• 05.04.2008 19:40

  • von Dieter Rencken

Das große Interview mit Sam Michael

Williams' Technischer Direktor Sam Michael spricht offen über Motorenpartner Toyota, KERS, die neue Formel 1 ab 2009 und Nico Rosberg

(Motorsport-Total.com) - Seit Sam Michael bei Williams technisch gesehen das Kommando von Patrick Head übernommen hat, machte das Team mehr schwierige als schöne Zeiten durch, aber so langsam scheint sich der Traditionsrennstall wieder zu erfangen. Das ist mit ein Verdienst des noch jungen Australiers, der für seine berechnende und analytische Art bekannt ist und damit perfekt nach Grove passt.

Titel-Bild zur News: Sam Michael

Sam Michael ist Technischer Direktor des Traditionsrennstalls Williams

Nach dem heutigen Qualifying in Bahrain nahm sich Michael ausführlich Zeit, um mit 'Motorsport-Total.com' einige Themen zu besprechen, die in der Formel 1 hinter den Kulissen vor sich gehen - und zwar abseits der Mosley-Affäre, derer wir langsam überdrüssig werden. Unter anderem analysierte der Mastermind die Motorenpartnerschaft mit Toyota, die Arbeit der Overtaking-Working-Group, durch die wieder mehr überholt werden soll, und vieles mehr.#w1#

Gute Partnerschaft mit Toyota

Frage: "Sam, wie entwickelt sich eure Motorenpartnerschaft mit Toyota? Ihr seid ja von den Zeiten her sehr eng beisammen, wie man auch heute im Qualifying wieder sehen konnte..."
Sam Michael: "Gut. Es lief eigentlich von Anfang an gut. Toyota hatte ein gemeinsames Ziel mit uns, denn sie wollten ihre Zuverlässigkeit verbessern. Dafür sind zwei Teams sehr wertvoll. Außerdem wollen sie auch, dass wir sie pushen, und ich denke, dass wir da gegenseitig sehr hilfreich sind. Hoffentlich führt das dazu, dass Toyota und Williams noch weiter nach vorne kommen werden."

"Eine Sache, die von Anfang an hervorragend war, war der Zugang. Sie unterstützten uns mit ihren Getriebeprüfständen, bei Kraftübertragung, Traktionskontrolle. Das geht dieses Jahr so weiter. Wir haben ein gemeinsames Programm, im Zuge dessen einige unserer Ingenieure für Prüfstandstests in Köln sind. Dieser offene Umgang ist die große Stärke dieser Partnerschaft."

"Dieser offene Umgang ist die große Stärke dieser Partnerschaft." Sam Michael

Frage: "Im Vorjahr hattet ihr das gleiche Getriebe wie Toyota, jetzt habt ihr aber ein eigenes. Arbeitet ihr trotzdem noch auf ihren Prüfständen weiter?"
Michael: "Ja. Daran hat sich nichts geändert."

Frage: "Macht ihr euch keine Sorgen wegen eines möglichen Wissenstransfers oder dergleichen?"
Michael: "Nicht wirklich. Diese Dinge sind inzwischen sehr gut entwickelt. Das Getriebe ist ja nicht komplett anders als vor zwölf Monaten. Das wird es in zwei oder drei Jahren sein, aber nicht jetzt."

Frage: "Am Motor kann wegen der Homologierung kaum etwas gemacht werden. Hat es in den vergangenen 15 Monaten Verbesserungen in puncto Leistung und Fahrbarkeit gegeben?"
Michael: "Nicht unbedingt hinsichtlich der Leistung, aber die Fahrbarkeit des Toyota-Motors war immer gut, was jetzt, ohne Traktionskontrolle, besonders auffällt. Beide Fahrer sagen, dass der Motor sehr fahrbar ist. Was die Leistung angeht, findet man da und dort im Benzin- und Ölbereich ein bisschen was, aber mechanisch darf man nicht wirklich etwas ändern."

Energierückgewinnung und Co.

Frage: "Glaubst du, dass ihr durch die gute Fahrbarkeit vom Verbot von Traktionskontrolle und Motorbremse weniger betroffen seid als andere?"
Michael: "Ich hoffe es. Im Winter sah es zumindest danach aus. Jetzt kann man es nicht mehr sagen, weil man nicht weiß, wie sehr sich die Teams auch aerodynamisch weiterentwickeln."

Frage: "2009 soll KERS kommen. Arbeitet ihr da mit Toyota zusammen oder geht ihr euren eigenen Weg?"
Michael: "Wir arbeiten schon zusammen, aber nur was das Interface zum Motor betrifft. KERS selbst ist bei Toyota und bei uns ein separates Programm. Wir haben uns in Sachen KERS noch nicht endgültig auf ein Modell festgelegt. Das wird passieren, sobald wir das Auto testen. Die Simulationen absolvieren wir zum Teil auch bei Toyota."

"Wir haben uns in Sachen KERS noch nicht endgültig auf ein Modell festgelegt." Sam Michael

Frage: "Wo werden die größten Leistungsmerkmale liegen, wenn ein Fahrer 2009 die KERS-Power freisetzt? In der Höchstgeschwindigkeit, in der Beschleunigung?"
Michael: "In der Beschleunigung, denke ich. Ein Fahrer kann den Knopf natürlich auch am Ende der Geraden drücken, aber ich denke, es wird eher am Ausgang der Kurven sein, sobald die Traktion voll da ist und man die Kraft auf die Straße bringt. Das wäre bei 130, 140 km/h."

Frage: "Es gibt Stimmen, die wegen KERS eine Anhebung des Mindestgewichts fordern. Wisst ihr davon?"
Michael: "Ja. Das war vor einem Jahr. Ich glaube aber, dass beschlossen wurde, dass es keine Anhebung geben wird. Einige Teams machen da schon ein Weilchen Stimmung, aber das wurde zurückgewiesen."

Frage: "Wie stark wird sich KERS auf das Gesamtgewicht auswirken?"
Michael: "Mit mindestens 30 Kilo, maximal 50. Das verteilt sich ein bisschen im Motorenbereich."

Die Overtaking-Working-Group

Frage: "Rory Byrne hat mir kürzlich erzählt, dass ein Auto früher um zwei Sekunden schneller sein musste als das davor, um überholen zu können. Die Overtaking-Working-Group hat diese Differenz nun angeblich auf eine Sekunde reduziert. Was sagst du dazu?"
Michael: "In den Simulationen und im Windkanal sieht es wirklich so aus, aber solange wir es nicht auf der Strecke getestet haben, kann ich dazu nichts sagen. Wenn wir es wirklich auf eine Sekunde runterbringen, dann wäre das ein ziemlich guter Schritt."

Frage: "Wie anders werden die 2009er-Autos im Vergleich zu jetzt aussehen?"
Michael: "Ziemlich anders. Es gibt keine Barge-Boards mehr, keine Zusatzflügel, keine Auspuffkamine. Der Heckflügel ist viel kleiner, der Frontflügel um 400 Millimeter breiter. Das sieht gut aus. Ich finde, das Chassis zwischen Front- und Heckflügel ist optisch schön, aber die Flügel gefallen mir nicht. Aber das ist egal, es ist ja nur meine persönliche Meinung. Den Fans wird es gefallen."

"Den Fans wird es gefallen." Sam Michael

"Ich finde, dass die Overtaking-Working-Group mit Rory einen sehr guten Job gemacht hat. Sie hatten ja kein Auto, aber sie haben so viel wie möglich mit CFD und dem Windkanal erreicht. Ich finde es gut, dass die Formel 1 das veranlasst hat, und es ist klasse von Rory, Pat (Symonds) und Paddy (Lowe; Anm. d. Red.), dass sie sich Zeit genommen haben, das durchzuziehen. Es ist schon schwierig genug, so einen Job einfach zu machen, aber sie halsten sich auch noch etwas extra auf und entwickelten aus dem Stand einen guten Satz an Regeln, wie ich finde. Und ich kann wirklich sagen, dass das kein einfacher Job gewesen sein kann."

Frage: "Ein weiterer Vorschlag, der im Raum steht, betrifft die Budgetobergrenze. Viele Teams haben viel Geld in Windkanäle, CFD und so weiter investiert. War das rausgeschmissenes Geld?"
Michael: "Nicht mit der Budgetobergrenze. Beim letzten Meeting haben wir beschlossen, dass die Budgetobergrenze kommen soll, weil wir dann selbst entscheiden, wofür wir unser Geld ausgeben. Das bedeutet kein Verbot von CFD und Windkanälen. Eine Summe bezüglich der Budgetobergrenze habe ich noch nicht gehört."

Der Unterschied zwischen Rosberg und Nakajima

Frage: "Kommen wir zu euren Fahrern, Nico Rosberg und Kazuki Nakajima. Der Abstand zwischen den beiden scheint immer gleich zu sein, wenn man die bisherigen Rennwochenenden vergleicht. Gibt es dafür eine Erklärung?"
Michael: "Einer von beiden ist ein Rookie, während der andere seit vier Jahren Formel-1-Autos fährt. Das macht einen großen Unterschied. Beim Testen oder im Training liegen sie sehr eng beisammen, aber das Qualifying ist eine andere Geschichte. Da muss man wirklich etwas aus dem Köcher ziehen."

"Kazuki ist aber im Rennen sehr stark. In Melbourne hat er ein gutes Rennen gezeigt, dort wurde er Sechster. Auch Malaysia war mit einer schweren Benzinlast ein sehr gutes Rennen, aber nach dem Boxenstopp hatte er einen Reifenschaden. Die Rennen passen also, aber im Qualifying muss er sich noch steigern. Das weiß er auch. Nico ist da einfach sehr gut."

"Kazuki ist im Rennen sehr stark." Sam Michael

Frage: "Euer Resultat in Malaysia war nicht gut. War das ein einmaliger Ausrutscher?"
Michael: "Ich hoffe es. Wir wissen, warum es dazu kommen konnte, aber wir müssen Maßnahmen ergreifen, damit das Resultat nicht das gleiche ist, wenn es wieder zu so etwas kommt. Es liegt an der Fahrbahnbeschaffenheit. Malaysia hat eine sehr glatte Oberfläche, aber hier ist der Asphalt sehr rau. Das kommt uns eher entgegen. Ich denke, dass in Malaysia alle dieses Problem hatten, aber bei uns war es am schlimmsten."

Frage: "Nico Rosberg sagt, mehr als Platz acht ist kaum drin. Ihr seid das beste Team hinter den Top 3."
Michael: "Das stimmt. Da stehen wir im Moment."