Turbo-Ära: Wie die Piloten ihren Fahrstil ändern müssen

Simulationsexperte Peter Schöggl erklärt, wieso sich ein Turbomotor nie wie ein Sauger fahren wird, Alex Wurz bricht eine Lanze für das neue Reglement

(Motorsport-Total.com) - Nicht nur für die Techniker, sondern auch für die Fahrer gelten 2014 in der Formel 1 völlig neue Rahmenbedingungen. Nico Rosberg hat sein Lenkrad nach dem ersten Test mit dem neuen Mercedes F1 W05 bereits mit einem Smartphone verglichen - so viele Knöpfe und Menüpunkte hat er nun zur Verfügung, um das Auto optimal auf seine Bedürfnisse und die jeweilige Situation einzustellen. Und auch die Turbo-Antriebseinheiten und die begrenzte Spritmenge erfordern einen anderen Fahrstil als bislang.

Titel-Bild zur News: Kimi Räikkönen

Im Turbo-Zeitalter kämpfen die Piloten vermehrt mit durchdrehenden Hinterrädern Zoom

Auch Simulationsexperte Peter Schöggl von der österreichischen Firma AVL, der für Formel-1-Teams arbeitet, bestätigt gegenüber 'Motorsport-Total.com', dass die V6-Turbos den Piloten einen grundlegend anderen Fahrstil aufzwingen.

"Ein Turbomotor ist grundsätzlich etwas anderes als ein Saugmotor", liefert er die technische Erklärung dafür. "Beim Saugmotor sollte die Leistung immer proportional zum Fahrpedal und zur Drehzahl sein. Beim Turbomotor hängt das aber davon ab, wie hoch der Turbolader gerade dreht. Das ist der große Unterschied."

Gasfuß gefordert, elektronische Möglichkeiten begrenzt

Wie sich das auf den Piloten auswirkt? "Der Fahrer muss einen Parameter mehr in seinem Kopf verarbeiten", sagt Schöggl. "Er muss herausfinden, wie er fahren muss, damit er Ladedruck hat, wenn er ihn haben will." Das müsse erst ins Unterbewusstsein der Piloten eindringen, sollte aber "nach ein paar Rennen" kein Problem mehr sein. "Einige Fahrer werden damit besser, andere weniger gut klarkommen", glaubt Schöggl.

Peter Schöggl

AVL-Simulationsexperte Peter Schöggl hat tiefe Einblicke in die Formel 1 Zoom

Grundsätzlich gibt es zwar auch elektronische Möglichkeiten, um diese Herausforderung etwas zu relativieren, es ist aber von Vorteil, wenn sich der Fahrer selbst besser auf die Umstände einstellt. "Man kann da wie gesagt mit dem Elektromotor auch etwas machen, aber wenn das Überhand nimmt, könnte sich das negativ auf die Rundenzeit und auf den Verbrauch auswirken", bestätigt der Steirer. "Fahrer, die sich rasch einstellen, sind im Vorteil."

Motoren noch nicht optimal eingestellt

Auch für die Ingenieure ist die Einstellung des Motors eine große Herausforderung, da man den richtigen Kompromiss aus Fahrbarkeit und Effizienz finden muss - eine Frage der Software. Vor allem in der Anfangsphase der Wintertests gab es aus diesem Grund einige Unfälle, wo Piloten wie Adrian Sutil oder Komi Räikkönen beim Rausbeschleunigen aus der Kurve ihre Boliden aus der Kontrolle verloren.

"Man könnte mit dem Elektromotor dafür sorgen, dass der Turbolader nie unter eine gewisse Drehzahl kommt, aber das wirkt sich negativ auf den Verbrauch aus." Peter Schöggl

"Da befinden sich die Teams noch in einem Verfeinerungsprozess, der erst beim Test in Bahrain angelaufen ist", weiß Schöggl, dass noch kein Motor optimal eingestellt ist. Die größten Probleme hat diesbezüglich Renault. Die Renault-Piloten klagten bei den Tests über das sogenannte Turboloch, wo die Motorleistung mit Verzögerung, aber umso abrupter einsetzte und für eine mangelhafte Traktion sorgte.

"Da gäbe es eigentlich auch die Möglichkeit, mit dem Elektromotor am Turbolader das Turboloch zu reduzieren", weiß Schöggl. "Man könnte mit dem Elektromotor dafür sorgen, dass der Turbolader nie unter eine gewisse Drehzahl kommt." Auch das würde sich aber negativ auf den Verbrauch auswirken.

Hybridantrieb als Überholhilfe nach wie vor nutzbar

Fakt ist jedenfalls: Die Hybridtechnik wurde in der Formel 1 deutlich aufgewertet. Während man im Vorjahr KERS lediglich 6,6 Sekunden pro Runden einsetzen konnte, liefern die zwei Elektromotoren MGU-K und MGU-H nun "die doppelte Leistung und die zehnfache Energie" - und das über 30 Sekunden lang. Im Gegensatz zum Vorjahr, wo man das System über den KERS-Knopf am Lenkrad bedienen musste, ist es nun auch erlaubt, dass der Elektroantrieb automatisch zugeschaltet wird.

Bedeutet dies, dass die Zusatz-Power nicht mehr wie früher vom Piloten spontan als Überholhilfe aktiviert werden kann? "Das hängt von den Teams ab", sagt Schöggl. "Man kann vorprogrammieren, dass man in einer gewissen Kurve eine gewisse Zusatzenergie abrufen will. Der Fahrer kann das aber - wenn vom Team ermöglicht - auch selbst entscheiden und es zum Überholen nutzen. Dieses Jahr ist es aber erlaubt, dass es auch ohne Drücken des Knopfes funktioniert."

Neue Formel 1 zu komplex?

Nach wie vor ist unklar, inwiefern sich die neuen komplexen Regeln auf die Attraktivität des Sports auswirken werden. Diesbezüglich wird Melbourne eine erste Antwort liefern, aber erst nach einigen Rennen kann man sich wirklich ein Bild machen, ob es gelungen ist, die neuen technischen Herausforderungen dem Fan zu vermitteln und sie in Spannung umzusetzen.

Schöggl glaubt jedenfalls, dass die Natur der Rennen auch weiterhin für den Fan verständlich sein wird: "Ich glaube, sogar noch eher als bei den Reifen. In der Vergangenheit mussten die Fahrer extrem aufpassen, um die Reifen am Leben zu halten. Da ist es für den Fan glaube ich noch leichter zu verstehen, dass man mit dem Sprit haushalten muss."

Wurz richtet Appell an die Fans

Auch Ex-Formel-1-Pilot Alex Wurz stimmt nicht in den Tenor ein, dass der Grand-Prix-Sport durch die leiseren Turbomotoren und die Spritspar-Problematik an Attraktivität verlieren wird, und richtet über die 'SportWoche' einen Appell an die Formel-1-Anhänger: "Bitte, liebe Fans: offen sein, umstellen, nicht in der Vergangenheit hängen bleiben. Lasst uns glücklich sein, dass wir V12-, V10- und V8-Motoren gehört haben, sie waren sehr cool, aber der Sport, die Technik und die Menschen - wir alle entwickeln uns weiter."

"Bitte, liebe Fans: offen sein, umstellen, nicht in der Vergangenheit hängen bleiben." Alex Wurz

Der Österreicher gibt ein persönliches Beispiel, dass auch er sich an die neuen Rahmenbedingungen im Motorsport einstellen musste und dafür belohnt wurde: "Ich hätte mir nie vorstellen können, in einem Dieselauto leise um die 13 Kilometer lange Strecke in Le Mans zu düsen und damit zu gewinnen. Jetzt fahre ich in einem halb-elektrischen Auto, das fast mehr Leistung aus dem Hybrid- als aus dem Verbrennungsmotor herausbringt."

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