"Formel Unberechenbar" ist Schnee von gestern

Sieben Sieger in sieben Rennen waren gestern, Dominator Sebastian Vettel ist heute: Was sind die Gründe für die Trendumkehr in der Formel-1-Saison 2012?

(Motorsport-Total.com) - In den ersten sieben Rennen der Formel-1-Saison 2012 gab es sieben verschiedene Sieger, doch mit Fernando Alonsos Triumph beim Heimspiel in Valencia endete diese kuriose Serie. In den zehn nächsten Rennen kehrte sich der Trend zur "Formel Unberechenbar" genau um und es gab keinen einzigen neuen Sieger mehr. Mit zuletzt vier Erfolgen hintereinander mauserte sich Sebastian Vettel sogar zum Seriensieger in der Königsklasse.

Titel-Bild zur News: Pirelli-Soft-Reifen

Die Teams durchschauen die Pirelli-Reifen viel besser als am Saisonbeginn Zoom

Stabilität kehrte in etwa ab Hockenheim ins Kräfteverhältnis ein, als das damalige McLaren-Update Lewis Hamilton und Jenson Button an die Spitze der Speed-Hierarchie katapultierte, während in Singapur Vettel die Trendwende zugunsten von Red Bull herbeiführte. Aber selbst die Experten rätseln darüber, was sich in der zweiten Saisonhälfte geändert hat, dass seit einiger Zeit keine großen Unberechenbarkeiten mehr aufzutreten scheinen.

Im Wesentlichen dürften wohl zwei Schlüsselfaktoren dazu beizutragen: Pirelli und Coanda. "Am Saisonbeginn war es schwierig, das Verhalten der Reifen zu verstehen, aber auch die Entwicklung mit der Veränderung des Auspuff-Effekts", erklärt Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali. "Es war nicht einfach, das Auto richtig abzustimmen, um die Performance zu maximieren. Dadurch entstand am Anfang diese Situation."

Erst McLaren top, dann Red Bull

"Aber je länger die Saison dauert, desto mehr verstehen die Teams, wie sie die Autos verbessern können, und das hat Red Bull sehr gut gemacht", meint er anerkennend, warnt aber davor, das aktuelle Kräfteverhältnis als in Stein gemeißelt zu betrachten: "Vergessen wir nicht, dass McLaren bis vor einem Grand Prix noch unbesiegbar zu sein schien. Jetzt sind wir genauso schnell. Leider ist Red Bull unser Gegner, aber wir werden bis zum Ende nicht nachlassen."

"Die Performance", ergänzt McLaren-Sportchef Sam Michael, "kann sich von Strecke zu Strecke um ein paar Zehntel ändern, und genau das erleben wir momentan. Im Qualifying sind es drei oder vier Zehntel. Das kann man auf einer Strecke aufholen, und dann steht man in der ersten Reihe. Daher glaube ich immer noch daran, dass wir Red Bull schlagen können. In der Meisterschaft ist das etwas anderes. Da müssten sie ausfallen, damit wir sie noch einholen können."

"Sie haben viele Upgrades gebracht, vor allem im Bereich der Karosserie. Einige davon scheinen sehr gut zu funktionieren", so Michael, der "sehr schlecht einschätzen" kann, ob McLaren schon in einer Woche in Abu Dhabi wieder die Nummer eins sein wird: "Es gab Tage, an denen die Performance um eine Sekunde schwankte. Aber jetzt gibt es keine Strecken mehr, die den drei Topteams besser oder schlechter liegen. Du weißt erst an der Strecke, wie das Kräfteverhältnis aussieht."

Formel 1 2012 langsamer als 2011

Dass der Coanda-Auspuff gleich effizient ist wie der auspuffangeströmte Diffusor, der seit Ende 2011 stark eingeschränkt ist, glaubt Michael nicht: "Ich glaube nicht, dass der Effekt des Auspuffs auch nur annähernd dem entspricht, den sie im Vorjahr hatten. Die Pole-Zeit war um eine Sekunde langsamer als im Vorjahr. Das schreibe ich dem auspuffangeströmten Diffusor zu. Sie haben sicherlich ein gutes System, aber nichts Vergleichbares mit dem Vorjahr."

Die Entwicklung gehe zwar vom Konzept her in die gleiche Richtung wie beim auspuffangeströmten Diffusor, "aber die Geometrie ist stark limitiert. Im Vorjahr konntest du die Auspuff-Endrohre direkt vor den Reifen enden lassen. Das geht nicht mehr. Natürlich beeinflusst es den Diffusor immer noch, weil die Abgase um die Reifen und die Karosserie strömen. Das versuchen alle zu optimieren, aber auf den Stand von 2011 kommt keiner zurück."

Auspuff bleibt weiterhin ein Thema

Martin Whitmarsh geht davon aus, dass die Auspuffoptimierung auch 2013 ein Thema sein wird: "Daran muss man im Winter arbeiten, aber die Lösungen der verschiedenen Teams sind ziemlich ähnlich", sagt der McLaren-Teamchef und ergänzt: "Momentan hören wir von allen, dass sie am neuen Auto arbeiten. Die nächstjährigen Autos werden sich von den aktuellen unterscheiden. Wir arbeiten daran wie jeder andere auch."

Vielleicht noch gravierender als der Coanda-Auspuff ist für die neue Stabilität aber der Faktor Reifen. Führte der Abbau der Pirelli-Performance vor einigen Monaten noch zu kuriosen Rückfällen wie jenem von Kimi Räikkönen in Schanghai oder dem dramatischen Finale in Montreal, so schafft es inzwischen sogar Mercedes, die Temperaturen von Vorder- und Hinterreifen konstant bei rund 110 Grad Celsius zu halten. Das war lange Zeit eine Schwäche der Silberpfeile.

Coanda-Auspuff am McLaren MP4-27

Der Coanda-Auspuff ist zu einem wichtigen Merkmal der Saison geworden Zoom

"Das Red-Bull-Paket", sagt Pirelli-Sportchef Paul Hembery, "macht im Moment einen sehr starken Eindruck. Das zeichnete sich ab Ungarn ab und wurde bei den zurückliegenden Rennen durch die Ergebnisse untermauert. Man weiß aber nie, was passiert. Es geht sehr eng zu. Alonso wird sicher alles daran setzen, am kommenden Wochenende eine gute Startposition herauszufahren. Das wird in Abu Dhabi der Schlüssel sein, denn das Überholen ist dort fast unmöglich."