• 28.07.2011 12:21

  • von Michael Noir Trawniczek

Ramirez: "Ohne Aggressivität, wirst du nie Weltmeister"

Der frühere McLaren-Manager Jo Ramirez verteidigt die Fahrweise von Lewis Hamilton: Alle großen Champions seien aggressiv gefahren

(Motorsport-Total.com) - Am vergangenen Wochenende konnte Lewis Hamilton seinen zahlreichen Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen: Ein Sieg ist immer noch die bestmögliche Antwort eines Piloten, wenn er in der Kritik steht. Zuvor war Hamilton wegen seiner für einige Experten "zu aggressiven Fahrweise" zum Teil sehr heftig kritisiert worden. Jo Ramirez, der langjährige Teammanager von McLaren, der heute noch enge Kontakte zum Rennstall pflegt, hat sich im Rahmen der Ennstal-Classic schützend an die Seite von Lewis Hamilton gestellt.

Titel-Bild zur News: Jo Ramirez

Jo Ramirez war in diesem Jahr bei der Ennstal-Classic zu Gast

Im Gespräch mit 'motorline.cc' erklärt der Mexikaner: "Ich finde nicht, dass Lewis zu aggressiv gefahren ist. Es ist halt ein paar Mal schief gegangen, aber das sind Rennunfälle. Und wenn du nicht aggressiv bist, dann wirst du niemals Weltmeister. Nigel Mansell war aggressiv, Ayrton Senna war aggressiv, alle Spitzenfahrer waren aggressiv. Lewis wäre niemals Weltmeister geworden, wenn er nicht aggressiv gefahren wäre."

Ramirez nennt ein Beispiel: "In Monaco gab es zwischen Lewis und Massa ein Problem, später gab es ein Problem mit Maldonado - im gleichen Rennen wurde Schumacher von Lewis überholt und es gab kein Problem. Bei Massa war Lewis vielleicht etwas zu erregt, aber Maldonado hätte wissen müssen, dass es zu einem Unfall führt, wenn er ihn nicht ziehen lässt. Was sagt uns das? Zwei Weltmeister mit einem aggressiven Zugang schaffen es selbst in Monaco, einander ohne Probleme zu überholen."

Charakterkopf wirklich erwünscht?

Ramirez räumt ein: "Sicher gibt es Zwischenfälle, sicher hat sich Lewis auch einmal verschätzt. Es sind aber immer nur die Ex-Piloten, die ihn kritisieren. Die aktuellen Fahrer tun das nicht." Die stärkste Kritik kam mit Sicherheit von Niki Lauda. Er zeichnete ein Bild von einem "übergeschnappten" Hamilton, der das Leben seiner Konkurrenten gefährde. Zudem äußerte sich Lauda kritisch über den Kleidungs- und Lebensstil des Briten. Dies würde ihn von seiner Aufgabe als Formel-1-Pilot ablenken.

Ramirez nickt und sagt: "Die Art, wie er sein Leben außerhalb des Cockpits führt, hat Lewis natürlich nicht geholfen, aber es ist sein persönlicher Stil. Zusammen mit der Aggressivität hatte das zur Folge, dass ihn die Leute die ganze Zeit über kritisiert haben." Paradox: Einerseits wird von den "guten alten Zeiten" geschwärmt, als es noch charismatische Figuren wie einen James Hunt gab, doch geht dann jemand seinen eigenen Weg, wird er dafür hart kritisiert.

"Die Medien, die Sponsoren, die FIA - alle üben Druck auf die Fahrer aus." Jo Ramirez

Ramirez sieht es ähnlich: "Die Medien, die Sponsoren, die FIA - alle üben Druck auf die Fahrer aus. Sie wollen ihnen sagen, wie sie aufzutreten haben. Für mich besteht der Motorsport nicht nur aus Autos und Motoren - es gibt auch die Rivalität zwischen den Piloten, es gibt verschiedene Persönlichkeiten, all das gehört dazu."¿pbvin|512|3919||0|1pb¿

Zu viele Strafen?

Auch in punkto Überholmanöver ortet Ramirez einen Widerspruch: "Was zurzeit passiert, ist schlimm. Die Leute wollen mehr Überholmanöver, die Verantwortlichen wollen mehr Überholmanöver - und wenn dann jemand ein Überholmanöver versucht, wird er bestraft. Das ist unglaublich. Soll jetzt nur noch in der DRS-Zone überholt werden? Das ist doch verrückt! Das ist nicht der Sinn dieses Sports."

"Lewis probiert es in jeder Kurve - wie Senna. Es stimmt, was er gesagt hat: 'Wenn du nicht mehr versuchst, jede Lücke auszunützen, dann bist du kein Rennfahrer mehr!' Das stimmt auch heute noch." Ramirez weiter: "Manchmal unterschätzt Lewis seine Gegner, aber das kann passieren. Das ist auch einem Senna oder einem Lauda passiert."

"Manchmal unterschätzt Lewis seine Gegner, aber das kann passieren." Jo Ramirez

Die Fotomontage der 'Sportwoche', die vor einigen Wochen das Fahrerlager in Aufregung versetzte - sie zeigte Lewis Hamilton im blauen Red-Bull-Overall - hat Ramirez nicht gesehen, für ihn wurde die Bedeutung des Treffens zwischen Christian Horner und Hamilton medial hochgespielt. "Ich glaube, das wurde überbewertet. Vettel und Hamilton in einem Team sehe ich als schwierig, denn Vettel war immer das Nesthäkchen von Red Bull, Herrn Marko und Herrn Mateschitz."

"Für Lewis ist es halt seine einzige Karte im Gehaltspoker. McLaren kann sagen: 'Du willst gehen? Wohin willst du gehen? Zu Ferrari kannst du nicht gehen. Wohin gehst du also? Mercedes? Vielleicht. Renault? Okay, versuche es!' McLaren ist aber ein gutes Team. Ich würde ihm raten, dort zu bleiben."


Fotos: McLaren, Großer Preis von Deutschland


Hamilton soll bei McLaren bleiben

Mit seinem aktuellen Teamkollegen Jenson Button könne Hamilton zufrieden sein, findet Ramirez, der als McLaren-Teammanager den "kalten Krieg" zwischen Alain Prost und Ayrton Senna Ende der 1980er-Jahre miterlebt hat. Ramirez sagt: "Jenson und Lewis kommen sehr gut miteinander aus. In Kanada gab es ein Problem, da sind sie kollidiert, aber sonst respektieren die beiden einander und normalerweise passiert auch nichts."

"Du kannst die beiden gemeinsam bei Promotion-Terminen sehen. Wenn sie sich nicht leiden könnten, würden sie unter keinen Umständen gemeinsam an solchen Aktionen teilnehmen. Und die beiden gehen auch öfter mal zusammen Abendessen. Die beiden sind ein sehr gutes Team. Sie respektieren einander, sie schätzen einander und ich hoffe, dass sie auf diese Art und Weise weitermachen."

"Die beiden sind ein sehr gutes Team." Jo Ramirez

Bleibt noch die Frage, ob das McLaren-Team langfristig etwas gegen Adrian Newey und dessen ausgezeichnetes Red-Bull-Team ausrichten kann? Ramirez sagt: "Ich hoffe es - und zwar nicht nur, weil es 'mein' Team ist, für das ich so lange gearbeitet habe. Es wäre für die gesamte Formel 1 gut, wenn es ausgeglichener wäre. Derzeit ist Red Bull einfach viel zu gut, aber wenn du die Geschichte der Formel 1 verfolgst, siehst du, dass kein Team für immer dominieren kann."

"Wir müssen aber zugeben, dass Adrian Newey ein absolutes Genie ist. Ich sehe auch niemanden, der in Zukunft seine Rolle übernehmen kann. Das ist gut für ihn, aber ich hoffe, dass McLaren und auch Ferrari etwas finden werden. Ich bin sicher, dass ihnen das gelingt."