geschäftsmann bei der Entwicklung Indiens sieht", zieht er einen Vergleich mit dem Force-India-Teamchef. "Das müssen wir auch tun. Ich bin ein Sohn meines Landes. Mit Dendy habe ich gelernt wie man Produkte vermarktet. Ich war ständig hungrig nach neuen Produkten."

Somit hat Russland nun auch einen eigenen Supersportwagen. Cheglakov sieht dies als bedeutenden Schritt in der Entwicklung des Landes. "Die Präsentation des Autos ist vergleichbar mit dem ersten Sputnik. Wir wollen nicht unzählige Autos bauen. 20.000 oder 30.000 wären großartig." Die Marke Marussia soll sich von bestehenden Firmen unterscheiden.


Fotos: Highlights 2010: Virgin


"Warum kauft man sich einen Ferrari?", stellt Cheglakov in den Raum. "Es sind nicht nur die Geschichte und das Design, es ist eine Kombination verschiedener Dinge. Meiner Meinung nach kaufen Leute Sportwagen nicht in erster Linie um damit zu fahren. Man will einzigartig sein. Das kann man nicht mit einem Auto, das jeder kauft. Wenn man sich einen Marussia kauft, dann ist man einzigartig. Ein weiterer Kaufanreiz ist der russische Faktor. Natürlich ist es ein Supersportwagen, der zufrieden stellend ist. Sollte das nicht der Fall sein, dann ersetzen wir das Modell."

Das Formel-1-Programm mit Virgin soll nicht nur ein Marketingzweck sein. "Die Anzahl unserer Teamanteile sind nicht das Wichtigste. Von unserer Seite können wir die Technologie der Straßenmodelle verbessern. Die Technologie, die sie für das Formel-1-Auto verwenden, ist sehr ähnlich zu unseren Modellen. Für uns wird es also leichter, ein besseres Produkt zu kreieren."

"Wir wollen der Welt zeigen, dass sich Russland ändert", so Cheglakov weiter. "Wir müssen neue Wege finden, wie wir über Autos nachdenken. Das ist wichtig für uns. In Russland gibt es jetzt viele Dinge, die in der sowjetischen Zeit nicht existiert haben. Wir mussten neue Sachen bauen, die besser als sonst wo sind, denn alles ist neu. Das ist ein Vorteil."

Diese neuen Wege geht auch Virgin in der Formel 1. Für das Team ist der Einstieg von Marussia ein wichtiger Schritt. Am operativen Tagesgeschäft an der Rennstrecke wird das hingegen nichts ändern. John Booth wird weiterhin Teamchef sein. Russland wird in Zukunft aber eine große Rolle spielen. "Der nächste Schritt ist ein russischer Fahrer", sagt Fomenko, mit dem die Marussia-Geschichte seinen Anfang genommen hat. Er stellt auch in Aussicht, dass sein Unternehmen langfristig einen eigenen Formel-1-Motor bauen könnte, zum Beispiel in Kooperation mit Cosworth.

Auch für das Rennen in Sotschi ab 2014 ist das Marussia-Engagement förderlich. "Während wir die Modelle B1, B2 und andere Konzepte bauen, vorstellen und in Europa vermarkten, haben wir das Formel-1-Team. Damit können wir unsere Aktivitäten promoten und der Welt zeigen, dass es einen neuen Automobilhersteller aus Russland gibt, der internationale Ambitionen hat", sagt Fomenko. Ab der kommenden Saison wird das Team Marussia-Virgin heißen. Der Vertrag wurde auf vier Jahre geschlossen. Timo Glock ist als Fahrer bereits bestätigt. Das zweite Cockpit ist noch offen.