Formel-1-Countdown 2010: Toro Rosso

Toro Rosso hat die Nabelschnur zu Red Bull durchgeschnitten und geht wieder mit zwei Jungpiloten an den Start - Marc Surer: "Sie haben nichts riskiert"

(Motorsport-Total.com) - Am 14. März beginnt in Manama (Bahrain) die neue Formel-1-Saison - und die Königsklasse birgt dieses Jahr so viel Spannung wie schon lange nicht mehr: Vier Weltmeister, sensationelle Comebacks und klingende Namen lassen jedes Racingherz höher schlagen. 'Motorsport-Total.com' nimmt vor dem Auftaktrennen wie jedes Jahr alle Teams genau unter die Lupe. Heute: Toro Rosso.

Titel-Bild zur News: Jaime Alguersuari

Für das Toro-Rosso-Team beginnt eine neue Ära als eigener Konstrukteur

Der "kleine Bruder" von Red Bull war 2008 mit einem Grand-Prix-Sieg durch Sebastian Vettel in Italien die große Sensation, stürzte 2009 aber erwartungsgemäß von 39 auf acht Punkte und vom sechsten auf den letzten Platz in der Konstrukteurs-WM ab. Zudem schickte man Sébastien Bourdais in die Wüste, von dem man sich eigentlich erwartet hatte, das Team zu führen. Diesem Anspruch konnte der Routinier jedoch nicht gerecht werden, sodass er ab Ungarn durch Jaime Alguersuari ersetzt wurde. Sébastien Buemi durfte die gesamte Saison durchfahren.#w1#

Erstmals mit komplett eigenem Chassis

Damit ist Toro Rosso wieder ein echtes Red-Bull-Juniorteam - so war das Konzept nach der Minardi-Übernahme ja auch von Anfang an ausgelegt. Allerdings musste die technische Zusammenarbeit mit Red Bulls A-Team aus Milton Keynes reglementbedingt beendet werden. Bereits im Vorjahr leitete Toro Rosso die Umstellung vom Kundenrennstall zum eigenständigen Konstrukteur ein, allerdings weiterhin auf Basis der Konstruktionspläne von Red Bull. Jetzt steht das Team notgedrungen komplett auf eigenen Beinen.

Sébastien Buemi

Der STR5 ist der erste Toro-Rosso-Bolide, der in Faenza designt wurde Zoom

"Der Toro Rosso war im letzten Jahr relativ schlecht. So ganz klar war mir das nicht", analysiert 'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer und sucht nach Erklärungen: "Das Team hat schon 2009 versucht, alle Teile selbst zu bauen, um Erfahrung zu sammeln. Da gab es viele Probleme - ich weiß von Flügeln, die sich verbogen haben, von Teilen, die vom Auto abgefallen sind. Das waren typische Kinderkrankheiten von der Produktion her, denn die Zeichnungen hatten sie ja weiterhin von ihrem Schwesternteam."

Toro Rosso hat die Fabrik in Faenza im Zuge der Umstrukturierung erweitert, neue Maschinen angekauft, das Personal auf derzeit 257 Mitarbeiter aufgestockt. Das Budget soll bei stattlichen 105 Millionen Euro liegen, auch wenn derartige Schätzungen immer mit Vorsicht zu genießen sind. Beim neuen STR5 hat Technikchef Giorgio Ascanelli dennoch auf große Experimente verzichtet, um im ersten Jahr als vollwertiger Konstrukteur keine unnötigen Risiken eingehen zu müssen.

No Risk, more Fun?

"Jetzt haben sie es meiner Meinung nach richtig gemacht, denn sie haben nichts riskiert, sondern praktisch den Red Bull weiterentwickelt. Als kleines Team solltest du kein Risiko eingehen - und mit mehr Erfahrung scheint nun auch der Teilebau zu funktionieren", findet Surer. "Beim Testauftakt in Valencia waren sie das einzige Team, das immer an der Box stand, aber jetzt scheint es zu laufen und das Auto scheint problemlos zu funktionieren, auch vom Setup her. Das könnte die große Chance sein, zumindest am Anfang des Jahres, wenn die anderen vielleicht noch Probleme haben."

¿pbvin|512|2495||0|1pb¿Die große Frage ist aber: "Wie ist es mit der Weiterentwicklung während der Saison? Letztes Jahr haben sie schlecht angefangen und dann relativ gut aufgehört. Da haben sie Updates von Red Bull bekommen. Jetzt wird es vielleicht umgekehrt sein, weil sie auf der Basis des letzten Jahres anfangen, aber können sie dann weiterentwickeln? Das muss man abwarten und das könnte der Knackpunkt werden", gibt der Schweizer, zwischen 1981 und 1985 selbst 82-facher Grand-Prix-Teilnehmer, zu Protokoll.

Immerhin hat Toro Rosso an 15 Testtagen im Februar mehr als 6.000 Kilometer mit dem neuen Auto zurückgelegt, was in dieser Rangliste den vierten Platz bedeutet - noch vor dem Red-Bull-A-Team (4.944 Kilometer), das die erste Testwoche in Valencia freiwillig gestrichen hat. Alguersuari stellte am 12. Februar in Jerez de la Frontera sogar eine Tagesbestzeit auf und beim Testabschluss in Barcelona, der von Experten noch am ehesten als repräsentativ eingestuft wurde, fehlte weniger als eine Sekunde auf den erstplatzierten McLaren-Mercedes MP4-25.

Weiterhin mit Ferrari-Motoren

"Die Differenz zwischen den Autos wird sehr klein sein. Umso mehr kommt es auf die ganzen Details an", meint Buemi und kündigt für den Saisonauftakt in Bahrain ein erstes Miniupdate an. Schon jetzt verfügt der STR5 über einen recht ausgeklügelten Frontflügel, einen voll ins Designkonzept integrierten Doppeldiffusor und einen bewährten Ferrari-V8-Motor. Die Zusammenarbeit mit Ferrari wurde beibehalten, zumal die Triebwerke aus Maranello zwar nicht zu den verbrauchsärmsten, aber doch zu den insgesamt konkurrenzfähigeren in der Formel 1 gehören.

Sébastien Buemi

Sébastien Buemi ist vor seiner zweiten Saison bestens vorbereitet Zoom

Nicht nur deswegen ist Buemi für den Saisonauftakt optimistischer als vor einem Jahr, als er noch Formel-1-Neuling war: "Wir hatten gute Wintertests, daher bin ich für Bahrain zuversichtlich. Natürlich wissen wir nicht, mit wie viel Benzin die anderen getestet haben, aber ich glaube, wir sind viel besser gerüstet als vor einem Jahr. Das Auto scheint konkurrenzfähig zu sein und ich habe ein Jahr Erfahrung und sollte daher kein großes Handicap mehr haben", sagt der Schweizer und fügt selbstbewusst an: "Ich will schneller fahren als im Vorjahr und viele Punkte sammeln."

Essenziell wichtig für den weiteren Verlauf seiner Karriere ist auch ein klarer Sieg im Stallduell gegen Alguersuari, doch das sollte für den 21-Jährigen "kein Problem" darstellen: "Alguersuari kann sicherlich schnell fahren, keine Frage, aber er ist für mich ein typischer Fall, der zu früh in die Formel 1 gekommen ist", erklärt Surer. Immerhin ist der Spanier noch nicht einmal 20 Jahre alt, was 2009 das eine oder andere Mal nicht zu übersehen war.

Fahrer haben sich intensiv vorbereitet

Doch Toro Rosso hat auf die gehäuften Fahrfehler reagiert und beide Junioren einem intensiven Trainingsprogramm unterzogen, das auch Arbeit im mentalen Bereich beinhaltete. "Mit der Erfahrung wird es einfacher. Für mich waren die Rennen im Vorjahr ein Test - ich habe da eigentlich nur getestet. Jetzt kann ich endlich richtig Rennen fahren", so Alguersuari, der genau wie Teamkollege Buemi einen der beiden Red-Bull-Simulatoren in Milton Keynes intensiv genutzt hat, um sich auf die neue Saison vorzubereiten.

Jaime Alguersuari

In seinem ersten Jahr war Jaime Alguersuari oft noch zu ungestüm Zoom

"Die ersten sechs, sieben Rennen werden schwierig für mich, weil ich auf den Strecken dort noch nicht gefahren bin. Aber dafür haben wir ja den Simulator in Milton Keynes, der bei diesen Dingen schon hilft", betont Alguersuari. Buemi fügt zustimmend an: "Wir haben im Winter gut trainiert, sind viel Kart gefahren, waren auch viel im Simulator. Alles, was wir auf diese Weise verbessern konnten, haben wir verbessert. Jetzt werden wir auf der Strecke sehen, wie viel das gebracht hat."

"Ich sehe uns in einer guten Position, glaube, dass wir einen guten Job machen können - bestimmt besser als im Vorjahr", ist Alguersuaris Eindruck nach den Wintertestfahrten. Das wäre aber auch kein großes Kunststück: Der Katalane schied in bisher acht Formel-1-Rennen fünfmal aus und erreichte einen 14. Platz als bestes Ergebnis. Im Qualifying war er nie besser als Zwölfter. Doch fairerweise muss man anmerken, dass er 2009 vor und nach seinem überraschenden Einstieg in die Königsklasse keinen einzigen Testtag absolvieren konnte.

Mitten in der ersten Verfolgergruppe?

Umso mehr nimmt er sich nach über 3.000 Testkilometern im Februar für 2010 vor: "Hoffentlich Red Bull, Ferrari, McLaren sind vorne. Dahinter kommt dann die zweite Gruppe, zu der wir hoffentlich auch gehören", so Alguersuari. "Wir wollen vor Force India, Williams und so weiter an die Spitze dieser Gruppe kommen und regelmäßig punkten. Sebastian Vettel hat bewiesen, dass man auch mit Toro Rosso ein Rennen gewinnen kann. Das muss das Ziel für mich und das Team sein, auch wenn es natürlich unheimlich schwierig ist. Aber man muss sich immer die höchsten Ziele setzen."

Franz Tost

Franz Tost visiert in der Konstrukteurs-WM eine Verbesserung an Zoom

"Wir wollen in der Konstrukteurswertung mindestens auf Platz acht", geht es Teamchef Franz Tost etwas realistischer an. Aber auch dafür wird Toro Rosso vier Gegner hinter sich lassen müssen. Man darf vorsichtig ausgesehen, dass die drei neuen Teams Lotus, Virgin und HRT schlagbar sein sollten, doch für Platz acht müssen Buemi/Alguersuari auch einen etablierten Gegner, zum Beispiel Renault, Williams oder Force India, besiegen.

"Der STR5 hat sich als überaus zuverlässig erwiesen. Niemals zuvor in seiner fünfjährigen Geschichte ist das Team so gut vorbereitet in eine neue Saison gegangen", sagt Tost. "So bleibt jetzt nur noch die Frage offen: Wie schnell sind wir? Auf die Antwort müssen wir vermutlich warten, bis Qualifikation und Rennen in Bahrain vorüber sind. Überraschungen kann es höchstens in den ersten Rennen geben, dann wird das Entwicklungstempo die Reihenfolge bestimmen. Dabei spielen die Spitzenteams ihre Power aus. Ein kleines Team wie Toro Rosso kann mit den großen Vier nicht mithalten."


Fotos: Toro Rosso, Testfahrten in Barcelona


Saisonstatistik 2009:

Team:

Konstrukteurswertung: 10. (8 Punkte)
Siege: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Podestplätze: 0
Ausfallsrate: 38,2 Prozent (10.)
Durchschnittlicher Startplatz: 15,4 (10.)
Testkilometer 2010: 6.220 (4.)
Testbestzeiten 2010: 1 (6.)

Qualifyingduelle:

Buemi vs. Alguersuari: 7:1
Buemi vs. Bourdais: 7:2

Sébastien Buemi (Startnummer 16):

Fahrerwertung: 16. (6 Punkte)
Gefahrene Rennen: 17/17
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 14,2 (19.)
Bester Startplatz: 6.
Bestes Rennergebnis: 7.
Ausfallsrate: 29,4 Prozent (23.)
Testkilometer 2010: 2.914 (9.)
Testbestzeiten 2010: 0 (12.)

Jaime Alguersuari (Startnummer 17):

Fahrerwertung: 24. (0 Punkte)
Gefahrene Rennen: 8/17
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 16,1 (23.)
Bester Startplatz: 12.
Bestes Rennergebnis: 14.
Ausfallsrate: 62,5 Prozent (25.)
Testkilometer 2010: 3.307 (5.)
Testbestzeiten 2010: 1 (5.)