Ex-McLaren-Mann Ramirez: "Lewis' Abschied war unglücklich"

(Motorsport-Total.com) - Der langjährige McLaren-Teammanager Jo Ramirez gilt als intimer Kenner des Rennstalls aus Woking und erlebte die legendären Stallkriege zwischen Alain Prost und Niki Lauda sowie dem Franzosen und Ayrton Senna aus nächster Nähe - auch am Aufstieg von Superstar Lewis Hamilton war er direkt beteiligt.

© Ennstal-Classic/Peter Meierhofer

Jo Ramirez pflegt nach wie vor seine Kontakte zum McLaren-Team Zoom

2001 verabschiedete sich der inzwischen 71-Jährige nach rund 40 Jahren Formel 1 in den Ruhestand, ist aber nach wie vor in regelmäßigem Kontakt mit seinen ehemaligen Kollegen. Beim Interview im Rahmen der Oldtimer-Rallye Ennstal-Classic sprach er über die Krise bei seinem Ex-Team, den verunglückten Abschied von Lewis Hamilton, Ron Dennis' schwere Zeiten und die Leistungen seines Schützlings und Landsmannes Sergio Perez.

Frage: "Jo, das McLaren-Team ist dieses Jahr so schlecht wie schon lange nicht - was sagst du dazu?
Jo Ramirez: "Grundsätzlich haben sie eine falsche Entscheidung getroffen. Es war falsch, für dieses Jahr ein komplett neues Auto zu bauen. Wo doch schon im nächsten Jahr wieder alles anders sein wird, weil es ja bekanntlich ein neues Reglement geben wird."

"Alle anderen haben lediglich eine Evolution des Vorjahresautos gebaut - McLaren entschied sich für ein neues Auto, obwohl der Vorjahreswagen eines der besten Autos war. Das war einfach ein schwerer Fehler."

Ramirez kritisiert Hamiltons Abgang

"Am Beginn der Saison fehlten dem McLaren zwei Sekunden auf die Spitze, jetzt liegen sie rund eine Sekunde zurück. Nur weiß man nicht, wie sehr sich die anderen Teams dieses Jahr noch verbessern werden. Normalerweise ist McLaren sehr gut im Entwickeln des Fahrzeugs, aber dieses Auto hatte einen dermaßen großen Rückstand, dass es viel länger dauert, diesen Rückstand aufzuholen."

Frage: "Glaubst du, dass McLaren 2014 mit dem neuen Reglement gleich wieder an der Spitze mitfahren kann?"
Ramirez: "Ich denke, nächstes Jahr beginnen alle mit einem weißen Blatt Papier. Aber der McLaren wird wohl wieder ein gutes Auto sein, es ist ein großes Team mit einer sehr starken Infrastruktur und sehr guten Ingenieuren. Vom Budget her haben sie zwar nicht so viel wie in früheren Zeiten, aber es sollte okay sein. Aber es ist einfach schade, wenn man ein ganzes Jahr verliert. In diesem Geschäft darfst du einfach kein ganzes Jahr verlieren, man gerät heutzutage sehr schnell in Vergessenheit."

Frage: "Hat Lewis Hamilton demnach die richtige Entscheidung getroffen, McLaren zu verlassen?"
Ramirez: "So wie McLaren zurzeit agiert, trifft das zu. Vielleicht hatte er ja eine Vorahnung? (lacht). Aber ein Rennfahrer sucht in seiner Karriere immer wieder eine neue Herausforderung. Ich bin ihm nicht böse, dass er sich dazu entschieden hat, in ein anderes Team zu wechseln. Aber ich bin nicht glücklich mit der Art und Weise, wie er es getan hat. Er hätte das besser lösen können."

Frage: "Wie meinst du das? War der Abschied unschön?"
Ramirez: "Ich bin mir nicht ganz sicher, aber was ich gehört habe, sollen zwischen ihm und Ron Dennis raue Worte gefallen sein - doch Ron Dennis hat ihm eigentlich die Chance seines Lebens eingeräumt. Ich denke, da hätte sich Lewis ein bisschen loyaler verhalten können. Natürlich ist er einer der Spitzenpiloten, es gelingt ihm immer wieder, sein Können aufzuzeigen - und dann denken diese Fahrer eben, dass sie tun können, was sie wollen."

"Aber wie ich zuvor gesagt habe: Wenn er eine neue Herausforderung gesucht hat - warum nicht? Und Mercedes war eine interessante Herausforderung und das diesjährige Auto läuft gut. Aber die Art und Weise, wie er McLaren verlassen hat, hätte ein bisschen netter sein können."

Ramirez: Dennis wird sehr frustriert sein

Frage: "Ron Dennis wurde dieses Jahr bereits an der Rennstrecke gesichtet - hältst du es für möglich, dass er wieder zurückkehrt?"
Ramirez: "Ich weiß es wirklich nicht."

Frage: "Dass er angesichts der Krise wieder das Zepter übernehmen möchte?"
Ramirez: "Ich bin mir nicht sicher. Im Team hat sich vieles verändert, die Dinge sind sehr politisch geworden. Ron ist komplett ausgeschieden aus dem Rennteam, er arbeitet im Seriensegment der McLaren-Gruppe. Ich bin mir sicher, dass er sehr frustriert sein wird, weil McLaren zurzeit so schlecht ist. Because if McLaren doesn?t win on Sunday he can?t sell on Monday. Das ist durchaus verständlich. Aber ob er hier etwas unternehmen kann und will, das kann ich nur schwer einschätzen."

Frage: "Steht Ron Dennis in der Hierarchie über dem Rennteam mit seinem Nachfolger Martin Whitmarsh?"
Ramirez: "Ron ist der Boss der gesamten McLaren-Gruppe, das stimmt natürlich - aber das Rennteam leitet zu hundert Prozent Martin Whitmarsh. Ich bin überzeugt davon, dass Ron sehr verärgert ist über die Dinge, die zurzeit passieren, und er wird wohl auch versuchen, das zu ändern."

Frage: "McLaren war nur selten so wenig erfolgreich..."
Ramirez: "Ja, in den 1990er-Jahren gab es eine kurze erfolglose Phase. Aber ich bin sicher, dass McLaren an die Spitze zurückkehren wird - denn sie wissen, wie man an die Spitze gelangt, und ich bin überzeugt, dass sie wieder erfolgreich sein werden."

"Aber derzeit haben sie wirklich eine sehr schwierige, delikate Position eingenommen. Ich wünsche dem Team nur das Beste - für mich ist es sehr schmerzhaft, zu beobachten, was dieses Team zurzeit durchmacht."

Frage: "Besuchst du das Team regelmäßig im Werk?"
Ramirez: "Nein, gar nicht. Ich lebe in Spanien und war schon seit Jahren nicht mehr in der Fabrik."

Ramirez kann Kritik an Perez nicht nachvollziehen

Frage: "Telefonierst du regelmäßig mit Ron Dennis?"
Ramirez: "Nein, nicht mit Ron. Meine Kontaktperson ist hauptsächlich Martin Whitmarsh. Ich habe sehr viel gepuscht, um Sergio Perez ins Team zu bringen. Aber seither schaue ich höchstens einmal bei einem Test in Jerez vorbei und sage Hallo zu ihnen."

"Und das ist auch normal - wenn du ein Team verlässt, wenn du die Formel 1 verlässt, dann tust du das aus einem guten Grund und zur Gänze. Du kannst die Formel 1 nicht teilweise verlassen, die Arbeit dort ist sehr intensiv."

Frage: "Du hast Perez erwähnt - wie zufrieden bist du mit seiner Performance? Er schlägt sich beachtlich, nicht wahr?"
Ramirez: "Ja, was seinen Teil anbelangt, erledigt er wirklich einen guten Job. Er ist in der Lage, Jenson (Button, Anm) herauszufordern, das ist eine gute Leistung. Er wurde dafür kritisiert, dass er zu viel riskiert - zum Beispiel in Monaco. Aber wenn du nichts riskierst, dann bist du kein Rennfahrer. Und Sergio überholt Button und Alonso zugleich - das ist doch großartig."

Frage: "Ja, er hat sich gut entwickelt. Denn als er in die Formel 1 kam, wurde er als Paydriver angesehen - jetzt ist er ein payed driver..."
Ramirez: "Ja. Und bei McLaren war er von Anfang an kein Paydriver, denn du wirst auf dem Auto kein Telmex-Logo finden, weil das nicht zu McLaren-Sponsor Vodafone passt. McLaren wollte ihn als Fahrer, weil er zeigen konnte, dass er ein guter Pilot ist."

"Das war auch bei Lewis Hamilton nicht anders, als er in die Formel 1 geholt wurde. Er war ein kleines Greenhorn und es gab Bedenken, dass er viel zu jung für die Formel 1 sei - doch es gab damals keine Alternative und er hat gezeigt, dass er ein guter Pilot ist."

"Sergio ist auf einem guten Weg - auch wenn das Auto zurzeit weniger gut ist. Aber er weiß, dass McLaren schlussendlich wieder ein gutes Auto haben wird. Und er lernt die ganze Zeit über sehr viel dazu."