FIA: Darum hat die FIA nur Andretti die Startplatz-Zusage erteilt

Michael Andretti hat grünes Licht, zumindest seitens der FIA - aber warum wird GM nicht mehr erwähnt und was könnte ein Streik damit zu tun haben?

(Motorsport-Total.com) - Am 2. Februar 2023 hat der Automobil-Weltverband FIA jenen Prozess gestartet, der am 2. Oktober dazu führte, dass Andretti offiziell den Zuschlag für einen Startplatz als elftes Team in der Formel 1 erhalten hat. Ab 2025 könnte das amerikanische Team nun an der Weltmeisterschaft teilnehmen. Zumindest theoretisch. Denn praktisch gibt's da noch ein paar ganz entscheidende Stolpersteine aus dem Weg zu räumen.

Titel-Bild zur News: Michael Andretti

Dass Michael Andretti Formel 1 machen wird, steht noch nicht sicher fest Zoom

Andretti war zuletzt eins von vier Projekten, die noch im Rennen waren. Motorsport-Total.com hat am 22. September exklusiv veröffentlicht, vor der offiziellen Mitteilung der FIA, dass drei davon abgelehnt wurden. Es handelte sich dabei um Hitech, LKYSUNZ und Rodin Carlin. Somit blieb zu dem Zeitpunkt nur noch Andretti als mögliches elftes Team in der Formel 1 übrig.

Ursprünglich hatten sich aber sieben und nicht vier Teams um einen Startplatz beworben. Neben den genannten Projekten meldeten sich zunächst auch ein Milliardär aus Hongkong, Calvin Lo, der ehemalige BAR-Miteigentümer Craig Pollock und das südkoreanische Projekt Panthera beim Verband.

Für diese erste Verfahrensrunde mussten die sieben Projekte eine "preliminary expression of interest" einreichen, wie es in einem PDF-Dokument der FIA heißt - also eine vorläufige Interessenbekundung. Dafür war eine Anmeldegebühr in der Höhe von 20.000 US-Dollar zu entrichten, die alle sieben bezahlt haben.

In dieser ersten Runde mussten die Bewerber unter anderem "die Identität aller Aktionäre und des letztendlichen wirtschaftlichen Eigentümers aller Aktien" sowie "einen Lebenslauf für jedes Verwaltungsratsmitglied und jede Führungskraft des Bewerberunternehmens" einreichen.

Runde 1: Drei Bewerber steigen aus

Die FIA prüfte die eingereichten Unterlagen und sendete allen sieben Bewerbern eine formelle Antwort mit der Bitte um weitere Informationen in Form eines detaillierten Fragebogens. Wer weiter im Verfahren bleiben wollte, musste an dem Punkt weitere 280.000 Dollar überweisen. Da verabschiedeten sich Calvin Lo, Craig Pollock und Panthera aus dem Verfahren.

Somit blieben unterm Strich vier ernsthafte Bewerber übrig, die bereit waren, die vollen 300.000 Dollar an die FIA zu überweisen. Und bei der FIA ging die Arbeit jetzt so richtig los, denn die umfangreichen Unterlagen mussten sorgfältig geprüft werden.

Denn seitens der FIA war es nicht damit getan, die eingereichten Dokumente der Bewerber zu lesen und sich für denjenigen zu entscheiden, der Präsident Mohammed bin Sulayem persönlich am besten gefällt. Sondern die Bewerbungen mussten auf Basis der im Bewerbungsverfahren definierten Kriterien genau überprüft und der Inhalt der Bewerbungen auf Plausibilität und Wahrheitsgehalt gecheckt werden.

Die FIA hat den drei ausgesiebten Teams gegenüber ihre Entscheidung detailliert begründet. Öffentlich zugänglich sind diese Begründungen allerdings nicht. Weshalb über den Inhalt der Absagebriefe Stand heute nur spekuliert werden kann. Auch die Teams geben die Briefe nicht an Medienvertreter weiter. Sie sind an eine Verschwiegenheitserklärung mit der FIA gebunden.

Sicher ist, dass sich die FIA die Absagen nicht leicht gemacht hat. Wenn auch nur eine der Begründungen für eine Absage nicht hundertprozentig wasserdicht und rechtssicher ist, könnte der abgelehnte Bewerber theoretisch entscheiden, vor ein Gericht zu ziehen und sich das Recht auf einen Startplatz gegen die FIA einzuklagen. Das wäre für den Verband eine mittlere Katastrophe.

Die verbliebenen Bewerber: Hitech, LKYSUNZ und Rodin Carlin

Hitech soll, so hört man, noch am nächsten an einem Zuschlag dran gewesen sein. Das britische Team bringt Erfahrung aus dem Formelsport mit und einen passablen Finanzierungsplan. Hinter der Finanzierung stand allerdings Wladimir Kim, ein kasachischer Milliardär. Möglich, dass letztendlich Zweifel über dessen Background nicht ausgeräumt werden konnten.

LKYSUNZ überzeugte mit dem wahrscheinlich besten Diversitätskonzept. Diversität von Personal und ökologische Nachhaltigkeit zählten zum ersten Mal in einem Aufnahmeverfahren der FIA zu den wichtigsten Bewertungskriterien. Was LKYSUNZ-CEO Benjamin Durand nicht überzeugend verkaufen konnte, war sein Konzept, sportlich konkurrenzfähig an der Formel 1 teilnehmen zu können.

Durand wollte sich einen technischen Partner suchen, der nicht nur die Powerunits liefert, sondern auch andere Komponenten, vergleichbar mit der Partnerschaft zwischen Haas und Ferrari. Langfristig sollte in der Nähe von Kuala Lumpur ein Hauptquartier aufgeschlagen werden, mit asiatischen und afrikanischen Ingenieuren, für die es heute noch keinen Karriereweg in die Formel 1 gibt.

Zuletzt präsentierte LKYSUNZ auch noch einen neuen Investor aus Florida, die Sportinvestmentgruppe Legends Advocates aus Florida, die Durand die Zusage gab, bis zu einer Milliarde Dollar Kapital bereitzustellen, sollte das Projekt den Zuschlag für einen Startplatz in der Formel 1 erhalten.

Kleiner Affront um LKYSUNZ' Pressemitteilung

LKYSUNZ machte außerdem einen spannenden Vorstoß, als per Presseaussendung angeboten wurde, statt 200 freiwillig 600 Millionen Dollar Antiverwässerungsgebühr an die bestehenden Teams zu bezahlen. Ein Vorstoß, den die bestehenden Teams wahrscheinlich begrüßt haben, der aber bei der FIA gar nicht gut ankam. Der Eindruck, man verscherble die Startplätze womöglich an den Höchstbietenden, soll die Sulayem-Administration gekränkt haben.

LKYSUNZ entschuldigte sich für den Eindruck, der entstanden war, in einer weiteren Presseaussendung, doch da war es schon zu spät. Die FIA hatte die Bewerbung bereits lange vor der LKYSUNZ-Presseaussendung final abgewiesen und ist auch nicht bereit, diese Entscheidung neu zu bewerten. Auch wenn sich Durand das immer noch wünscht.

Und Rodin Carlin hatte wohl von Anfang an keine ernsthafte Chance, den Zuschlag zu erhalten. Rodin ist ein Rennwagenbauer aus Neuseeland, und das Team hätte in Neuseeland seine Zelte aufgeschlagen. Das ist allein schon wegen der Flugverbindungen eine enorme logistische und finanzielle Herausforderung, die zu bewältigen fast unmöglich gewesen wäre.

Inzwischen wurde bekannt, dass Rodin Carlin im Zuge des Diversitätskonzepts zugesichert hat, eine Frau in eins der beiden Cockpits zu setzen. Die dreimalige Meisterin der W-Frauenserie, Jamie Chadwick, hatte sogar schon einen Test in einem Rodin-Formelwagen absolviert. Möglich, dass sie für Rodin Carlin Formel 1 gefahren wäre.

Was alles für Andretti gesprochen hat

Somit blieb letztendlich nur Andretti übrig. Das amerikanische Projekt war allen anderen Bewerbern in fast allen Belangen haushoch überlegen. Während manche Bewerber noch nicht einmal eine technische Vereinbarung mit einem Partnerteam präsentieren konnten, hat Andretti sogar die offizielle Zusage eines neuen Herstellers: Cadillac beziehungsweise General Motors (GM).

Interessant: In der Presseaussendung der FIA zum Zuschlag für Andretti wird GM mit keiner Silbe erwähnt. Was möglicherweise an den aktuellen Lohnverhandlungen des Konzerns mit der Gewerkschaft UAW (United Auto Workers) liegt und rein taktische Hintergründe haben könnte.

Die UAW verhandelt gerade mit den Autokonzernen GM, Ford und Stellantis über Gehaltserhöhungen für die nächsten vier Jahre. Die Gewerkschaft hatte mehr als 40 Prozent gefordert, GM bietet aktuell 20 Prozent als Kompromiss an. Ein Notfallangebot, denn die UAW hatte bereits mit Streik gedroht.

Vor diesem Hintergrund würde es in der öffentlichen Wahrnehmung wahrscheinlich nicht gut ankommen, wenn GM mit großem Trommelwirbel einen Einstieg in das Milliardenbusiness Formel 1 ankündigt. Weswegen das Thema mutmaßlich auf Sparflamme gekocht wird.

Zumindest vorübergehend, und zumindest in der offiziellen FIA-Kommunikation. Denn auf dem Pressestatement, das das Andretti-Team am Montagabend zur FIA-Entscheidung veröffentlicht hat, ist das Cadillac-Logo sehr wohl präsent.

Was Andretti jetzt noch bevorsteht

Doch Andretti ist (das wird auch in der aktuellen Ausgabe des Formel-1-Podcasts Starting Grid ausführlich erörtert) mit dem Zuschlag durch die FIA noch lange nicht durch. Jetzt steht der schwierigere Teil des Prozesses bevor, denn bevor Andretti wirklich an Grands Prix teilnehmen kann, ist eine Einigung mit dem Eigentümer der Formel 1, dem amerikanischen Medienkonzern Liberty Media, erforderlich.


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Und zwar zwingend. Medienberichte, wonach Andretti theoretisch auch ohne "Concorde-Deal" mit Liberty Media antreten könnte und dann eben kein Geld aus dem Preisgeldtopf erhalten würde, sind falsch. Dass es einen kommerziellen Vertrag mit dem Rechteinhaber geben muss, ist seit 2021 in den aktuellen Concorde-Verträgen ausdrücklich festgehalten.

Wichtig dabei ist: Liberty Media führt die Gespräche mit Andretti ganz allein und muss letztendlich auch über die Bewerbung entscheiden. Die zehn bestehenden Teams mögen zwar eine Meinung zu einer potenziellen Aufnahme haben, und diese Meinung wird mit Sicherheit wahrgenommen. Formelle Entscheidungsgewalt haben die Teams aber nicht.

Ist die Antiverwässerungsgebühr rechtswidrig?

Gegenstand der Gespräche mit Liberty wird sicherlich auch die sogenannte "Anti-Dilution-Fee" sein, eine Antiverwässerungsgebühr, die Andretti einzahlen muss und die unter den zehn bestehenden Teams aufgeteilt wird. Weil den bestehenden Teams Einnahmen entgehen, wenn von ihrem Futternapf in Zukunft elf statt zehn Teams fressen.

Vorgesehen ist eine Antiverwässerungsgebühr in der Höhe von 200 Millionen Dollar. Viel zu wenig, sagen die einen, etwa McLaren-CEO Zak Brown in einem exklusiven Interview mit Motorsport-Total.com. Er würde rund 700 Millionen Dollar, also durchschnittlich 70 Millionen für jedes der zehn Teams, als angemessen empfinden.

Doch es gibt auch andere Meinungen im Paddock. Ob eine Antiverwässerungsgebühr überhaupt wettbewerbsrechtlich zulässig ist, stellen manche in Frage. Es könnte einen Verstoß gegen die kartellrechtlichen Bestimmungen der EU-Wettbewerbsbehörde darstellen. Zumindest rein theoretisch könnte Andretti den Rechtsweg bestreiten, um gar keine "Anti-Dilution-Fee" zahlen zu müssen. Ausgang offen.

Tatsache ist, dass eine Einigung mit Liberty Media kein Selbstläufer ist. Und ein Einstieg 2025, wie ihn zumindest die FIA genehmigt hat, auch nicht. Erstens, weil bis 2025 kaum noch Zeit ist. Selbst die bestehenden zehn Teams, deren Infrastruktur bereits vorhanden ist, haben inzwischen mit ersten Projektvorarbeiten für ihre 2025er-Autos begonnen.

Zweitens, weil 2025 das letzte Jahr der aktuellen Concorde- und Regelperiode ist. Für 2026 muss ein neues Concorde-Agreement ausgehandelt werden und es greifen völlig neue Regeln, sowohl im Chassis- wie auch im Powerunit-Bereich. Für ein einziges Jahr einen so hohen Aufwand zu betreiben, wie er für Andretti für 2025 erforderlich wäre, ist zumindest eine enorme Herausforderung.

Eine ausführliche Diskussion über den FIA-Bewerbungsprozess, den gründlichsten in der Geschichte der Formel 1, und die Möglichkeiten, wie es nun für Andretti weitergehen könnte, gibt's in der neuesten Ausgabe des Podcasts Starting Grid, der jetzt auf dem YouTube-Kanal von Formel1.de verfügbar ist.