Aus für heilige Kuh? Windkanal-Verbot nimmt Formen an

Vor einigen Jahren undenkbar, wird ein Windkanal-Verbot in der Formel 1 immer realistischer: Warum es schon 2017 so weit sein könnte und welche Vorteile es hätte

(Motorsport-Total.com) - Seit Jahrzehnten sind sie in der Formel 1 unverzichtbar. Werden sie nun bald abgeschafft? Die Rede ist von den Windkanälen, in denen an der heiklen Aerodynamik der Boliden bis ins kleinste Detail gefeilt wird. Seit einigen Jahren gelten diesbezüglich bereits Restriktionen, während die Top-Teams ihre Anlagen davor rund um die Uhr mit drei Schichten pro Tag in Betrieb hatten. Der Anstoß, die Technologie aus der Formel 1 zu verbannen, kam im Vorjahr von der Unternehmensberatungs-Firma McKinsey & Company, die das Sparpotenzial der Teams untersuchte.

Titel-Bild zur News: Christian Horner, Windkanal

Goodbye, Winkanal? Christian Horner hat vielleicht das Ende der Turbine eingeleitet Zoom

Dass dann ausgerechnet Red-Bull-Teamchef Christian Horner, dessen Rennstall mit Adrian Newey über den vielleicht besten Aerodynamiker der Formel 1, das Thema aufgriff und in der Strategiegruppe auf den Tisch brachte, verblüffte viele. "Ich habe das getan, weil ich finde, dass genau darüber in der Strategiegruppe in Hinblick auf 2016 oder 2017 gesprochen werden sollte", sagt der Brite. "Welche Rolle spielen Windkanäle, wenn wir fünf oder zehn Jahre in die Zukunft blicken?"

Windkanal-Verbot heißes Thema in Strategiegruppe

Tatsächlich wird in der Automobilindustrie immer mehr Entwicklung ausschließlich am Computer betrieben. Und tatsächlich ist ein Verbot in der Formel 1 längst nicht mehr abwegig. Auch bei der vergangenen Sitzung der Strategiegruppe, die die Richtung für die Zukunft des Sports vorgeben sollte, war ein Windkanal-Verbot eines der Kernthemen.

Das bestätigt auch McLaren-Rennleiter Eric Boullier. "Seit Monaten gibt es darüber viele Diskussionen." Derzeit erlaubt das Reglement 30 Windkanal-Einheiten pro Woche, die Teams können aber selbst wählen, ob sie 30 Windkanalstunden oder 30 Teraflops in Hinblick auf CFD-Computersimulationen nutzen wollen. Für 2016 wurde bereits eine Reduktion auf 25 Einheiten beschlossen.

Dabei handelt es sich um die Nettozeit, also der tatsächliche Betrieb der Turbine. Die gesamte Windkanalanlage darf derzeit 80 Stunden pro Woche von den Teammitgliedern betreten werden, da auch Messungen und Vorbereitungen durchgeführt werden müssen. Diese Zeit wird ab der kommenden Saison auf 65 Stunden begrenzt sein.

Boullier fordert mehr Fokus auf CFD

Dass aber die Rechenkapazität der CFD-Computer begrenzt ist, hält Boullier für einen Fehler, da dies seiner Meinung nach technische Innovation verhindert. "Deswegen mussten wir im Grunde alte Chips verwenden", erklärt der Franzose. "Das hat die Konsequenz, dass wir natürlich nicht die neueste Computertechnologie verwenden. Und wir sind nicht der Meinung, dass es gut für die Formel 1 ist, dass wir eine zehn Jahre alte Technologie nutzen, während wir diesbezüglich spitze sein sollten."

Er fordert ein Umdenken für die Zukunft, indem man die Energie zum Beispiel über die Bandbreite kontrolliert: "Das wäre richtig für die Formel 1. Wir sollten nicht so wahrgenommen werden, dass wir bei unseren CFD-Einrichtungen eine veraltete Technologie verwenden. Und was die Windkanäle angeht: Klar, wenn man sich auf die CFD-Entwicklung konzentriert, dann wird der Windkanal irgendwann obsolet sein."

Timo Glock

Vorreiter: Glocks Virgin war das erste Auto, das nur am Computer designt wurde Zoom

Bereits 2010 ging das damalige Virgin-Team, aus dem das Manor-Marussia-Team entstand, mit dem innovativen Konzept an den Start, den Boliden ausschließlich mittels CFD-Technologie zu designen. Technikchef Nick Wirth scheiterte aber an diesem ehrgeizigen Vorhaben, und der Bolide, der damals vom nunmehrigen DTM-Piloten Timo Glock gesteuert wurde, war alles andere als konkurrenzfähig. Wirth wurde später abgelöst, und auch vom Windkanal-Verzicht rückte man ab.

Neues Reglement vermutlich noch nicht auf CFD-Basis

Doch inzwischen sind fünf Jahre vergangen. Während McLaren laut Boullier "bereits morgen" bereit wäre, alles auf CFD-Technologie umzustellen, ist dies freilich nicht realistisch. Force Indias stellvertretender Teamchef Robert Fernley, dessen Team wie McLaren im angemieteten TMG-Windkanal in Köln entwickelt, weil man selbst keine Top-Anlage sein eigen nennt, hält 2017 für realistischer.

"Ich persönlich würde das gerne 2017 sehen", sagt der Brite. "Das wäre der richtige Zeitpunkt, denn dann spielen die vergangenen Investitionen in die Windkanäle keine Rolle mehr." Für 2017 ist ein neues Aerodynamik-Reglement geplant. Die neue Bolidengeneration wird aber aller Voraussicht nach noch im Windkanal entstehen, "denn die Vorarbeit findet 2016 dort statt. Ich würde es aber sehr aufregend finden, wenn wir die Entwicklung dann via CFD fortsetzen würden."

US-F1-Designshop

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Wie immer in der Formel 1 handelt es sich hierbei um eine politische Frage. Ein kurzfristiges Windkanalverbot für 2016 darf ausgeschlossen werden, weil die Strategiegruppe, die neben sechs FIA- und sechs FOM-Stimmen dieses Jahr die Teams Ferrari, Mercedes, Red Bull, McLaren, Williams und Force India umfasst, sich einstimmig dahinter stellen müsste.

Windkanalverbot ab 2017 denkbar

Das gilt als äußerst unrealistisch, denn alleine Ferrari hat in den vergangenen Jahren Unsummen in die Verbesserung des hauseigenen Windkanals investiert. Diese Saison trägt dies erstmals Früchte. Und auch Mercedes hat sich zuletzt klar gegen ein Windkanal-Verbot ausgesprochen - aus ähnlichen Gründen. Bis März 2016 hätte die Strategiegruppe noch Zeit, eine Einführung ab 2017 vorbereiten, denn bis dahin würde eine 70-Prozent-Mehrheit ausreichen. Danach müssten auch Formel-1-Kommission und Motorsport-Weltrat die Vorschläge absegnen.

Fernley sieht die FIA und den Inhaber der kommerziellen Rechte in der Pflicht, die Änderungen zu forcieren, da dies die Kosten seiner Ansicht nach deutlich senken würde. "Am Ende beeinflussen sie den Entscheidungsprozess", meint er. Auch Horner glaubt, dass ein Verbot die Teams finanziell entlasten würde: "Wir alle verwenden diese sehr teuren Windkanäle, deren Betrieb sehr viel Geld verschlingt." Pro Jahr belaufen sich die Kosten auf rund 15 Millionen Euro, bei CFD handelt es sich laut Informationen von 'Motorsport-Total.com' um nur ein Zehntel dessen.

Außerdem würde ein Windkanal-Verbot laut Force-India-Mann Fernley auch in Hinblick auf umweltfreundliche Technologien die richtige Botschaft verbreiten: "Wir tun das bereits mit den Hybrid-Motoren, das sollten wir auch bei den Windkanälen machen. Sie verbrauchen Unmengen von Strom."