• 10.02.2016 17:27

  • von Gary Anderson (Haymarket)

Frag Gary Anderson: Wie erreicht man Motoren-Gleichheit?

Technikexperte Gary Anderson beantwortet Fanfragen: Warum er das Tokensystem ändern würde, was er von Halo hält und wie schnell ein kalter Motor startet

(Motorsport-Total.com) - Die Formel 1 ist eine hochkomplizierte Wissenschaft für sich und stellt sogar Insider immer wieder vor große Herausforderungen. Aus diesem Grund beantwortet der ehemalige Jordan-Technikchef Gary Anderson regelmäßig Fanfragen in aller Ausführlichkeit. Heute erklärt uns der Ire, wie er das Tokensystem revolutionieren würde, warum zwei Teamkollegen für ihn nicht gleichstark sein können und ob Spritsparen 2016 ein größeres Thema wird.

Titel-Bild zur News: Gary Anderson

Der Ex-Formel-1-Ingenieur Gary Anderson würde das Tokensystem verändern Zoom

@eggry (Twitter): "Sollte das Tokensystem abgeschafft werden: Wie soll das bitte für Gleichheit unter den Motoren sorgen?"
Anderson: "Ich denke nicht, dass wir jemals Gleichheit unter den Motoren - oder Power Units, wie sie jetzt genannt werden - hatten. Irgendetwas gab es immer, das einen Motor von den anderen abgehoben hat. Red Bull ist in der V8-Ära von Ferrari zu Renault gewechselt, weil der Renault einfacher zu kühlen war. Das bedeutete, dass das Team mehr vom Luftstrom für die Aerodynamik nutzen konnte. Der Renault war zudem benzineffizienter, daher konnte das Auto am Start leichter sein."

"In meiner Designzeit gab es große Unterschiede beim Benzinverbrauch und den Kühlbedürfnissen zwischen den einzelnen Motorenherstellern. Das kann große Unterschiede in der Gesamtperformance des Autos ausmachen. Ich wäre enttäuscht, sollte das Tokensystem wirklich abgeschafft werden. Ja, es ist einiges falsch und einige Strafen sind dämlich, aber wenn man ein Punktesystem einführen würde, damit die strauchelnden Teams aufholen könnten, dann wäre es ein gutes System."

Neues Tokensystem für mehr Gerechtigkeit in der Formel 1

"Man könnte zum Beispiel auf 2015 schauen:
- Mercedes holte mit acht Autos 1274 Punkte, also 159 pro Fahrzeug mit Mercedes-Motor
- Ferrari holte mit sechs Autos 474 Punkte, also 79 pro Fahrzeug (-80 zu Mercedes)
- Renault holte mit vier Autos 254 Punkte, also 63 pro Fahrzeug (-96)
- Honda holte mit zwei Autos 27 Punkte, also 14 pro Fahrzeug (-145)"

"Basierend auf einem neuen System, das 100 Token für eine komplette Power-Unit umfasst, würde ich allen Motorenherstellern nur zehn Token zur Verfügung stellen, um alle potenziellen Zuverlässigkeitsprobleme in den Griff zu bekommen. Ich würde allen Motorenherstellern dann einen Extratoken pro drei Punkten Unterschied in der Meisterschaft gewähren. Das würde bedeuten:"


Fotostrecke: So funktioniert ERS

"Mercedes = 10 Token
Ferrari 27+10 = 37 Token
Renault 32+10 = 42 Token
Honda 48+10 = 58 Token"

"Etwas in der Art zu machen, würde allen Herstellern das Aufholen ermöglichen. Das würde auch bedeuten, dass es im Interesse der Hersteller ist, die kleinen Teams auszurüsten, da die durchschnittliche Punkteanzahl dann verringert wird."

Gary Anderson gegen Kopfschutz nach dem Halo-Vorbild

Sarah Baines (Email): "Die Formel 1 scheint einen Kopfschutz nach dem Halo-Vorbild einführen zu wollen. Was hältst du davon?"
Anderson: "Sarah, ich glaube nicht an dieses System und sorge mich, dass etwas zwischen dem Halo und dem Chassis eingeklemmt wird und für Kopfverletzungen sorgt, was sonst wohl abgeleitet worden wäre."

Halo-Kopfschutz

Der Halo-Kopfschutz soll in der Formel-1-Saison 2017 zum Einsatz kommen Zoom

"Bei der heutigen Technologie weigere ich mich zu glauben, dass es unmöglich ist, ein geschlossenes Cockpit oder zumindest eine Art Sockel auf Kopfhöhe einzuführen. Es muss nicht einmal über den Kopf des Fahrers gehen, sondern sollte einfach da sein, um alles abzuleiten, was auf den Kopf des Fahrers zukommt. Wenn man die derzeitigen Cockpitdimensionen in der Draufsicht sieht, dann wäre es ideal für eine Halterung, die am Anfang der Kopfstütze beginnt und nach hinten schmaler wird."

@GregorF1 (Twitter): "Wird Spritsparen zum Thema, wenn die Motorenhersteller mehr Leistung gefunden haben?"
Anderson: "Das bezweifle ich. Die Leistungserhöhung des Verbrennungsmotors wird von Zugewinnen in der Verbrennungseffizienz und reduzierter interner Reibung kommen. Zusammen wird das vermutlich bedeuten, dass die Motoren weniger Benzin verbrauchen werden. Die aktuellen Benzinmanagementsysteme sind so effizient, dass kein Tropfen Benzin verloren geht, ohne dass er Leistung generiert. Die Herausforderung für Hersteller und Fahrer ist sicherzustellen, dass sie nichts von der Leistung verschwenden."

"Stufenweise Gasannahme ist wichtig, weil eine Lösung, die nur An oder Aus kennt, Leistung verschwendet. Durchdrehende Räder sind immer verschwendete Leistung, und überschüssige Drehzahlen vor einem Gangwechsel sind es ebenfalls. Wenn man das optimiert, dann wird es einen großen Prozentsatz der 100 Kilogramm, mit denen man das Rennen startet, sparen. Große Sprünge werden auch von einer besseren Nutzung der MGU-H kommen. Das ist der Bereich, in dem Mercedes brilliert und Honda versagt hat."

Von 320 auf 60 km/h - Bremsmaterial ist entscheidend

Dan Jones (Email): "Teams und Fahrer sprechen über verschiedenes Bremsmaterial. Was bedeutet das und welche unterschiedlichen Charakteristiken weisen die Materialien auf? Eigentlich sollte man doch eines wollen, dass das Auto am effektivsten verzögert und gleichzeitig zuverlässig und konstant ist."
Anderson: "Dan, das Problem ist, dass es nicht das eine Material gibt, dass das Auto verzögert und gleichzeitig zuverlässig und konstant ist. Der maximale Durchmesser der Scheiben und die maximale Dicke der Scheiben und Beläge werden vom Reglement vorgegeben, genauso wie die Anzahl von Bremsbelägen, -satteln und -kolben."

"Die Teams werden die maximal verfügbare Größe für die Vorderseite nehmen, aber weil die Energie für die ERS-Batterie von der Hinterachse kommt, werden sie hinten ein kleineres Bremssystem benutzen. Darum arbeitet alles am Limit und benötigt Beachtung. Wenn das Karbon zu heiß wird, dann steigt der Verschleiß dramatisch an und man sieht beim Anbremsen eine Menge schwarzen Staub aus den Rädern kommen. Wenn es auf den Geraden zu kalt wird, dann funktioniert es nicht."


3D-Animation: So funktionieren Formel-1-Bremsen

Brembo erklärt, wie ein modernes Bremssystem für die Formel 1 funktioniert. Weitere Formel-1-Videos

"Im Grunde gibt es zwei Arten von Material: Eines funktioniert bei etwas kühleren Temperaturen besser und gibt dem Fahrer ein besseres Gefühl, wenn er erstmals auf die Bremse steigt. Aber es hat nicht die ultimative Verzögerungsleistung und wird bei höheren Temperaturen, die beim Bremsen erzeugt werden, schnell schwächer."

"Das andere beißt nicht so schnell, und für den Fahrer fühlt es sich weniger progressiv an, aber es hat die höhere Bremskraft und kann mit höheren Temperaturen besser umgehen. Es kommt wirklich auf das Gefühl des Fahrers beim Bremsen an. Wenn man bedenkt, dass diese Autos ihre Geschwindigkeit von 320 km/h in etwas mehr als einer Sekunde - oder etwas mehr als 100 Metern - auf 60 km/h reduzieren können, ist es kein Wunder, warum Vertrauen beim Bremsen enorm wichtig ist."

Anderson: "Team-Kollegen sind nie gleich stark"

Simon Mawdsley (Email): "Im Qualifying fehlen Teamkollegen oft weniger als eine Zehntelsekunde aufeinander. Was sagt uns das über den Unterschied zwischen den Fahrern? Häufig wird ein gleiches Setup gefahren, aber wie gleich können zwei Autos sein?"
Anderson: "Simon, wenn du auf mehr als nur eine einmalige Qualifying-Runde schaust, wird das Bild noch alarmierender. Wenn du das Ergebnis der Meisterschaft 2015 nimmst, dann kamen die Top-5-Teams so, als würden sie Noahs Arche bevölkern: zwei Mercedes, zwei Ferrari, zwei Williams, zwei Red Bull, zwei Force India. Danach teilt es sich etwas mehr auf, abgesehen von den beiden McLaren."

Nico Rosberg, Lewis Hamilton

Das teaminterne Duell Nico Rosberg gegen Lewis Hamilton geht 2017 weiter Zoom

"Mir zeigt das, dass Motor und Chassis den Fahrerinput überlagern. Niemals haben die beiden Fahrer in den einzelnen Teams die gleiche Qualität. In vergangenen Jahren stachen die wirklichen Top-Fahrer immer heraus, aber mit der Motorendominanz und dem Fakt, dass 99 Prozent des Setups von Ingenieuren im Hinterzimmer der Garage vorgenommen werden, muss der Fahrer einfach nur fahren - Erfahrung ist ziemlich irrelevant. Versteht mich nicht falsch: Sie müssen ein Rennauto immer noch schnell bewegen können, aber es sollte mehr dazugehören, um ganz oben zu stehen."

Raz Al-Haddad (Twitter): "Es heißt, der neue Mercedes werde eine schmalere und höhere Nase haben. Gäbe es einen besonderen Grund dafür?"
Anderson: "Raz, mit dem Luftstrom in diesem vorderen Bereich muss der Rest des Autos arbeiten. Je höher und schneller die Durchflussmenge zwischen den Vorderrädern ist, desto mehr Abtrieb wird generiert. Allerdings geben die Regeln die Länge, Breite und Höhe in diesem Bereich vor, von daher würde es mich wundern, sollte Mercedes viel mehr tun können als schon 2015. Ich sitze allerdings auch nicht tagein, tagaus da, um Schlupflöcher zu finden, wie die Teams es tun."

"Das ist einer der Bereiche, wo Ferrari für mich noch eine Menge aufholen kann. Aus irgendeinem Grund ist Ferrari diesen Weg in den vergangenen beiden Jahren nicht gegangen. Wenn man den Heureka-Moment finden sollte und das für dieses Jahr angeht, dann erwarte ich, dass der Rest des Autos besser auf Entwicklungen reagieren wird."

So einfach sind Formel-1-Motoren zu starten

Scott McNeil (Email): "Aus der Eiskalten heraus: Wie viele Personen und wie viel Zeit benötigt man, um einen aktuellen Formel-1-Motor zu starten?"
Anderson: "Die aktuellen Power-Units werden eigentlich nie eiskalt. Um mit weniger Luftstrom für die Kühlung auszukommen, sind sie gebaut, um bei Temperaturen von 120 bis 130 Grad Celsius zu arbeiten. Ein Motor würde sich sehr schnell selbst zerstören, wenn man ihn kalt starten würde."

Datenanalyse bei Toyota

Zum Start eines Formel-1-Motors wird einiges an Technik benötigt Zoom

"Wenn die Power-Units auf Ständen oder im Chassis sind, dann werden Wasser- und Ölsysteme an Heizer angeschlossen und heißes Öl und Wasser werden durchgepumpt. Dadurch werden Temperaturen von 80 Grad Celsius beibehalten. Die Autos zu starten, ist nicht wirklich schwierig: Eine Person am Starter und eine am Laptop können das managen."

"Die Person am Laptop wird im Grunde der Fahrer, der das Gas wie benötigt kommen lässt und alle Systeme bearbeitet. Wenn sie normalerweise durch alle Gänge schalten und checken wollen, ob alle Systeme funktionieren, dann sitzt einer der Mechaniker im Auto und hat ein wenig Spaß. Und weil der Motor schon eine angemessene Temperatur besitzt, benötigt es nur ein paar Minuten, um durch diese finalen Systemchecks zu gehen."

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