Gerhard Berger: Ein "Tirolerbua" in der Formel 1

Der andere Gerhard Berger: Das Geheimnis seines Erfolgs, wie er die Jugend in Tirol verbracht hat und warum er am liebsten ewig leben möchte

(Motorsport-Total.com) - Am 11. September 1988 jubelte Gerhard Berger über seinen vielleicht wichtigsten Sieg als Fahrer in der Formel 1: Wenige Wochen nach dem Tod des großen Enzo Ferrari feierte der Österreicher ausgerechnet im Königlichen Park von Monza den ersten Ferrari-Triumph in der "Post-Commendatore-Ära" - noch dazu ein Doppelsieg vor Michele Alboreto.

Titel-Bild zur News: Gerhard Berger

Gerhard Berger: Die Frage ist nicht ob, sondern wann er zurückkehrt...

Fast auf den Tag genau 20 Jahre später, am 14. September 2008, war Berger Vater des "Wunders von Monza": Sebastian Vettel gewann den Grand Prix von Italien sensationell von der Pole-Position aus und bescherte dem Toro-Rosso-Team, das zu 50 Prozent in Bergers Besitz lag, den ersten Sieg. Interessante Randnotiz: Bergers Renningenieur von 1988, Giorgio Ascanelli, war mittlerweile Technischer Direktor bei Toro Rosso.

Inzwischen hat Berger seinen Anteil am Team an Red Bull verkauft - mit einem satten Gewinn, wie man annehmen darf. Als er im Winter 2005/06 einstieg, musste er kein Geld auf den Tisch legen, sondern lediglich 50 Prozent der Anteile an seiner Spedition. Nun ist der 49-Jährige wieder arbeitslos. Wir wollen diese Gelegenheit nutzen, um Ihnen Gerhard Berger einmal anders vorzustellen: als Privat- und nicht zwingend nur als Geschäftsmann.#w1#

Aufgewachsen in den Bergen

Aufgewachsen ist der "Tirolerbua" in der Kleinstadt Wörgl. Wer schon einmal in der Gegend - übrigens nur unweit der deutschen Grenze - war, der weiß: Es hat einen Grund, dass die meisten österreichischen Motorsportler aus Tirol kommen. In Wörgl und Umgebung gibt es jede Menge wunderschöne Bergstraßen, die das Herz eines jeden Autofahrers höher schlagen lassen. Man kann sich bildlich vorstellen, wie dort einst Gerhard Berger und Karl Wendlinger herumgerast sind...

"Es hat Zeiten gegeben, da haben mich meine Eltern entweder bei der Polizei oder im Krankenhaus abgeholt." Gerhard Berger

"Lausbua" Berger war ortsbekannt: "Es hat Zeiten gegeben", erinnert er sich, "da haben mich meine Eltern entweder bei der Polizei oder im Krankenhaus abgeholt. Entweder hatte ich einen Unfall oder es ist sonst irgendein Blödsinn passiert. Ich war bekannt dafür, dass ich Tag und Nacht ohne Führerschein unterwegs war. Mit meinen 13, 14, 15 Jahren habe ich einfach keine Regeln eingehalten. Da wurde ich natürlich auch polizeibekannt."

"Entweder haben sie mich aus dem Auto rausgezogen oder aus der Disko rausgeholt, da ich zu jung oder in eine Rauferei verwickelt war. Irgendwo war ich eigentlich immer dabei. Ich war niemand, der leicht zu handlen war. In der Schule war ich eine Katastrophe. Dort habe ich überhaupt nichts gemacht, was erfreulich gewesen wäre! Trotzdem haben mir meine Eltern immer das Gefühl gegeben, dass sie hinter mir stehen", so Berger.

Die Ernsthaftigkeit des Lebens lernte er erst kennen, als er im Familienunternehmen mithelfen musste. Dabei handelte es sich um jene Spedition, die der Formel-1-Star 1997 nach dem Tod seines Vaters bei einem Flugzeugabsturz erbte und Jahre später aus einer existenzbedrohenden Krise führen musste. Später tauschte er wie erwähnt 50 Prozent der Spedition gegen das Toro-Rosso-Team. Heute ist das Unternehmen gesünder als je zuvor.

Learning by Doing

In der Berger-Gruppe lernte der Nachwuchsrennfahrer viele unternehmerische Facetten kennen, die ihm später helfen sollten: "Normalerweise", grinst er, "lernt man das in der Schule. Ich habe schon in sehr jungem Alter verstanden, wie das System funktioniert. Danach habe ich als Rennfahrer für große Firmen gearbeitet, wo ich noch mehr dazulernte." Nach dem Ende seiner aktiven Karriere heuerte er daher gleich einmal als Sportchef bei BMW an.

"Mir war klar, dass ich erst einmal ein Jahr Pause machen möchte." Gerhard Berger

Berger war in München gleichberechtigter Partner von Mario Theissen und führte die Marke unter anderem zum Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans und in die Nähe eines Formel-1-WM-Titels. Dass er für BMW arbeiten würde, wusste er schon vor seinem letzten Rennen in Jerez 1997, die offizielle Bekanntgabe erfolgte jedoch erst viel später - aus gutem Grund: "Mir war klar, dass ich erst einmal ein Jahr Pause machen möchte."

Während seiner Fahrerkarriere hatte der zehnfache Grand-Prix-Sieger immer den Ruf, gemessen an seinen Erfolgen extrem gut zu verdienen. Dabei hatte er nie einen Manager - den ersten Ferrari-Vertrag verhandelte er noch mit dem "Commendatore" persönlich in dessen Arbeitszimmer in Maranello. Gelernt hat er dieses Verhandlungsgeschick schon im Alter von zwölf Jahren: "Ob Fahrräder oder Mopeds: Ich habe mit allem gehandelt, was ich verkaufen konnte."

"Später als Rennfahrer habe ich mir dann immer selbst die Rahmenbedingungen erarbeitet, die ich haben wollte, und dann hatte ich noch einen Rechtsanwalt, der für mich die Formulierungen geprüft hat", sagt Berger. "Man sieht in den Verhandlungen immer, wie weit man gehen kann. Manchmal geht man mit einem Preis hinein und man hat das Gefühl, es ist noch mehr drin. Dann probiert man es eben aus. So habe ich diese Dinge immer gehandhabt."

Geld spielt keine Rolle mehr

Gerhard Berger

Sternstunde im Königlichen Park: Sieg auf Ferrari in Monza 1988 Zoom

Heute ist der "Tirolerbua", der längst in Monaco lebt, ein gemachter Mann. 600.000 Euro pro Jahr soll er zuletzt verdient haben, ganz zu schweigen von seinem Vermögen, das niemand zu schätzen wagt - schon gar nicht mehr seit dem Verkauf von Toro Rosso. Zu den 600.000 fällt ihm nur ein: "Die habe ich noch nicht gefunden! Ich bin Realist. Ich kann aber genauso wenig mit den 80 Millionen von Kimi Räikkönen etwas anfangen. Das ist auch irgendeine Phantasiesumme."

"Wir leben eigentlich relativ normal", sagt Berger über die Bergers. "Okay, wir haben eine große Wohnung und Autos - einen gewissen Luxus haben wir, keine Frage. Aber alle Töchter bis hin zur großen Christina sind ganz einfach. Es ist ihnen nicht wichtig, ob es eine Tasche von Prada ist oder nicht. Für die Kleineren sind das Wichtigste die beiden Hunde, die wir haben, und vielleicht das Pferd, mit dem sie reiten können."

Das Familienoberhaupt "reitet" am liebsten auf seinem Motorrad: "Ich habe eines in Österreich und eines in Monte Carlo." Ansonsten gönnt er sich eigenen Angaben nach wenig Luxus - genau wie seiner Ehefrau Ana, einer Portugiesin, die er in den 1980er-Jahren beim Formel-1-Rennen in Estoril kennen gelernt hat. Berger gibt offen zu, nicht der Typ zu sein, der mit einem Strauß Rosen von Reisen nach Hause kommt: "Das passt nicht zu mir."

Seit 13 Jahren verheiratet

"Ich bin seit 1995 verheiratet, zusammen sind wir seit 1987. Ich glaube, wir haben das geschafft, weil sie mir genügend Spielraum gibt. Ich bin das ganze Jahr auf Achse. Es ist schon etwas Besonderes, wenn ich drei oder vier Tage zu Hause bin. Es gibt aber auch außerhalb des Berufs das Gefühl, dass ich meine Freunde treffen möchte oder etwas anderes machen möchte. Dadurch bin ich natürlich viel unterwegs, habe aber nie ein Problem damit. Meine Frau ist nichts anderes gewohnt", so Berger.

"Mir ist es zu schwer, ein Buch zu lesen..." Gerhard Berger

Früher war er als Playboy bekannt, der alles und jeden abgeschleppt hat - eine Mastercard-TV-Werbung zielte darauf vor gar nicht allzu langer Zeit ab. Berger dementiert das gar nicht, betont aber, das sei "ganz früher" gewesen: "Das ist jetzt Gott sei Dank alles vorbei." Trotzdem ist er noch nicht so weit wie Udo Jürgens, der lieber ein Buch liest als sich auf Körperlichkeiten zu versteifen: "Mir ist es zu anstrengend, ein Buch zu lesen", schmunzelt er.

Wichtig sind ihm seine Kinder: Mit seiner ersten Frau Rosi hat er die gemeinsame Tochter Christina, inzwischen eine Frau, die auf eigenen Füßen steht, und mit Ana hat er zwei weitere Töchter, Heidi und Sarah-Maria. "Das Wesentliche in einer Beziehung sind die Kinder - die genießen einfach die Hauptrolle", erklärt er. "Es spielt sich eigentlich alles um die beiden Kleineren ab. Es gibt ganz wenig, wo wir die Mädchen nicht mit dabei haben."

Zeit für seine Familie hatte Berger vor allem zwischen seiner aktiven Karriere und dem Engagement bei BMW sowie vor dem Einstieg bei Toro Rosso. Zwar war er auch in diesen Zwischenphasen mit Spedition und Co. beschäftigt, doch in Summe war er deutlich mehr zu Hause als sonst. Aufgebaut hat er sich in jener Zeit mehrere Standbeine - und trotzdem konnte er während der internationalen Finanzmarktkrise ruhig schlafen.

Finanzmarktkrise heil überstanden

"Wenn man sein Risiko weit streut, dann sollte so etwas nicht allzu schmerzhaft sein. Dass da dunkle Wolken aufziehen, hat man schon vor einiger Zeit gesehen. Dass die Party vorbei ist, spürt man glaube ich auch schon seit einiger Zeit. Ich habe nicht das Gefühl, dass die vergangenen zwei oder drei goldenen Jahre einfach so weitergehen. Dass die Palmen in den Himmel wachsen, das gibt es einfach nicht", philosophiert der Multimillionär.

"Für mich ist es schon eine Katastrophe, wenn ich zum Essen gehe und die Euros mal in Schilling zurückrechne." Gerhard Berger

Trotz seines Geldes beschäftigt ihn die enorme Teuerung in seiner österreichischen Heimat: "Für mich ist es schon eine Katastrophe, wenn ich zum Essen gehe und die Euros mal in Schilling zurückrechne. Es ist unglaublich, was da passiert ist! Ich denke da schon an die Leute, die sich ein Essen zusammensparen müssen und so etwas nur ein paar Mal im Monat machen können. Das ist schon schwierig. Lebensmittel sind unglaublich teuer geworden."

Andererseits geht es ihm auch "fürchterlich auf die Nerven", wenn jemand wie die Diamantenerbin Fiona Swarovski öffentlich kritisiert wird, weil sie zu ihrem extravaganten Lebensstil steht und diesen nicht verheimlicht: "Der eine wird kritisiert, weil er in seinem Bad goldene Hähne hat, der andere wird kritisiert, weil er brutal geizig ist und den Mantel schon das dritte Jahr trägt. Das ist mir alles völlig wurscht. Jeder soll machen, was er will."

Dein höchster ideeller Wert im Leben, Gerhard? "Froh sein über das, was man tut, und zu lachen", antwortet er. "Ich lache gerne, gehe gerne weg und treffe gerne Freunde. Das sind die Sachen, an die man sich noch fünf Jahre später erinnert, weil sie so nett waren. Das ist mir wichtig. Ich denke, dass das Leben zu kurz ist, um jedem Erfolg ernsthaft hinterherzulaufen. Es langweilen mich auch die, die gar nichts bewegen. Aber eine gute Balance zu finden, das ist das Beste."

Heißhunger auf Schokolade

Gerhard Berger

1985, erste Formel-1-Saison auf Arrows: Gerhard Berger, 25 Jahre jung Zoom

Zu seinen Lebensfreuden zählte nach dem Karriereende die Schokolade. Das Training fiel weg, Schokolade wurde in den Speiseplan aufgenommen - und schwuppsdiwupps wog der Formel-1-Star plötzlich 89 statt 72 Kilogramm! "Ich bin die letzten 15 Jahre jeden Tag um 4:00 Uhr runter und hatte wirklich einen Heißhunger auf Schokolade. Ich habe speziell nach dem Aufhören mit dem Rennsport stark zugenommen", gesteht Berger.

"Nach meiner aktiven Zeit habe ich 72 oder 74 Kilogramm gewogen, nun hatte ich irgendwann mal 89 Kilogramm auf den Knochen. So konnte das nicht mehr weitergehen. Ich habe mich auch nicht mehr wohl gefühlt", so der 49-Jährige. "Das Erste, was ich gemacht habe, war, mich von der Schokolade zu lösen. Ich bin im Moment einigermaßen diszipliniert und schiebe es von mir weg. Im Moment bin ich knapp über 80 und mir geht es gut."

Seinem Lebensfreund Ayrton Senna hat man nachgesagt, die ewige Jugend gebucht zu haben - sicher auch, weil Senna mit 34 Jahren gestorben ist. Berger selbst wird am 27. August 50. "Ich leide schon ein bisschen darunter, denn die letzten 15, 20 oder 25 Jahre sind so schnell verflogen", gibt der österreichische Nationalheld wehmütig zu Protokoll. "Es kann doch gar nicht sein, dass das jetzt schon der 50. Geburtstag wird!"

Forever young...

"Wenn ich einen Wunsch frei hätte", philosophiert er, "dann möchte ich wieder 20 sein. Auf die Erfahrung kann ich verzichten - die kann ich mir wieder anhängen! Ich hatte eine so schöne Zeit, egal in welchem Alter - ob ich in Wörgl als Mechaniker aufgewachsen bin, mich jeden Tag mit Blödsinn beschäftigt oder einen Streich gemacht habe: Es ist immer alles gut ausgegangen. Das war einfach wunderschön."

"Ich wollte schon als kleiner Bub ein Rennfahrer werden." Gerhard Berger

"Nachher konnte ich mir mit meinem Beruf einen Traum erfüllen. Ich wollte schon als kleiner Bub ein Rennfahrer werden, ich wollte nichts anderes machen. Es könnte überhaupt nicht schöner sein, als seinen Weg in die Formel 1 zu finden und dort sein Leben zu verbringen. Ich will gar nicht wahrhaben, dass schon ein so großer Teil hinter mir liegt. Mir wäre am liebsten, es würde noch alles vor mir liegen", schwelgt er in Erinnerungen.

Auch das ewige Leben würde er "sofort" annehmen, "wenn ich gesund bleibe". Nur: "Es ist immer wieder erschütternd, zu sehen, wenn man Freunde hat oder Leute, die einem nahe stehen, die eines Tages krank werden und fürchterlich leiden. Ganz erschütternd war es für mich, meiner Mutter zuzuschauen. Sie ist vor zehn Jahren an Krebs gestorben und sie war wirklich zwei oder drei Jahre schwer bedient. Hoffentlich muss ich da nicht selbst durch."

Beim Tod seiner Mutter habe er auch das letzte Mal geweint - mit gutem Grund: "Ich bin in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, hatte aber Eltern, die für meinen Blödsinn viel Verständnis hatten. Wenn man jung ist, merkt man das nicht. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich mich oft zwei oder drei Wochen nicht gemeldet habe, wenn ich bei den Rennen war, weil ich keine Zeit hatte und nicht daran gedacht habe. Heute sage ich: Das wäre jeden Tag notwendig gewesen!"

Das Kind wird erwachsen

"Ich sehe das heute bei meinen Kindern", fährt er fort. "Es gibt nichts Schöneres, als wenn mich meine Kinder anrufen oder wenn ich von meinen Kindern eine SMS bekomme. Man selbst hat da gar nicht so darüber nachgedacht. Man ist nach Hause gekommen, hat einen neuen Koffer geholt und gesagt, dass man nun auf dem Weg nach Amerika ist. Es ist mir dann schon auf die Nerven gegangen, wenn sie mich gefragt haben, was ich eigentlich mache."

"Ein Didi Mateschitz bezieht immer die menschliche Komponente mit ein." Gerhard Berger

Gerade wegen solch offener Aussagen gilt Berger als einer der beliebtesten Zeitgenossen in der Formel 1 und in seiner Heimat. Dabei ist er alles andere als ein Paradeösterreicher: Berger war nie beim Bundesheer, lebt mit seinen Millionen in Monaco, fuhr als Aktiver mit monegassischer Lizenz, geht nicht in Österreich wählen und war noch nie im Stephansdom. "Aber das", sagte er unlängst bei einer Radiosendung, "hole ich einmal nach."

Bewunderung empfindet er nicht für viele Menschen. Senna gehörte früher dazu, heute sein Geschäftspartner Dietrich Mateschitz: "Er hat eine phantastische Mischung zwischen Geschäftsinn, Privatleben, Freude am Leben. Er überrascht mich immer wieder mit etwas. Ein Didi Mateschitz bezieht immer die menschliche Komponente mit ein. Das zeichnet ihn mehr aus als jemanden, der nur den Erfolg im Kopf hat", lobt er seinen Landsmann.

Auch Berger hat sich während seiner Partnerschaft mit Mateschitz verändert. Er ist ruhiger geworden, seriöser - der "Tirolerbua" in ihm ist mehr und mehr dem geschäftstüchtigen Manager gewichen. Aber bei allen Veränderungen in seinem Leben gibt es doch eine Konstante: Die Formel 1 kommt immer wieder. Und so ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis Berger wieder in den Fahrerlagern dieser Welt auftauchen wird...