• 06.07.2015 09:23

  • von Dieter Rencken & Roman Wittemeier

McLaren-Honda-Krise: Japaner haben mehr Geduld als Briten

Der Druck auf McLaren steigt: Kommerzielle Einbußen durch ausbleibende Erfolge - Honda hält strikt am eigenen Fahrplan fest, aber McLaren drückt auf die Tube

(Motorsport-Total.com) - Im Gran Prix von Großbritannien 2015, dem neunten Rennen der laufenden Formel-1-Saison, hat Fernando Alonso seinen ersten WM-Punkt nach der Rückkehr zu McLaren eingefahren. Der Spanier und sein Teamkollege Jenson Button haben im bisherigen Verlauf der Saison gerade einmal fünf Zähler gesammelt. McLaren belegt im ersten Jahr nach der Rückkehr von Motorenpartner Honda nur den neunten Platz in der WM-Wertung.

Titel-Bild zur News: Fernando Alonso

So war es nicht gedacht: Fernando Alonso hat einen Marussia im Nacken Zoom

"Es ist ein großartiges Team, das in der Vergangenheit große Erfolge eingefahren hat. Ich selbst war viele Jahre lang Teil dieses Teams. Deshalb betrachte ich die aktuelle Situation mit einem seltsamen Gefühl", sagt Weltmeister Lewis Hamilton. "Es ist einfach ungewöhnlich, die McLaren auf den Positionen zu sehen, auf denen sie im Moment zu finden sind. Ich glaube aber, dass der große Ron Dennis und die großartigen Ingenieure langfristig wieder in die Erfolgsspur finden werden."

Der Optimismus des Briten, der im Lager von Mercedes von Sieg zu Sieg fährt, wird bei seinem Ex-Team McLaren gern gehört - immerhin kassiert man von anderer Stelle immer wieder Prügel. Der ehemalige Formel-1-Teamchef Eddie Jordan hatte sogar den Rücktritt von Ron Dennis gefordert, woraufhin der Brite seinen irischen Ex-Kollegen als "Dorftrottel" bezeichnete. All dies zeigt: In Woking ist man mit der Geduld langsam am Ende, die Nerven liegen blank.

Dennis: Schmerzen als Motivation für das Team

"Auf der Seite unseres Partners Honda gibt es noch Probleme. Sie kämpfen mit Zuverlässigkeit und Performance. Wenn die Standfestigkeit nicht da ist, dann kann man auch nicht die richtige Performance abrufen. Daher ist klar: zuerst muss man die Zuverlässigkeit in den Griff bekommen", sagt Dennis, der jedoch gleichzeitig stolz auf "enorme Fortschritte" beim Chassis verweist. Der McLaren sei in manchen Silverstone-Kurven das schnellste Auto gewesen. Aber was bringt das, wenn es geradeaus nicht vorangeht?

"Honda hat umfangreiche Ressourcen und setzt diese auch ein. Wir sind in einem regelmäßigen Austausch. Die aktuelle Situation ist auch für Honda alles andere als angenehm. Es ist schmerzhaft", erklärt Dennis. "Diesen Schmerz muss man als Motivation nutzen. Wir müssen da jetzt durch. Ohne einen Hersteller wie Honda an der Seite ist es unmöglich, die Weltmeisterschaft zu gewinnen. Wir müssen den Schmerz aushalten, um dann nach vorn zu kommen."

Jenson Button

Zweijahres-Vertrag und nicht mehr viel Geduld: Ex-Weltmeister Jenson Button Zoom

"Jeder wusste, dass es im ersten Jahr schwierig werden würde. Nun ist es sogar noch schwieriger als wir gedacht hatten. Ich bleibe aber optimistisch, denn die Fortschritte sind spürbar und gut. Es braucht halt alles seine Zeit", zeigt sich Superstar Fernando Alonso (noch) äußerst geduldig. Beide McLaren-Piloten halten die aktuelle Situation zumindest äußerlich gut aus. "Aber ich grinse nur noch für die Öffentlichkeit", hatte Jenson Button nach einer weiteren Enttäuschung beim Heimspiel offenbart.

Boullier sicher: Im McLaren stecken noch Sekunden

"Eigentlich könnte unser Auto jetzt schon viel schneller fahren, aber das ginge auf Kosten der Zuverlässigkeit. Wann immer wir mehr Power freigeben, gibt es Defekte. Wir müssen also konservativ herangehen", schildert Teamchef Eric Boullier das aktuelle Dilemma mit dem Honda-Antrieb. Nach Aussage des Franzosen seien die Erwartungen im ersten Jahr der neu belebten Partnerschaft einfach zu hoch gewesen. Honda habe einen Erfahrungsrückstand von zwei Jahren, so Boullier, "und dafür zahlen sie den Preis."

Die Japaner hatten mit großen Ankündigungen selbst dafür gesorgt, dass die Kombination McLaren-Honda unter enormem Erfolgsdruck steht. Wie der 'Daily Telegraph' berichtet, hatte ein Honda-Verantwortlicher vor dem Start in die Saison gegenüber einem Formel-1-Teamchef behauptet, dass man sofort auf dem Niveau von Mercedes agieren werde. Beim Auftakt in Australien lag man rund fünf Sekunden zurück. Der Abstand zur Spitze ist seither nur aufgrund guter Entwicklungen auf Chassisseite geringer geworden.

Ron Dennis

Bleibt auch in der Schwächephase der starke Mann: McLaren-Boss Ron Dennis Zoom

"In unserem Paket stecken nicht weitere Zehntelsekunden, sondern ganze Sekunden. Wenn die Zuverlässigkeit mal stimmt, dann können wir es abrufen. Wenn wir dann wirklich ans Limit gehen, steckt sogar noch mehr drin", beschreibt Boullier das angeblich hohe Potenzial. "Heutzutage kommt die Performance eines Formel-1-Autos zu mehr als 50 Prozent vom Antrieb. Jeder weiß das. Da liegt dann der Druck auf Honda."

Formel-1-Fahrplan: Honda denkt anders als McLaren

Und im Lager der Japaner hat man mehr Geduld als in Woking. "Wenn Honda im dritten oder vierten Jahr des Fünfjahres-Planes gewinnt, dann ist es für sie ein Erfolg. Wir von McLaren können aber nicht so lange warten", beschreibt der Teamchef den Unterschied in der Erwartungshaltung. "Honda ist in der Formel 1, um möglichst mehr Straßenautos zu verkaufen. Wir sind in der Formel 1, um Rennen zu gewinnen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Zeitpläne beider Partner übereinstimmen. Darüber haben wir schon mehrfach diskutiert."

"Ich sage Herrn Arai jeden Tag, dass wir so schnell wie möglich zum Erfolg kommen müssen. Wie in jeder guten Partnerschaft ist es aber auch bei uns so, dass ich nicht preisgeben werde, was wir intern genau zueinander sagen", so Boullier. Honda-Motorsportchef Yasuhisa Arai stellt klar: "Für Honda ist es ein Langzeit-Projekt!" Der Japaner wähnt sich und seine Entwicklermannschaft auf einem guten Weg. Man stellt sich selbst nicht in Frage.

Yasuhisa Arai

Muss sich viel Kritik anhören: Honda-Motorsportchef Yasuhisa Arai Zoom

Honda bleibt trotz der bislang ausbleibenden Erfolge äußerst selbstbewusst. Ob man sich erfahrene Leute von Mercedes oder Ferrari holen werde, um die Entwicklung zu beschleunigen? "Nein, wir haben ausreichende Ressourcen", sagt Arai nahezu trotzig. Während man bei Honda geduldig am Antrieb bastelt, um irgendwann in den kommenden Jahren konkurrenzfähig zu sein, geht es bei McLaren sehr schnell an die finanzielle Substanz. Misserfolg schmälert die Einnahmen.

Aktuelle Krise kostet richtig viel Geld

"Es gibt einige Unternehmen, die ein Interesse an einer Zusammenarbeit mit uns haben. In diesen Unternehmen gibt es aber natürlich jeweils Leute, die ein solches Engagement aufgrund der aktuell ausbleibenden Erfolge hinterfragen. Die derzeitige Situation schmerzt uns kommerziell. Allzu lange können wir nicht mehr auf Erfolge warten", gibt Boullier offen zu. Allein aus dem Vermarktungstopf der FOM wird McLaren künftig rund 15 Millionen Dollar weniger kassieren.

Hinzu kommt, dass der versprochene Hauptsponsor seit Monaten auf sich warten lässt. Die goldenen Zeiten sind in Woking vorerst vorbei. "Unser Finanzplan für die kommenden Jahre sieht gut aus. Natürlich verlieren wir Einnahmen, die wir irgendwie anderswo generieren müssen, um es auszugleichen", erklärt der französische Teamchef der Briten. "Über Budgetkürzungen denken wir nicht nach, denn wir gehen fest davon aus, dass wir wieder erfolgreich sein werden, bevor wir in eine solche Situation kommen."

"Diese aktuelle Phase ist für Team, Fahrer und Fans sicherlich schwierig. Aber es steht absolut fest, dass wir aus dem Tal kommen werden. Das hat nichts mit Arroganz zu tun. Wir sind hier, um zu siegen - und wir werden wieder siegen. Wir unternehmen die erforderlichen Schritte, nehmen den Schmerz hin, aber werden am Ende wieder erfolgreich sein", meint Dennis. "Wir glauben den Aussagen von Honda. Wenn sie ihre geplanten Fortschritte machen, dann werden wir bald erheblich stärker sein."