• 10.03.2018 13:31

  • von Dominik Sharaf

Formel-1-Tests 2018 analysiert: Erst Mercedes und lange nichts

Alle Statistiken, wichtige Fakten: Warum Mercedes alles überstrahlt ohne zu glänzen und Ferrari mehr strauchelt als Red Bull - Im Mittelfeld blühen zwei Überraschungen

(Motorsport-Total.com) - Selten hat sich in der Vergangenheit bei Formel-1-Wintertestfahrten ein so klarer Favorit herauskristallisiert wie im Vorfeld der Saison 2018: Nach den Eindrücken der achttägigen Probefahrten auf dem Circuit de Catalunya in Barcelona steht für Experten fest, dass an Mercedes beim Auftakt in Melbourne wohl kein Weg vorbeiführt. Wir beleuchten in unserer großen Analyse, wieso die Silberpfeile so hoch im Kurs stehen und checken die vorläufige Hackordnung im Rest des Starterfeldes.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton

Lewis Hamilton und Mercedes ließen die Konkurrenz bei den Tests hinter sich Zoom

Vorweg: Die Ergebnisse der jüngsten Tests sind lediglich begrenzt belastbar. Noch weniger als sonst. Kälte, Schnee und Regen in der ersten Woche bescherten Bedingungen, die an Grand-Prix-Wochenenden im gesamten Saisonverlauf nicht mehr zu erwarten sind. Die Wetterkapriolen ließen die Teams ihr Programm für die zweite Woche umstellen, sodass es in vielen Fällen nicht um schnelle Rundenzeiten gegangen sein dürfte.

Hinzu kommt wie immer das sogenannte "Sandbagging", also das bewusste Verschleiern von Leistung, um die Konkurrenz in die Irre zu führen. Wenn schnelle Rundenzeiten gesetzt wurden, könnte der neue Asphalt in Barcelona in Kombination mit den überarbeiteten Pirelli-Mischungen (weicher und auf kurze Distanz schneller) dafür gesorgt haben, dass sie drastisch unter Vorjahresniveau lagen. Von dem üblichen Rätselraten um die eingefüllte Spritmenge ganz zu schweigen.

Ein sichererer Indikator - und erster Gegenstand unserer Analyse - ist daher die Zuverlässigkeit. Bei den abgespulten Kilometern pro Fahrer zeigt sich, dass Sebastian Vettel der fleißigste Tester war. Der Ferrari-Pilot spulte bei seinen vier Einsätzen 2.993 Kilometer ab, also circa 748 Kilometer pro Tag - das entspricht mehr als zwei Renndistanzen und dürfte ordentlich geschlaucht haben.

Testfahrten Barcelona 2018: Abgespulte Kilometer pro Fahrer
1. Sebastian Vettel (Ferrari) - 2.993 Kilometer
2. Valtteri Bottas (Mercedes) - 2.719
3. Lewis Hamilton (Mercedes) - 2.123
4. Pierre Gasly (Toro Rosso) - 2.104
5. Carlos Sainz (Renault) - 2.053
6. Max Verstappen (Red Bull) - 1.950
7. Marcus Ericsson (Sauber) - 1.913
8. Kevin Magnussen (Haas) - 1.774
9. Charles Leclerc (Sauber) - 1.746
10. Esteban Ocon (Force India) - 1.732
11. Brendon Hartley (Toro Rosso) - 1.722
12. Daniel Ricciardo (Red Bull) - 1.694
13. Sergei Sirotkin (Williams) - 1.648
14. Nico Hülkenberg (Renault) - 1.634
15. Lance Stroll (Williams) - 1.597
16. Stoffel Vandoorne (McLaren) - 1.564
17. Sergio Perez (Force India) - 1.476
18. Romain Grosjean (Haas) - 1.462
19. Kimi Räikkönen (Ferrari) - 1.331
20. Fernando Alonso (McLaren) - 1.224
21. Robert Kubica (Williams) - 568
22. Nikita Masepin (Force India) - 102

Neben dem Arbeitstier der Tests war Vettel auch größter Glückspilz. Dass Teamkollege Kimi Räikkönen (19.) weniger als die Hälfte der Kilometer zurücklegte, die der Heppenheimer auf die Uhr brachte, lag am Einsatzplan der Scuderia. Räikkönen erwischte in der ersten Woche den verregneten Montag und den verschneiten Mittwoch, als die Teams auf Ausfahrten weitgehend verzichteten. Defekte bremsten den Finnen - genau wie Vettel - aber nicht. Ferrari hatte keine einzige Panne.

Das ist kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Auch Mercedes kam trotz neuer Extreme beim Packaging (führt oft zu Überhitzungsproblemen und mechanischen Defekten) wie ein Uhrwerk durch die zwei Wochen und konnte es sic leisten, sporadisch früher Feierabend zu machen. Dazu setzte man vermehrt auf Longruns. Es dürfte Set-up-Sorgenkind Valtteri Bottas gutgetan haben, mehr gefahren zu sein als der testfaule Lewis Hamilton. Nach Teams aufgeschlüsselt geht das Fleißkärtchen klar an die Silberpfeile.

Valtteri Bottas

Keine Panne: Mercedes war auch in Sachen Zuverlässigkeit eine Macht Zoom

Testfahrten Barcelona 2018: Abgespulte Kilometer pro Team
1. Mercedes - 4.841 Kilometer
2. Ferrari - 4.324
3. Renault - 4.115
4. Toro Rosso - 3.826
5. Williams - 3.812
6. Sauber - 3.659
7. Force India - 3.310
8. Haas - 3.235
9. Red Bull - 3.217
10. McLaren - 2.788

Erstaunlich, dass auch Renault (3.) viel unterwegs war, denn die Franzosen hatten sich bei den Ersatzteilen verkalkuliert und büßten infolge eines Getriebeschadens mit langwieriger Reparatur sowie Software-Problemen einen halben Testtag ein. Dazu probierten sie viele radikale Lösungen (etwa beim Auspuff). Die größere Überraschung waren Toro Rosso und Honda - trotz der Gerüchte, dass jeden Tag ein frischer Antrieb eingebaut worden wäre, um Defekten vorzubeugen.

Vielmehr schien man in der ersten Woche verschiedene Varianten getestet und sich in der zweiten auf eine Version (und einen Motor) festgelegt zu haben. Zu den Sorgenkinder in Sachen Zuverlässigkeit gehört dagegen Schwesterteam Red Bull. Ein Benzinleck und ein Ausrutscher Max Verstappens waren in Barcelona die prominentesten Partycrasher, mehrmals blieben die Österreicher aus ungeklärten Gründen an der Box. Eher unwahrscheinlich, dass Partner Renault der Buhmann wäre.


Fotostrecke: Technik-Check: Neuerungen beim zweiten Test

Bei McLaren war das Debakel sichtbarer: Sechs Defekte in acht Tagen unterstrichen, dass mit dem Wechsel von Honda zu Renault nicht alle Probleme gelöst sind. Von Brandschäden am Chassis über undichte Ölleitungen bis hin zu einem kaputten Turbolader war alles dabei. Es wird gemunkelt, dass die Aerodynamiker beim MCL33 zu aggressiv ans Werk gegangen wären und einige der Pannen mit komplizierten Designs heraufbeschworen hätten - nicht zuletzt auch lange Reparaturzeiten.

Damit zum zweiten und kniffligeren Block der Analyse: der Performance. Die ingesamt schnellste Zeit durch Sebastian Vettel (inoffizieller Streckenrekord in 1:17.182 Minuten und 1,977 Sekunden schneller als Hamilton bei seiner Pole-Runde im Grand-Prix-Qualifying 2017) und der Blick auf die Anzahl der Tagesbestzeiten lässt den Schluss zu, dass Ferrari den Ton angegeben hätte. Vier von acht ersten Plätzen gingen an die Scuderia, drei an Vettel. Ein Trugschluss, der mit der Reifenwahl zu tun hat. Während Ferrari Hypersoft auspackte, bestellte Mercedes ihn gar nicht bei Pirelli und beschränkte sich auf die härteren Mischungen. Sogar der Ultrasoft steckte nur kurz auf dem W09.

Sebastian Vettel

Ferrari war ebenfalls zuverlässig, auf den Longruns fehlte aber die Konstanz Zoom

Testfahrten Barcelona 2018: Anzahl Tagesbestzeiten pro Fahrer
1. Sebastian Vettel (Ferrari) - 3 Bestzeiten
2. Daniel Ricciardo (Red Bull) - 2
3. Lewis Hamilton (Mercedes) - 1
= Kimi Räikkönen (Ferrari) - 1
= Fernando Alonso (McLaren) - 1

Trotzdem gibt es Indizien, dass Mercedes wieder schnell ist. Hamilton gelang seine Tagesbestzeit (auch die beste der ersten Woche) auf Medium. Trotz weicherer Softs war Vettel zu dem Zeitpunkt 0,340 Sekunden langsamer. Daniel Ricciardo und Red Bull profitierten bei den zwei Spitzenwerten ebenfalls von den Hypersofts und der Tatsache, dass es am ersten Tag der ersten Woche niemand darauf anlegte, schnell um den Kurs zu kommen. Der größere Treppenwitz war Fernando Alonsos Bestzeit: Sie kam zustande, als der Spanier am Schnee-Mittwoch als einziger Pilot eine gezeitete Runde setzte.

Testfahrten Barcelona 2018: Durchschnittliche Platzierung pro Fahrer
1. Daniel Ricciardo (Red Bull) - 2,00
2. Sebastian Vettel (Ferrari) - 2,00
3. Fernando Alonso (McLaren) - 3,80
4. Kimi Räikkönen (Ferrari) - 4,33
5. Valtteri Bottas (Mercedes) - 5,14
6. Lewis Hamilton (Mercedes) - 5,50
7. Stoffel Vandoorne (McLaren) - 5,75
8. Kevin Magnussen (Haas) - 5,75
9. Pierre Gasly (Toro Rosso) - 6,00
10. Carlos Sainz (Renault) - 6,14
11. Brendon Hartley (Toro Rosso) - 6,67
12. Max Verstappen (Red Bull) - 7,00
13. Nico Hülkenberg (Renault) - 7,40
14. Romain Grosjean (Haas) - 7,67
15. Robert Kubica (Williams) - 8,50
16. Sergio Perez (Force India) - 9,33
17. Esteban Ocon (Force India) - 9,67
18. Marcus Ericsson (Sauber) - 10,50
19. Lance Stroll (Williams) - 10,67
20. Charles Leclerc (Sauber) - 11,25
21. Sergei Sirotkin (Williams) - 11,33
22. Nikita Masepin (Force India) - 12,00

Aus den genannten Gründen sind sämtliche Platzierungen mit Vorsicht zu genießen. Klar ist aber, dass Mercedes auf den Longruns eine Macht war. Die Rede ist von bis zu einer halben Sekunde pro Runde, die Hamilton und Bottas der Konkurrenz abgenommen hätten. Eine Disziplin, in der Ferrari mehr schwächelte als Red Bull. Vettel und Räikkönen sollen in Kurven mit einem unruhigen Auto gekämpft haben, was Reifenverschleiß und Tempo bei längeren Stints nicht gutgetan haben kann. Noch mehr Sorgenfalten dürfte der relativ kleine Vorteil gegenüber Kunde Haas hervorgerufen haben - nur rund zwei Zehntelsekunden pro Umlauf. Am Antrieb kann es bei Ferrari also nicht liegen.

Ergo könnte die zweite Kraft im Formel-1-Feld Red Bull sein. Wie 'auto motor und sport' erfahren haben will, hätten GPS-Messungen gezeigt, dass Ricciardo und Verstappen in den Kurven schneller waren als Ferrari und als Mercedes. Stimmt das, dürften erneut der Renault-Antrieb und die eingeschränkte Freigabe von Leistung (als Kompensation der Zuverlässigkeit) das Problem des Teams sein - oder der viel diskutierte Trick mit der Ölverbrennung, der Red Bull weiter beschäftigt. Hinzu kommt hoher Benzinverbrauch, der wohl verhinderte, dass die Longruns waren als die von Ferrari.

Sollte Mercedes in Barcelona doch eine Achillesferse offenbart haben, handelt es sich um Blasenbildung und Körnen auf weicheren Reifenmischungen, insbesondere auf der Hinterachse. Das Phänomen betraf aber möglicherweise noch mehr Teams und lässt sich wegen der ungewöhnlichen Bedingungen in Spanien kaum verallgemeinern. Es könnte mit besseren Set-ups rasch gelöst sein.

Daniel Ricciardo

Red Bull könnte Ferrari im Winter überholt haben, aber es gibt Fragezeichen Zoom

Testfahrten Barcelona 2018: Durchschnittliche Platzierung pro Team
1. Ferrari - 2,88
2. McLaren - 4,67
3. Red Bull - 5,00
4. Mercedes - 5,31
5. Toro Rosso - 6,29
6. Renault - 6,46
7. Haas - 6,57
8. Force India - 9,86
9. Williams - 10,64
10. Sauber - 10,88

Noch weniger klar sind die Machtverhältnisse im Mittelfeld - also im Kampf um Rang vier hinter den drei Topteams. In Sachen Tempo scheint McLaren stärker zu sein als beim Thema Zuverlässigkeit. Dass Alonso (auf Hypersoft) mit der drittbesten Zeit der Tests aufhorchen ließ, dürfte nicht die reale Hackordnung widerspiegeln und einem fast leeren Tank des MCL33 geschuldet gewesen sein.

Renault muckte mit der fünften Zeit durch Carlos Sainz auf Hypersoft ebenfalls auf, sollte sich jedoch ernsthaft Gedanken um Konkurrenz durch Überraschungsteam Haas machen. Kevin Magnussen (6.) war auf Supersoft (also zwei Stufen härter) nur 0,268 Sekunden langsamer als der Spanier. Kinderkrankheiten mit dem DRS wurden genauso aussortiert wie das leidige Dauerthema Bremsen.

Sergei Sirotkin

Arg in Bedrängnis: Der Williams-Truppe steht eine schwierige Zeit bevor Zoom

Testfahrten Barcelona 2018: Durchschnittlicher Abstand pro Team
(Durchschnittswert der Rückstande auf die jeweilige Tagesbestzeit)
1. Ferrari - +0,615 Sekunden
2. Red Bull - +1,048
3. McLaren - +1,058
4. Mercedes - +1,220
5. Renault - +1,603
6. Haas - +1,700
7. Toro Rosso - +1,700
8. Force India - +2,637
9. Sauber - +2,798
10. Williams - +4,660

Dank erstaunlich viel Leistung des Honda-Triebwerks könnte auch Toro Rosso in Australien im Kampf um Platz vier mitmischen. Insbesondere Youngster Pierre Gasly (7.) schlug sich bei den Tests wacker. Weniger gute Karten im Kampf um WM-Punkte dürften dagegen Force India, Williams und Sauber besitzen. Während bei den Pinken ein halbfertiges Auto keine Anhaltspunkte für die wahre Performance lieferte, steckt Williams offenbar im Schlamassel: Der FW41 macht Probleme beim Einlenken und lässt überall Grip vermissen.

Die unerfahrenen Paydriver Lance Stroll (21.) und Sergei Sirotkin (16.) scheinen langsamer als Feuerwehrmann und Rettungsanker Robert Kubica (17.). Gut möglich, dass Williams derzeit hinter Sauber zurück ist, schließlich scheinen sich die Schweizer von ihrem Dauertief zu erholen. Abgesehen davon, dass Charles Leclerc (15.) und Marcus Ericsson (17.) ihr Auto zu oft in den Kies warfen, schien es in Barcelona mit dem aktuellem Ferrari-Antrieb und Alfa-Romeo-Know-how aufwärts zu gehen.