Monza 2006: Was Michael Schumacher zum Rücktritt bewog

Zehn Jahre Rücktritt von Michael Schumacher: Wie Senna erste Rücktrittsgedanken auslöste, wie emotional Monza 2006 war und welche Rolle Boss Montezemolo spielte

(Motorsport-Total.com) - Dieser Tage ist es 25 Jahre her, dass Michael Schumacher in Spa-Francorchamps seinen ersten Grand Prix bestritten hat, und zehn Jahre, dass er in Monza von der großen Bühne der Formel 1 (zum ersten Mal) abgetreten ist. Grund genug, uns in einem Themenspecial diesen Jubiläen zu widmen. So haben wir zum Beispiel Bertrand Gachot interviewt, um einmal die Vorgeschichte in einem Londoner Taxi zu erzählen, die den Weg in die Formel 1 für Schumacher überhaupt erst frei gemacht hat.

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher

Rücktritt: Schumacher beendete 2006 in Monza zum ersten Mal seine Karriere Zoom

Wir wollten auch die Geschichte vom Wochenende in Spa erzählen - und zwar die, die noch nicht jeder kennt. Es hätte eine Geschichte werden sollen über die kaputte Heizung in der Jugendherberge, über kleine Notlügen, die für das Formel-1-Debüt notwendig waren, und über die anderen Teams, für die Schumacher eigentlich hätte fahren sollen. Es gibt vieles, was über Spa 1991 schon einmal erzählt wurde. Vieles aber auch nicht.

Und wer wäre dafür besser geeignet als Willi Weber, der damals mit Schumacher in jener legendären Jugendherberge übernachtet und die dahinterstehenden Deals klargemacht hat? Herr Weber hat sich dankenswerterweise bereiterklärt, für ein Interview zur Verfügung zu stehen. Als wir das dann aber tatsächlich führen wollten, war er tagelang nicht mehr erreichbar. Das ist schade. Also erzählen wir stattdessen eine andere Geschichte. Und zwar die, die zum Rücktritt in Monza 2006 geführt hat.

Herzenansgelegenheit: Schumacher wendet sich zuerst an Mechaniker

"Ich möchte, dass ihr es von mir erfährt, bevor ich mit den Medien spreche. Ich wollte euch sagen, dass ich euch alle so liebe und dass wir eine wunderbare Zeit zusammen hatten. Aber alles muss einmal zu Ende gehen, und so ist dies leider mein letztes Monza-Rennen gewesen." Mit diesen Worten verkündete Michael Schumacher am 10. September 2006 um 15:21 Uhr - also fast genau 15 Jahre nach seinem sensationellen Debüt - via Boxenfunk seinen Rücktritt.

Und auch in diesem historischen Moment dachte der siebenmalige Weltmeister zuerst an seine Mechaniker, von denen er stets jeden einzelnen namentlich kannte und sich auch deren Familiengeschichten und Persönliches merkte.

Michael Schumacher

Nach dem 90. Ferrari-Sieg verkündete Schumacher der Crew seinen Rücktritt Zoom

Bis heute ist nicht 100-prozentig geklärt, ob Schumacher damals ganz freiwillig zurücktrat. Schon Gerhard Berger meinte 2006 nach der Bekanntgabe in einem Interview mit dem 'Spiegel': "Ich bin doch etwas überrascht. Bei Schumacher schien die Besessenheit, mit der er für seine Fitness trainiert und Rennen fährt, noch so stark, dass ich nicht das Gefühl hatte, er sei schon an dem Punkt angelangt."

Welche Rolle spielte Montezemolos Räikkönen-Deal?

Schumacher war zu diesem Zeitpunkt 37 Jahre alt, und Ferrari drohte nach 2005 erneut das Schicksal, von Renault und Fernando Alonso besiegt zu werden. Da die Verträge der drei damaligen Top-Piloten Schumacher, Alonso und Kimi Räikkönen ausliefen, war ein rasches Handeln gefragt.

Jean Todt, Kimi Räikkönen und Luca di Montezemolo

Boss Montezemolo (r.) nutzte Räikkönen als Spielball im Machtkampf mit Jean Todt Zoom

Und so machte Ferrari-Boss Luca di Montezemolo Ende 2005 den ersten Zug und handelte einen Vorvertrag mit dem damals 26-jährigen Finnen aus. Er wollte um jeden Preis verhindern, dass die Scuderia im Fahrerpoker durch die Finger schaut, schließlich konnte er in Anbetracht von Schumachers Alter einen Rücktritt des Starpiloten nicht mehr ausschließen.

Machtkampf zwischen Todt und Montezemolo

Zur endgültigen Unterschrift Räikkönens kam es im August 2006. Damit könnte auch die Entscheidung über Schumachers Zukunft gefallen sein: Gerüchten zufolge hätte Schumacher nur weiter gemacht, wäre 2007 entweder erneut sein Lehrling Felipe Massa, oder MotoGP-Star Valentino Rossi, der 2005 intensiv für die Scuderia testete, sein Teamkollege geworden.

Doch Montezemolo, der in einen intensiven Machtkampf mit Ferrari-Teamchef und Schumacher-Freund Jean Todt verstrickt war, wollte den Franzosen schwächen. Dabei spielte auch die Vergangenheit eine Rolle: Schon einmal hatten Todt und Schumacher einen möglichen Sensationsdeal des Italieners vereitelt - als der Ferrari-Boss im Jahr 2000 Mika Häkkinen nach Maranello holen wollte.

Erste Rücktrittgedanken: Sennas Pole-Rekord geknackt!

In seiner Biografie heißt es hingegen, Schumacher hätte einen Wechsel Räikkönens zu Ferrari sogar unterstützt und seine Zukunft ausschließlich vom eigenen Antrieb abhängig gemacht. Erste Rücktrittsgedanken seien in Bahrain, also beim Saisonauftakt aufgekommen. Und zwar am Samstag kurz nach dem Qualifying, als er Ayrton Sennas Rekord von 65 Pole-Positions geknackt hatte.

Warum dies ein Schlüsselerlebnis gewesen sei? "Ich weiß auch nicht", erklärte der Rekord-Weltmeister. "Die Geschichte von Ayrton ist eine Geschichte, die mich immer verfolgt hat. Jedes Mal, wenn ich damit konfrontiert werde, werde ich sehr emotional."

Michael Schumacher

Unglaublicher Jubel: Die Tifosi feiern Schumacher und Todt 2006 in Monza Zoom

Erinnerungen an Monza 2000 werden wach, als der Ferrari-Pilot mit seinem 41. Sieg Sennas Marke egalisierte. "Nicht, dass das ein Ziel von mir gewesen war, im Sinne von: Ich fahre jetzt solange, bis ich diese 65-Pole-Positions geknackt habe. Aber als es dann passiert ist und ich auch noch wusste, dass wir eine gute Saison haben würden, hatte ich einfach das Gefühl, dass jetzt ein guter Zeitpunkt zum Aufhören sei." In der Folgezeit habe sich dieses Gefühl "mehr und mehr erhärtet" und er wäre sich dieser Entscheidung "immer sicherer" geworden.

Rücktritt aus Rücksicht auf Massa?

Laut Schumacher habe der Knackpunkt nichts mit Räikkönen zu tun gehabt, sondern mit seinem damaligen Teamkollegen Massa. Er nennt den Grand Prix der USA in Indianapolis Anfang Juli: "Da musste Felipe seine Entscheidung über seine Zukunft treffen. Ich wollte ganz klar auf Felipe Rücksicht nehmen."

Felipe Massa und Michael Schumacher

Laut Schumacher sorgte Massas Zukunft für die endgültige Entscheidung Zoom

Während Schumacher damals bereits "alles erreicht" habe, befand sich der zu diesem Zeitpunkt 25-jährige Brasilianer vor dem Durchbruch in der Formel 1. "Da ist jetzt ein junger Kerl, der superviel Talent hat, der richtig nett ist - warum soll ich dem jetzt im Weg stehen? Warum soll ich meine Entscheidung hinauszögern?", beschrieb Schumacher in seiner 2006 in der Edition Albers erschienenen Biografie die damalige Stimmungslage.

Etwas Wehmut schon in Rücktritts-Saison

Der Kerpener, der fünf seiner sieben Titel mit der Scuderia holte, gab aber auch zu, dass er bereits 2006 nach seiner Rücktrittsentscheidung etwas Wehmut verspürt habe. Als Beispiele nennt er die Abschiedsrunde nach dem Benefiz-Fußballspiel vor dem Heimrennen in Hockenheim sowie Auslaufrunde, Siegerehrung und Bekanntgabe seines Rücktritts nach dem Sieg in Monza.

"Da wurde es auf einmal realer als es vorher schon war, allein dadurch, dass ich es nicht mehr geheimhalten musste", so Schumacher. Zudem sei er selbst davon überrascht gewesen, wie leicht es ihm gefallen sei, die Botschaft zu übermitteln. "Zuvor hatte ich nämlich schon ein bisschen Bammel vor meiner eigenen Reaktion..."

"Ich hatte etwas Bammel vor meiner eigenen Reaktion auf die Verkündung." Michael Schumacher

Wehmütiger sei Schumacher dann beim Saisonfinale in Brasilien geworden. Davor hatte er in Suzuka die WM gegen Alonso wegen eines Motorschadens verloren. "Als mir die Mechaniker am Donnerstagabend das Bild schenkten, mit Fotos und guten Wünschen von jedem einzelnen, und mit dem Satz "Sei uno di noi", du bist einer von uns, da hätte ich ihre anderen Sätze nicht lesen können", gab Schumacher zu. "Sonst wäre ich sentimental geworden." Außerdem sei ihm "in ganz wenigen Momenten" durch den Kopf geschossen: "Das machst du jetzt zum letzten Mal."


Fotostrecke: Belgien 1991: Schumachers Formel-1-Debüt

Das überraschende Comeback: "Schumacher hatte keinen Plan B"

Eine Fehleinschätzung, wie sich nach nur drei Jahren Pause herausstellen sollte, als ihn Ex-Ferrari-Technikchef Ross Brawn, der übrigens 2006 mit Schumacher abgedankt war, zum Comeback bei seinem Mercedes-Werksteam überredete. Das Leben als biederer Familienvater hielt Schumacher, der bei Motorradrennen sein Leben riskierte, nicht lange aus - nach 1.239 Tagen stand er 2010 in Bahrain wieder am Start eines Grand Prix.

"Ich glaube Michael hatte nie einen Plan B für das Leben nach seiner Karriere", glaubt Ex-Rivale David Coulthard, den Grund zu kennen. "Als aktiver Fahrer konzentrierst du dich voll auf deinen Job, am echten Leben nimmst du irgendwie nicht teil. Und Michael hat nach seiner ersten Karriere so weitergetan, als sei er immer noch dabei."