• 13.04.2016 18:51

  • von Gary Anderson (Haymarket)

Frag Gary Anderson: Wieso die Honda-Durststrecke weitergeht

Formel-1-Experte Gary Anderson beantwortet Leserfragen: Wieso Honda noch einen weiten Weg vor sich hat und Kundenautos im Gegensatz zu früher keine Lösung sind

(Motorsport-Total.com) - Der Grand-Prix-Sport ist so komplex wie selten zuvor. Da benötigt es einen Technikexperten wie Gary Anderson, der als ehemaliger Technikchef unterschiedlicher Teams über jahrzehntelange Formel-1-Erfahrung verfügt, um für Aufklärung zu sorgen. In dieser Folge erklärt der Nordire, warum die immer wieder geforderten Kundenautos heute im Gegensatz zu den 1970er-Jahren keine Lösung mehr sind, wieso Honda den Rückstand auf Mercedes dieses Jahr nicht aufholen wird und weshalb McLaren nach dem WM-Titel mit James Hunt 1976 abstürzte.

Titel-Bild zur News: Jenson Button

Gary Anderson sieht bei McLaren-Honda nach wie vor große Engpässe Zoom

toomanyarmies (Twitter): "Warum sind Kundenautos keine Lösung?"
Gary Anderson: "In der Vergangenheit waren Kundenautos die Norm, aber dabei handelte es sich meist um zumindest ein Jahr alte Autos, die von Teams eingesetzt wurden, die nicht ganz so professionell waren wie deren Konstrukteure. Oft saßen in den Autos Gentleman-Drivers, die die Rechnungen bezahlten."

"Kundenautos würden schon funktionieren, aber das Hauptproblem ist, dass es das Ferrari-Team wahrscheinlich doppelt so viel kostet wie das Sauber-Team, seine Autos zu bauen. Alle Achtung vor Sauber, aber sie hätten Probleme, die Leistungen zu bringen, die Ferrari aus seinem eigenen Chassis herausholt. Daher denke ich nicht, dass Kundenautos für den Sport sowohl finanziell als auch für den Wettbewerb eine Verbesserung darstellen würden."

Warum die Tage durchdrehender Räder vorbei sind

Jonathan Wingfield (Twitter): "Ich habe kürzlich (im Magazin Racecar Engineering) gelesen, wie Mercedes laut Motorenchef Andy Cowell das Gaspedal nutzt, um Drehmomentbedarf zu generieren anstatt den Drosselklappenöffnungswinkel zu bestimmen. Somit nimmt sich die ECU der nicht linearen Turbo-Leistungsentfaltung an. Dadurch gibt es im Gegensatz zu einem Turbo-Boliden der 1980er-Jahre, als die Hölle los, wenn der Turbo einsetzte, kaum einen Unterschied zu einem Saugmotor. In der Formel 1 beschweren sich alle über die sinkenden Zuschauerzahlen, weil die Autos zu einfach zu fahren sind. Warum wird diese Art Traktionskontrolle also toleriert?"
Anderson: "Ich stimme absolut zu. Seit Anbruch der elektronischen Drosselklappensteuerung waren Gaspedal und Klappenöffnung nicht linear."

"Jetzt haben wir den Turbo - und in der Folge den Ladedruck -, der von der MGU-H gesteuert wird. Außerdem nutzen wir das elektrische Drehmoment der MGU-K, um die Löcher in der Drehmomentkurve des Saugmotors zu stopfen. Dadurch ist es einfacher als in der Vergangenheit, auf ein lineares Drehmoment an der Hinterachse im Verhältnis zur Drosselklappenöffnung zu kommen."

Gary Anderson

Der Nordire Gary Anderson gilt als scharfer Technikbeobachter der Formel 1 Zoom

"Es kann leicht passieren, dass der Fahrer zu viel Drehmoment an der Hinterachse erzeugt und die Hinterräder durchdrehen. Ich fürchte aber, dass die Tage gezählt sind, als - wie Sie meinten - die Hölle los war. Das ist auch einer der Hauptgründe, warum neue oder relativ unerfahrene Piloten in der Lage sind, so gute Arbeit zu leisten. Früher mussten Senna, Prost, Mansell oder Piquet ihr Talent nutzen, um über 1.000 PS zu beherrschen - und das mit einer Leistungskurve, als würde einem jemand mit dem Vorschlaghammer auf den Hinterkopf schlagen. Da ist es klar, dass talentierte Fahrer herausragten."

Anderson warnt vor Auffahrunfällen beim Start

Sammy Janiszewski (Facebook): "Gibt es irgendwelche Pläne, diese Stupsnasen loszuwerden, die einige Teams verwenden? Und wenn ja, wie würde die Lösung aussehen?"
Anderson: "Ich weiß über keine Pläne bescheid, diesbezüglich das Reglement zu verändern, und ich sehe ehrlich gesagt auch keinen Grund dazu. Die Nase muss vor dem Einsatz im Wettbewerb einen sehr strengen Crashtest bestehen. In der Annahme, dass das alle schaffen, ist die FIA mit dieser Regel sicher zufrieden."

"Meine größte Sorge ist die Höhe. Wenn ein Auto beim Start dem anderen ins Heck donnert, dann bin ich ziemlich sicher, dass es sich darunter schieben würde. Das könnte katastrophale Folgen haben. Wenn wir dann noch in Betracht ziehen, wie unterschiedlich die Starts bisher in diesem Jahr waren, dann ist es nur eine Frage der Zeit, dass so etwas passiert."

@Mayof82 (Twitter): "Was halten Sie vom neuen Ferrari-Diffusor und wie würden Sie ihn mit anderen Teams, vor allem Mercedes, vergleichen?"
Anderson: "Beim Diffusor handelt es sich um die letzte Komponente einer Reihe, den Luftstrom beeinflussender aerodynamischer Teile, bevor dieser das Heck des Autos erreicht. Vor allem Komponenten wie der Frontflügel und die Vorderradaufhängung eröffnen Möglichkeiten zur Entwicklung des Diffusors."

Je nach dem, wie der Luftstrom beeinflusst wird, sieht auch der Diffusor unterchiedlich aus, was sich wiederum auf die Performance niederschlägt. Wenn man ein Formel-1-Auto aerodynamisch entwickelt, dann muss man ganz vorne an der Nasenspitze anfangen und jede einzelne Komponente bis zum Heck darauf abstimmen, damit alles optimal ist."

"Wenn das gelungen ist und das neue Paket auf der Strecke funktioniert, dann muss man genau das Gleiche noch einmal machen, ehe man über ein Auto verfügt, das es mit dem Besten aufnehmen kann. Deswegen sind Manpower und Budget unerlässlich, wenn man in der Formel 1 konkurrenzfähig sein will."

Honda-Krise geht weiter

Tijo Joy (Twitter): "Denken Sie, dass der Honda-Motor diese Saison noch auf Mercedes-Niveau kommen kann? Wenn ja, wie lang wird man dafür Ihrer Einschätzung nach brauchen?"
Anderson: "Es tut mir leid, aber der Honda-Motor wird dieses Jahr meiner Meinung nach nicht auf Mercedes-Niveau kommen. Honda hat den Projektleiter ausgewechselt, und es wird mehr Zeit benötigen, ehe ihm klar ist, was es braucht und wie das umgesetzt werden kann."

"Die Antriebseinheit auf das gleiche Performance-Niveau zu bekommen, ist die eine Sache. Die andere ist es, zu lernen, wie man sie für die Anforderungen jedes einzelnen Kurses optimiert. Das Mercedes-Team scheint in diesem Bereich deutlich besser als jedes andere Team, unter anderem McLaren."

Jenson Button

Jenson Buttons Motor muss vor China bereits gewechselt werden Zoom

"Außerdem scheint Honda den Fokus zwischen Performance und Zuverlässigkeit ständig zu verschieben. Man kommt einmal ins Ziel, und plötzlich geht es nur mehr um die Performance. Und dann hat man wieder einen Defekt und kümmert sich nur um die Zuverlässigkeit. Die Größe, die Struktur und die Finanzierung müssen bei Honda ausreichen, um beides parallel zu machen."

Warum McLaren Ende der 1970er-Jahre in die Krise schlitterte

John Henderson (E-Mail): "Du warst bei McLaren, als der Abstieg unter Teddy Meyer begann. Wie war es damals, für das Team zu arbeiten, und warum hatte man zwischen 1978 und 1980 solche Probleme?"
Anderson: "Der Abstieg von McLaren als konkurrenzfähiges Team wurde deutlich früher verursacht, als er tatsächlich passierte. Und schuld war der Erfolg. Der McLaren M23 war zu seiner Zeit ein sehr gutes Auto, und Emerson Fittipaldi wurde damit 1974 Weltmeister."

"Eine Abwandlung des Autos wurde 1976 durch James Hunt erneut Weltmeister. McLaren machte so weiter und begann die Saison 1977 mit dem gleichen Auto. Weil man so lange am M23 festhielt, verlor man bei der ständigen Weiterentwicklung den Anschluss."

James Hunt, 1977

Mit dem McLaren M26 aus dem Jahr 1977 gingen die Probleme los Zoom

"McLaren baute den M26, der nicht besser als der M23 war. Als ich 1977 zum Team stieß, da stand das Auto in einer Ecke, und am Ende war ich es, der sich dafür einsetzte, dass das Auto abgestaubt und wieder eingesetzt wird, damit zumindest die Designingenieure verstehen konnten, warum der M26 für Probleme sorgte."

"1978 hatte dann Lotus sehr sehr erfolgreiches Ground-Effect-Design eingeführt, aber bei McLaren stand die Entwicklung still. Der M28 wurde zwar als als Ground-Effect-Auto konstruiert, aber man war dabei nicht kompromisslos. Das Auto hatte zu Beginn sehr viel Übergewicht und produzierte einfach nicht genügend Abtrieb."

"Der M29 war sowohl aerodynamisch als auch mechanisch ein großer Schritt nach vorne, aber leider war es zu spät, um das ursprüngliche McLaren-Team zu retten. Project 4 unter der Leitung von Ron Dennis übernahm auf Wunsch von Marlboro."

"Meiner Meinung nach wäre McLaren später in Sachen Design in viel besserer Form gewesen, wenn man sich früher vom M23 getrennt hätte und 1975, 1976 und 1977 wagemutiger gewesen wäre und auf die aktuellen Trends reagiert hätte."

Schürzenverbot: Warum Brabham klüger als Lotus war

Robert Archer (Facebook): "Vor kurzem habe ich das verbotene Zwillingschassis des Lotus 88 bei einem Mitgliedertreffen in Goodwood gesehen. Wenn ich mich recht erinnere, dann lieferte es vor dem Verbot keine guten Rundenzeiten. Hätte es das Zeug zu einem Erfolg gehabt und hätte es ein riesiges Budget gebraucht, damit es funktioniert?"
Anderson: "Robert, es hätte, wie Sie sagten, viel Geld gekostet, um es zu entwickeln, aber es war auch extrem komplex. Es hatte einzig und alleine den Zweck, das Schürzenverbot auszumerzen."

"Wenn ich mich recht erinnere, dann haben die meisten Teams rund 40 Prozent des durch den Unterboden kreierten Abtriebs verloren, als die Schürzen verboten wurden. Darüber war niemand glücklich, also suchte jeder Wege, um zumindest eine Teil des Verlustes wettzumachen."

Elio de Angelis, Lotus 88, Zwillingschassis

Der Lotus 88 wurde nach dem Training in Long Beach 1981 verboten Zoom

"Ich denke, das System von Brabham war das klügste und am wenigsten komplizierte. Man setzte auf ein doppeltes Federungssystem, das über eine sehr weiche Federung mit sehr viel Vorspannung. Wenn das Auto beschleunigte, dann wurde diese Vorspannung durch die zunehmende Wirkung der Aerodynamik wettgemacht, wodurch sich das Auto in Richtung Boden absenkte und so die beweglichen Schürzen mit dem Streckenbelag in Berührung kamen. Dadurch wurde der Unterboden mehr oder weniger versiegelt, was zusätzlichen Abtrieb brachte. Das größte Problem war der Verschleiß dieser beweglichen Schürzen, wodurch die Aerodynamik nicht konstant wirkte."

"Das konnte man umgehen, indem man die beweglichen Schürzen auf eine Weise baut, dass sie sich nach innen verbiegen anstatt nach außen. Durch den ansteigenden Unterdruck, der für Abtrieb sorgte, entstand ein Luftfilm zwischen der Schürze und dem Boden, der den Verschleiß der Schürze massiv senkte. Dieser Luftfilm verursachte zwar einen kleinen Abtriebsverlust, aber die Aerodynamik funktionierte konstanter."

Sidd Verma (Twitter): "Wird die Druckstrebenaufhängung des SH16-H Kimi Räikkönen dieses Jahr helfen? Offenbar ist sein Tempo dieses Jahr sehr gut, speziell in den Rennen."
Anderson: "Kimi Räikkönen wollte stets ein Auto mit einer konstanten und starken Vorderachse, wodurch er sich auf die Front verlassen und sich um das Heck selber kümmern konnte. Es stört ihn nicht, wenn sich das Heck ein bisschen bewegt, aber er hasst untersteuern."

"Formel-1-Autos sind sehr komplex. Was die Mechanik angeht, wird die Druckstreben-Vorderradaufhängung wahrscheinlich die Auflage des Reifens konstanter machen, aber ich würde das nicht überbewerten. Auf jeden Fall wird sie aber die aerodynamische Performance des Frontflügels verbessern, was auch für die allgemeine Aerodynamik gilt. Das ist der Fall, weil die Aufhängung nun mit dem Luftstrom vom Frontflügel übereinstimmt und diesbezüglich eine Hilfe ist, anstatt denn Lufstrom zu blockieren."