• 14.11.2008 09:24

  • von Roman Wittemeier

Bosch-Entwicklungschef: Ein KERS für alle Fälle

Bosch-Motorsport-Entwicklungschef Oliver Wildner über die Herausforderungen beim Thema KERS und mögliche Einsatzgebiete

(Motorsport-Total.com) - Während sich die Formel-1-Teams offenbar mit der Entwicklung des neuen Hybridystems KERS schwer tun und gar eine Verschiebung des Debüts der neuen Technik auf 2010 anstreben, hat der deutsche Hersteller Bosch plötzlich ein fertiges System aus dem Hut gezaubert. In einem Baukasten-System werden einsatzbereite Lösungen für alle erdenklichen Rennserien angeboten - auch für die Formel 1. Wie die Entwicklung verlief und welche Technik man bei Bosch bevorzugte, beschrieb Bosch-Motorsport-Entwicklungschef Oliver Wildner im Interview mit 'Motorsport-Total.com'.

Titel-Bild zur News:

Im KERS-Baukasten können mehrere Schwungräder kombiniert werden

Frage: "Herr Wildner, wie empfinden sie das Thema KERS? Ist das in der Öffentlichkeit immer noch eine große Unbekannte?"
Oliver Wildner: "Nein. Ich glaube, dass die Renngemeinde sehr wohl etwas mit KERS anfangen kann, weil es durch die Formel 1 ins Gespräch gebracht wurde. Aber in der Gesamtbetrachtung muss man nach wie vor sagen, dass es wohl vielen noch unbekannt ist, dass die Formel 1 ab 2009 mit einem Hybrid-System fahren wird."#w1#

KERS als Baukasten-System

"In jeder Klasse ist der Einbau eines solchen Hybridsystems denkbar." Oliver Wildner

Frage: "Nun hat Bosch ein komplettes Baukasten-System für genau diese Technik fix und fertig im Angebot. Wie sieht ihr KERS aus?"
Wildner: "Wir haben verschiedene Systeme, die wir anbieten. Bei uns sieht es so aus, dass es nicht ein einziges KERS gibt, sondern dass diese jeweils an die Anforderungen der Kunden angepasst werden müssen. Aus diesem Grund haben wir verschiedene Antriebsmotoren mit verschiedenen Leistungsstufen und verschiedene Energiespeicher. Unser Ziel ist es, ein Komplettsystem-Anbieter in diesem Bereich zu sein."

Frage: "In welchen Motorsport-Serien könnten ihre Systeme zum Einsatz kommen?"
Wildner: "Eigentlich überall - in jeder Klasse, die Rennen fährt, ist der Einbau eines solchen Hybridsystems denkbar."

Frage: "Also schließt Bosch ein Engagement in der Formel 1 nicht aus?"
Wildner: "(lacht) Das werden wir sehen..."

Frage: "Seit wann läuft ihre Entwicklung im Bereich KERS?"
Wildner: "Wir sind jetzt seit ungefähr eineinhalb Jahren dabei."

Sicherheit als Prämisse

Entdecke die Möglichkeiten: Der Bosch-KERS-Baukasten wurde in Köln gezeigt Zoom

Frage: "Gab es im Verlauf der Entwicklung auch Rückschläge, wie man sie im BMW Sauber F1 Team oder bei Red Bull erlebt hat?"
Wildner: "Dazu möchte ich eigentlich nichts sagen. Solche Dinge werden intern diskutiert und wenn dann Erkenntnisse da sein sollten, geben wir das an alle Teams weiter, damit jeder davon lernen kann."

Frage: "Haben sie ihre Systeme bereits in Fahrzeugen auf der Strecke erprobt?"
Wildner: "Im Moment haben wir noch keine Fahrzeugerprobung. Wir machen das auf dem Prüfstand. In der nächsten Zeit werden wir es aber auf die Straße bringen."

Frage: "Welche Speicher verwenden sie?"
Wildner: "Es gibt verschiedende Möglichkeiten. Wir verwenden die Speicherung in Lithium-Ionen-Batterien und als zweite Option haben wir einen Schwungrad-Speicher im Programm. Man kann die klaren Vor- und Nachteile gar nicht benennen. Jedes Speichermedium erfüllt gewisse Anforderungen, deswegen bieten wir beide Optionen. Es gibt eben Serien, die sehr gut mit Lithium-Ionen-Batterien auskommen und es gibt Serien, wo ein Schwungrad-Speicher mehr Sinn macht."

Zwei Speichermedien zur Wahl

Der Hochleistungs-Elektromotor wird beim Bremsen zum Generator Zoom

Frage: "Die Schwungrad-Technik gibt es seit vielen Jahren. BMW hat vor langer Zeit negative Erfahrungen gemacht, als eines solcher Räder aus dem Gehäuse flog. Wie sicher ist dieses System heutzutage?"
Wildner: "Die Sicherheit stand bei dem Design klar im Vordergrund. Das fängt an bei den Rotoren. Die sind so aufgebaut, dass sie in einem Schadensfall nicht als komplette Masse austreten, sondern sie können überhaupt nicht austreten."

"Die legen sich praktisch an die Außenhaut an. Dadurch wird der Energiegehalt reduziert und zwar bis auf 30 Prozent. Jeder Speicher ist dann noch einmal eingefasst. Die restliche Energie, die noch bleibt, wird durch Drehung in einer Art Band vernichtet. Über Tests und Materialuntersuchungen haben wir sichergestellt, dass unter keinen Umständen der Rotationsspeicher austreten kann."

Frage: "Was haben sie beim Anblick des BMW Mitarbeites gedacht, der in Jerez beim Test mit KERS durch einen Stromschlag zu Boden gegangen war?"
Wildner: "Ich habe gehofft, dass ihm nichts passiert ist. Das sind alles neue Systeme und wir lernen halt alle im Moment sehr viel darüber. Es ist wichtig, dass man diese Systeme versteht und dann eben Maßnahmen ergreift, sodass so etwas nicht mehr passiert."

Frage: "In der Formel 1 wurde in den vergangenen Tagen viel über ein mögliches Einheits-KERS gesprochen. Halten sie das für realistisch?"
Wildner: "Ich weiß es nicht. Ich denke aber nicht, dass es zum Einheitssystem kommt. Aber das muss letztlich die regulierende Behörde vorgeben."

Frage: "Sie arbeiten eng mit Audi und Peugeot im Rahmen deren Engagements in den Le-Mans-Serien zusammen. Wird das KERS dort kommen?"
Wildner: "Das sind sicherlich Veranstaltungen, wo das System gut zum Einsatz kommen könnte. Aber ob es wirklich soweit kommt, wird uns die Zukunft zeigen..."