• 08.06.2013 03:44

FIA-PK: Brawn im Fokus des Interesses

Während Mercedes-Teamchef Ross Brawn nimmermüde auf die Gerichtsverhandlung verweist, will die Konkurrenz in der Reifentest-Affäre so schnell wie möglich Klarheit

(Motorsport-Total.com) - Auf der offiziellen Pressekonferenz am Freitag in Montreal nahmen die Teamverantwortlichen Christian Horner (Red Bull), Stefano Domenicali (Ferrari), Martin Whtimarsh (McLaren), Ross Brawn (Mercedes) und Monisha Kaltenborn (Sauber) Stellung zum Reifentest, den Mercedes vor wenigen Wochen auf Anfrage von Pirelli durchgeführt hat. Pirelli-Motorsportchef Paul Hembery war ebenfalls für die Pressekonferenz geladen, blieb dieser auf Anraten der Pirelli-eigenen Rechtsanwälte aber fern.

Titel-Bild zur News: Ross Brawn, Monisha Kaltenborn, Martin Whitmarsh, Christian Horner, Stefano Domenicali

Die mit Spannung erwartete PK am Montreal-Freitag: Nur einer fehlt... Zoom

Frage: "Wie lautet die jeweilige Meinung zum Reifentest, der kürzlich in Barcelona stattfand?"

Monisha Kaltenborn: "Zunächst einmal muss man alle Fakten vorliegen haben, um eine wirkliche Meinung dazu abgeben zu können. Wir, die anderen Teams, haben die Fakten sicher nicht vollständig vorliegen. Anhand dessen, was in den Medien zu lesen ist, geschah das, was passiert ist, offenbar nicht im Einklang mit den Regeln. Ausgehend davon müssen wir natürlich die Möglichkeit in Betracht ziehen: Konnte das Team einen Vorteil daraus ziehen? Man könnte es annehmen, aber noch einmal: Ohne die Fakten ist es schwierig, das Ganze umfänglich zu beurteilen. Wir dürfen nicht nur die Auswirkungen auf dieses Jahr im Auge haben, sondern müssen auch hinterfragen, welcher Vorteil für das kommende Jahr daraus gezogen werden konnte. Schließlich ist jetzt gerade die Zeit, in der alle von uns bestimmte Teile für das neue Auto festlegen. Ich finde, es ist wichtig herauszufinden, ob es auf diesem Gebiet irgendwelche Vorteile für das Team gegeben hat. Wenn ja, kann man diesen Nachteil als Konkurrent unmöglich zu einem späteren Zeitpunkt aufholen. Ich bin froh, dass der Fall vor dem Tribunal verhandelt wird und bin mir sicher, dass dort alle Aspekte richtig bewertet werden."

Martin Whitmarsh: "Wir haben es bis jetzt vorgezogen, unsere Sichtweise für uns zu behalten. Wie inzwischen bekannt ist, wird der Fall nun vor dem Tribunal verhandelt. Dort werden vermutlich alle Fakten auf den Tisch kommen und beurteilt."

Horner will vor allem eines: Klarheit für die Zukunft

"Was ist erlaubt und was nicht? Was sind Testfahrten und was sind keine Testfahrten? Diese Fragen zu klären, ist entscheidender als alles andere." Christian Horner

Christian Horner: "Unsere Sichtweise der Dinge ist klar, schließlich haben wir in Monaco einen Protest eingereicht. Unserer Meinung nach liegt es in der Verantwortung des Teilnehmers, sich an die Regularien zu halten. Als ans Licht kam, dass es einen Test mit dem aktuellen Auto gegeben hat, war unsere Interpretation der Regeln klar: Hier wurde gegen diese verstoßen. Deshalb haben wir vor dem Rennen Protest eingelegt, sodass sich die FIA damit befasst. Unterm Strich ist es ein Problem zwischen dem Team und der FIA. Pirelli hat bei mehreren Teams einen Test angefragt, auch bei uns. Wir haben aber abgelehnt, da wir der Ansicht waren, dass es gegen die Regularien verstößt - mit einem aktuellen Auto zweifellos. Das ist die Sachlage. Jetzt geht es vor das Tribunal. Wir vertrauen der FIA dahingehend, dass dort die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Meiner Ansicht nach ist es das Wichtigste, für die Zukunft absolute Klarheit zu haben: Was ist erlaubt und was nicht? Was sind Testfahrten und was sind keine Testfahrten? Diese Fragen zu klären, ist entscheidender als alles andere."

Stefano Domenicali: "Dem ist nicht mehr viel hinzuzufügen. Es gibt eine Untersuchung vor dem Internationalen Tribunal, im Rahmen derer man sich mit der Situation auseinandersetzen wird. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Was für uns, die auch involviert waren, zählt: Uns wurden viele Fragen seitens der FIA unterbreitet. Die FIA hat Position bezogen. Somit ist die Situation für uns klar. Jetzt müssen wir abwarten, was passiert."

Ross Brawn: "Wie schon mehrfach erwähnt, wurde der Fall dem Internationalen Tribunal übergeben. Dort werden voraussichtlich in den kommenden Wochen die Fakten dieses Falls erörtert. Meine persönliche Meinung ist die: Wenn die Fakten auf dem Tisch liegen, können sich die Leute eine Meinung darüber bilden. Wir sahen uns in der Position, den Pirelli-Test durchzuführen. Es ist sehr wichtig zu erwähnen, dass es ein Pirelli-Test war. Die Verhandlung vor Gericht wird den Zeitpunkt darstellen, an dem alle Informationen verfügbar sind. Ein paar Anmerkungen möchte ich dennoch machen: Es gab die unglückliche Bezeichnung eines 'Geheimtests'. Es war ein privater Test. Es war kein Geheimtest. Jeder der glaubt, man könne drei Tage lang 1.000 Kilometer in Barcelona testen, ohne dass irgendjemand davon etwas mitbekommt, ist naiv. Es war ein privater Test, kein Geheimtest. Die sportliche Integrität ist uns sehr, sehr wichtig - sehr wichtig für Mercedes. Wie ich schon sagte: Wenn die Fakten auf dem Tisch liegen, können die Leute die Situation besser beurteilen."

Brawn verweist auf das Tribunal

Frage: "Ross, Paul Hembery sagte in Monaco, dass der Test niemals stattgefunden hätte, wenn er die anderen Teams davon in Kenntnis gesetzt hätte. Aus welchem Grund war der Test deiner Meinung nach legal?"
Brawn: "Nun, es fällt mir nicht ganz leicht, das zu beantworten, denn der Fall wird vor dem Tribunal verhandelt. Wie schon von Seiten der anderen Teams erwähnt, vertrauen wir diesem Vorgehen. Es ist ein neuer Prozess, den die FIA eingeführt hat - ein unabhängiges Verfahren, das so zum ersten Mal durchgeführt wird. Ich glaube, die Struktur ist gut. Wie schon gesagt, vertrauen wir dem Gerichtshof. Ich kann das nicht weiter kommentieren und will es nicht weiter kommentieren. Ich will dem Tribunal nicht vorgreifen. Wenn wir vor Gericht stehen, werden die Antworten auf diese Fragen vorliegen."

Frage: "Eine Frage an alle, außer vielleicht Ross, der natürlich gerne etwas dazu ergänzen kann: Wie hoch schätzt man den Vorteil eines solchen 1.000-Kilometer-Tests während der Saison und was genau kann mal als Team bei einem solchen Test lernen?"

Horner: "So wie die Regeln verfasst sind - Stichwort Testverbot - und so wie die Formel 1 betrieben wird - Stichwort Technologie und damit die Möglichkeit, Daten zu analysieren - verhält es sich so, dass man immer etwas lernt, sobald man auf die Strecke geht. Sei es Zuverlässigkeit oder sei es Performance. Selbst wenn man nur Komponenten für einen Zulieferer testest, lernt man immer etwas dazu. Meiner Meinung nach ist die Formel 1 in den vergangenen Jahren ein großes Stück vorangekommen wenn es um Fairness und Gleichbehandlung aller Teilnehmer geht. Fakt ist: Wenn ein Team dem aktuellen Auto 1.000 zusätzliche Kilometer aufbrummt, lernt man ganz sicher etwas."

Whitmarsh: "Dem ist nichts hinzuzufügen."

E-Mail von Charlie Whiting?

Frage: "Ross, Teil der gegenwärtigen Debatte ist die Frage, ob Mercedes von der FIA die Erlaubnis bekommen hat, mit dem aktuellen Auto zu fahren. Bist du in einer Position, beweisen zu können, dass diese Erlaubnis seitens der FIA vorlag? Vor Gericht wäre dies sicher eine große Hilfe."
Brawn: "Ich glaube nicht, dass wir den Pirelli-Test durchgeführt hätten, wenn wir nicht der Ansicht gewesen wären, dass wir ihn durchführen können. Vor dem Tribunal wird es die Antwort auf diese Frage geben."

Frage: "Ein Frage an alle: Für den Fall, dass es in Zukunft erlaubt sein sollte, private - nicht geheime - Testfahrten durchzuführen und sei es mit einem zwei Jahre alten Auto. Würde man es dann gerne sehen, wenn dies vorher bekanntgegeben würde, sodass alle im Vorfeld über den Test Bescheid wissen?"

Domenicali: "Der Interpretation der Regularien zufolge ist ein Test mit einem 2011er-Auto beziehungsweise einem zwei Jahre alten Auto kein Test im eigentlichen Sinne wie er im Sportlichen Reglement beschrieben ist. Das liegt aus unserer Sicht klar auf der Hand. Es ist bekannt, dass wir bei Ferrari uns seit geraumer Zeit dafür einsetzen, testen gehen zu dürfen. Wir glauben, Testfahrten sind wichtig. Sollten wir nach dieser Angelegenheit an dem Punkt angelangt sein, wo wir wieder testen dürfen, dann wäre das ein großer Schritt in die richtige Richtung."

Horner: "Ich finde, der Mangel an Transparenz ist das Enttäuschende. Es kann nicht sein, dass man solche Dinge aus zweiter Hand erfährt. Es ist wichtig, dass auf diesem Gebiet Transparenz herrscht. Wenn ein Ausrüster Probleme hat, dann muss er diesen natürlich auf den Grund gehen. Wenn aber alle Teams gleich behandelt werden, dann ist es nur richtig, die Information klar und transparent an alle herauszugeben."

Whitmarsh: "Bei jeglicher Art Testfahrten sollte Transparenz herrschen und die Regeln sollten für alle klar sein."

Kaltenborn: "Ich stimme dem Gesagten zu. Wenn man sich an die Zeiten zurückerinnert, als Testfahrten erlaubt waren: Damals machte niemand eine große Sache daraus. Jeder wusste, dass es Testteams gibt, die irgendwo in Europa testen gehen."

Frage: "Ross, für den Fall, dass Mercedes schuldig gesprochen wird: Siehst du deine eigene Position dann geschwächt oder deine Zukunft sogar woanders liegen? Es gibt Gerüchte, die dich als Opferlamm in dieser Sache sehen..."
Brawn: "Diese Gerüchte gab es schon vorher. Nichts ist passiert. Warten wir einfach ab, was das Tribunal herausfindet. Dann sehen wir weiter. Es war meine Entscheidung, den Test durchzuführen. Das ist eine Tatsache. Jetzt müssen wir abwarten, wie das Gericht entscheidet. Dann sehen wir weiter."

Frage: "Ross, angeblich soll es eine E-Mail von Charlie Whiting gegeben haben, die belegen soll, dass die Erlaubnis für den Test vorlag. Kannst du bestätigen, dass es diese E-Mail gegeben hat?"
Brawn: "Ich möchte die Dinge, die vor dem Gericht verhandelt werden, nicht kommentieren."

Brawn gab die Zustimmung zum Test

Frage: "Ross, da es ein Test war: Warum hat man sich für den Einsatz der Stammfahrer und gegen den Einsatz des Testfahrers entschieden?
Brawn: "Abgesehen vom Young-Driver-Test gibt es keine Vorgaben oder Einschränkungen dahingehend, welcher Fahrer im Auto sitzt. Für uns war es logisch, die Fahrer einzusetzen, die wir haben. Wir wollten beim Pirelli-Test so repräsentative Bedingungen schaffen wie es nur geht. Nicht mehr und nicht weniger."

Frage: "Ross, du hast gesagt, dass der Test deine Entscheidung war. Hatte das irgendetwas damit zu tun, dass du vom Ergebnis des Rennens vom vorangegangenen Sonntag enttäuscht warst? Oder war eine Garantie, die Reifen für 2014 testen zu können, der Grund? Oder beides?"
Brawn: "Ich kann mit Sicherheit sagen, dass die Entscheidung in keinster Weise im Zusammenhang mit unserer Performance auf der Strecke stand. Die beobachteten Ablösungserscheinungen auf den Reifen bereiten allen in der Formel 1 Kopfzerbrechen. Es hatte ganz sicher nichts mit der Performance des Autos zu tun. Nichts zielte darauf ab."

Frage: "Ross, hast du vor dem Test Mercedes-Aufsichtsratschef Niki Lauda und Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff informiert?"
Brawn: "Das möchte ich nicht kommentieren. Es tut mir leid, wenn ich mich wiederhole, aber die Fakten werden vor Gericht auf den Tisch gelegt."

"Ich könnte nicht behaupten, dass es eine angenehme Situation ist." Ross Brawn

Frage: "Ross, wie geht es dir generell? Bist du angesichts der Anschuldigungen und Verdachtsmomente traurig, frustriert, besorgt?"
Brawn: "Ich könnte nicht behaupten, dass es eine angenehme Situation ist. Noch einmal: Sobald die Fakten vor Gericht auf dem Tisch liegen, wird man die Situation besser einschätzen können. Wir versuchen uns auf den Rennsport zu konzentrieren. Wir haben in Monaco ein großartiges Ergebnis eingefahren. Es war ein wenig frustrierend, dass wir mit Lewis den zweiten Platz verloren haben. Anderenfalls wäre es sogar ein noch besseres Ergebnis geworden. Hier müssen wir uns auf das nächste Rennen konzentrieren. Wir versuchen, das sportliche Geschehen - und damit die Dinge, die wir genießen - in den Vordergrund zu rücken und alles andere auszublenden. Das ist nicht einfach, aber so ist der Motorsport. Ich bin lange im Geschäft dabei und habe Phasen wie diese schon erlebt."

Frage: "Ross, war es vor dem Hintergrund der Testaffäre schwierig, die Konzentration und den Fokus im Team aufrechtzuerhalten?"
Brawn: "Man versucht, die Last so gut es geht vom Team fernzuhalten und versucht sicherzustellen, dass das Team nicht abgelenkt wird. Abgesehen von mir selbst gibt es im Team eine oder zwei Personen, die dahingehend involviert sind, dass wir uns auf die Gerichtsverhandlung vorbereiten müssen. Abgesehen davon stellen wir sicher, dass sich alle anderen bestmöglich auf das Rennwochenende konzentrieren können. Natürlich ist es eine Ablenkung, das steht außer Frage. Wir versuchen aber, so gut wie möglich damit umzugehen. 99 Prozent der Leute in unserem Team konzentrieren sich darauf, am Rennwochenende die bestmögliche Arbeit abzuliefern. Dann gibt es noch ein Prozent, inklusive mir selbst, das sich mit den Nachwirkungen des Pirelli-Tests befasst."

Die Formel 1 betritt Neuland

Frage: "Eine Frage an die anderen vier Teamchefs: Die Formel 1 betritt mit der Verhandlung vor dem Internationalen Tribunal Neuland. Dem Vernehmen nach dürfen interessierte oder betroffene Parteien bei der Verhandlung dabei sein. Wird jemand aus dieser Runde - abgesehen von Ross - dabei sein?"

Domenicali: "Wie man weiß, waren wir zu Beginn dieses Prozesses involviert. Die FIA wollte zunächst die Situation verstehen. Also haben wir unsere Dokumente offengelegt. Was uns betrifft, wurde der Fall geschlossen. Wir haben unsere Sichtweise bereits dargelegt."

Horner: "Es ist ein neuartiges Vorgehen. Genau wie andere wurden auch uns seitens der FIA Fragen gestellt. Ich sehe es als eine Instanz, die das Ziel hat, so viele Informationen wie möglich zusammenzutragen. Basierend darauf sollen die Richter eine fundierte Entscheidung treffen. Es kann gut sein, dass während der kommenden Tage weitere Informationen benötigt werden. Es ist ein neuartiges Vorgehen. Das Wichtigste ist es meiner Meinung nach, dass es schnell durchgezogen wird und so schnell wie möglich Klarheit für die Zukunft herrscht: Dürfen wir unseren Motor für 2014 nächste Woche von einem Zulieferer testen lassen? Es gibt gewisse Dinge, die geklärt werden müssen."

Whitmarsh: "Wir haben die Fragen der FIA beantwortet, haben aber nicht vor, bei der Anhörung zugegen zu sein."

Brawn: "Wir werden da sein."

Kaltenborn: "Auch wir haben Fragen erhalten, die wir beantwortet haben. Derzeit planen wir nicht, der Justiz von unserer Seite etwas beizusteuern. Sollten die Richter aber zusätzliche Informationen haben wollen, werden wir diese liefern."