1999: Ein Malaysia-Grand-Prix für die Ewigkeit

Die Formel-1-Premiere in Sepang hatte es in sich: Schumachers Comeback, Häkkinens Beinahe-WM-Gewinn und Irvines Triumph am grünen Tisch in Paris

(Motorsport-Total.com) - Als der Sepang International Circuit 1999 in den WM-Kalender der Formel 1 aufgenommen wird, stellt dies den Aufbruch in eine neue Ära dar: Zum ersten Mal gastiert die Königsklasse in Südostasien, die Weichen für die globale Expansion, weg vom bisherigen Kernmarkt Europa, werden von Bernie Ecclestone also neu gestellt. Und obendrein markiert die bis zu 16 Meter breite Strecke auch in Sachen Sicherheit sowie Qualität und Dimension der Anlage rundherum einen Meilenstein. Das von Hermann Tilke entwickelte Projekt sollte von nun an neue Standards setzen.

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher, Eddie Irvine, Mika Häkkinen auf dem Podium in Malaysia 1999

Podium in Sepang 1999: Irvine und Häkkinen total platt, Schumacher wirkt völlig frisch Zoom

Die Ausgangslage vor dem 15. von 16 Rennen 1999 könnte spannender kaum sein: Mika Häkkinen (McLaren) führt mit 62 Punkten vor Ferrari-Pilot Eddie Irvine (60). Die Titelchancen von Heinz-Harald Frentzen (Jordan/50) und David Coulthard (McLaren/48) sind nur noch rechnerischer Natur. Und: Michael Schumacher kehrt nach sechs Rennen Pause auf die Grand-Prix-Bühne zurück. Der Irvine-Teamkollege hat sich drei Monate zuvor in Silverstone bei einem Unfall den rechten Unterschenkel gebrochen.

Es ist das Sport-Comeback des Jahres: Genau 97 Tage nach seinem Nahtoderlebnis in den Reifenstapeln von Silverstone ("Ich verlor das Bewusstsein und empfand das so, als gingen alle Lichter aus") holt Schumacher überlegen die Pole-Position, eine Sekunde vor Irvine und den McLaren-Fahrern - als wäre er nie weg gewesen!

Ferrari zieht neue Pfeile aus dem Köcher

"Eine wirklich erstklassige Performance", lobt Alt-Weltmeister Jackie Stewart, damals noch Teamchef, und bei Ferrari jubelt man über die erste Pole seit Montreal im Juni. Was zuvor am Nürburgring noch nicht gezeigt werden konnte, ist jetzt Gewissheit: Ferrari hat für den WM-Showdown nach einigen schwierigen Wochen entscheidend Performance gefunden.

Die Schumacher-Gala geht am Sonntag weiter: Der Deutsche gewinnt den Start, führt nach zwei Runden schon mit 3,1 Sekunden Vorsprung auf seinen Teamkollegen, der völlig im Schatten dieser überragenden Leistung steht. Aber bereits vor dem Rennen hat Schumacher, selbst ohne jede Chance auf den ersten Ferrari-Fahrertitel seit Jody Scheckter 1979, angekündigt: "Ich fahre nicht direkt für Eddie, aber immer für Ferrari!"

Michael Schumacher vor Mika Häkkinen in Malaysia 1999

Michael Schumachers taktisches Fahren treibt Mika Häkkinen in die Verzweiflung Zoom

Und so zieht die Scuderia ihr Stallorder-Spielchen durch: Leader Schumacher lässt Irvine in der vierten Runde zum ersten Mal überholen, fährt daraufhin nur so schnell, wie er unbedingt muss, um WM-Gegner Häkkinen einzubremsen. In der 15. Runde sind dann Coulthards Titelambitionen (nach Überholmanöver gegen Schumacher an zweiter Stelle liegend) endgültig dahin, als er seinen McLaren mit einer defekten Benzinpumpe abstellen muss.

Häkkinen verzweifelt in Schumachers Windschatten

Häkkinen droht indes hinter seinem ewigen Rivalen aus Deutschland zu verzweifeln: "Ich muss sehr vorsichtig sein, denn Michael fährt sehr unregelmäßig, wechselt immer wieder die Geschwindigkeit und wird in schnellen Kurven langsamer. Ich muss sehr aufpassen, um ja nicht aufzufahren. Das verlangt mir totale Konzentration ab - viel anstrengender, als wenn ich voll an der Spitze fahren könnte."

Im weiteren Rennverlauf kristallisiert sich heraus: Irvine setzt auf eine klassische Zweistoppstrategie, Häkkinen auf eine mit einem späten zweiten Boxenstopp - und Schumacher kommt nur einmal zum Nachtanken und Reifenwechseln rein. So ergibt es sich, dass der Comeback-Superstar Irvine in der 53. Runde ein weiteres Mal vorbeilassen muss, um für den die vollen zehn Punkte sicherzustellen. Häkkinen geht im Finish noch am Stewart von Johnny Herbert vorbei und wird Dritter (Rennergebnis).


Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in Malaysia

Erste Gerüchte schon unmittelbar nach Rennende

Neuer WM-Stand also: Irvine 70, Häkkinen 66 Punkte - Matchball für Ferrari beim Saisonfinale in Suzuka! Oder doch nicht? Nach dem Rennen kursieren verschiedene Gerüchte über mögliche Regelverstöße. Man munkelt von einer illegalen Traktionskontrolle am Ferrari, ebenso wie von so stark abgefahrenen Rillenreifen, dass diese de facto schon wieder Slicks sind und mehr Grip bieten. Aber dagegen will McLaren nicht protestieren: "Das ist nicht unser Stil", stellt Mercedes-Vorstand Jürgen Hubbert klar.

Letztendlich ist es FIA-Inspektor Jo Bauer, der Ferrari bei den Rennkommissaren anzeigt, aber aus einem ganz anderen Grund: Jene seitlichen Windabweiser ("Barge-Boards"), die von den Italienern bereits ein Rennwochenende zuvor am Nürburgring neu eingeführt worden sind, sollen nicht dem Reglement entsprechen. Betrachtet man den Unterboden von unten, ragen die sogenannten Deflektoren hervor - aber das ist illegal.

FIA-Urteil in Malaysia 1999

Das (vorläufige) Urteil der Rennkommissare in Malaysia: Beide Ferraris disqualifiziert! Zoom

Also nehmen die Rennkommissare Bryan Brophy, Derek Ledger und K Kanagalingam beide Ferraris aus der Wertung. Der vermeintliche Sieger sitzt schon in seinem Privatjet, als in Sepang festzustehen scheint: Häkkinen gewinnt den Grand Prix von Malaysia - und wäre damit bei einem Punktestand von 72:60 vorzeitig zum zweiten Mal Champion! Irvine erfährt davon erst bei einer Zwischenlandung in Bangkok, am Telefon.

Ferrari argumentiert: Hatten keinen Vorteil

Aber Ferrari will sich damit nicht abfinden: "Die Autos wurden sowohl hier als auch auf dem Nürburgring untersucht und für okay befunden", argumentiert Teamchef Jean Todt, und Technikdirektor Ross Brawn versichert, dass man "keinen Leistungsvorteil" daraus gezogen habe. Und tatsächlich sorgt die (eigentlich nebensächliche) Tatsache, dass die illegalen Deflektoren nicht schon früher aufgefallen sind, für Diskussionen.

Sechs Tage später dann die Berufungsverhandlung in Paris, bei der Ferrari in einer komplexen Anhörung mit ungenauen Messmethoden in Sepang und Flachheits-Toleranzen argumentiert. Und tatsächlich: Die FIA gesteht auf jeder Seite fünf Millimeter Toleranz zu, insgesamt also zehn Millimeter - sodass die Scuderia haarscharf im grünen Bereich bleibt. Ein Millimeter mehr, und Häkkinen wäre als Weltmeister endgültig bestätigt gewesen.

Jean Todt in Malaysia 1999

Ferrari-Teamchef Jean Todt ärgert sich: "Die Autos wurden für okay befunden" Zoom

"Fantastisch", jubelt Irvine im fernen Tokio. "Ich hätte nie gedacht, dass Ferrari etwas anstellen könnte, was gegen die Regeln ist. Sie haben uns ein Ergebnis zurückgegeben, das wir uns auf der Strecke ehrlich verdient haben. Jetzt denke ich nur noch dran, wie ich am nächsten Sonntag für Ferrari diesen Titel gewinnen kann!"

Irvine dann doch nicht erster Ferrari-Champion seit 1979

Aber es sollte anders kommen. Was Schumacher, der unbedingt selbst zum ersten Ferrari-Champion seit Scheckter werden wollte, gar nicht unrecht war, wie er später in seiner Biografie zugab: "Es wäre für mich persönlich schon hart gewesen, wenn Eddie diesen Pokal geholt hätte, den ich diesem Team doch so unglaublich gerne geschenkt hätte." Dass er sich in Malaysia trotzdem unterordnete, spricht für den Sportsmann in ihm.

Dabei hätte am Ende gar nicht viel gefehlt, um Irvine 1999 zum Weltmeister zu machen. Drei Punkte mehr hätten dem Briten gereicht: Einen musste er, noch vor Schumachers Unfall, in Magny-Cours wegen einer Stallorder verschenken, zwei weitere hätte ihm ein Ferrari-interner Positionswechsel beim WM-Finale in Suzuka gebracht.


Eddie Irvine nach seinem Sieg in Sepang 1999

Aber die meisten Zeitzeugen finden ohnehin noch heute: Ein Weltmeister Eddie Irvine wäre der Formel-1-Geschichte des Jahres 1999 nicht gerecht geworden...