Neue Pirelli-Reifen: "Wir kommen hin"

Neue Pirelli-Reifen ab Kanada, Veto von Force India, weitere Meinungen: Der aktuelle Stand in der Diskussion um die geplante Änderung der Reifen während der Saison

(Motorsport-Total.com) - Im Streit um die Einführung neuer Hinterreifen während der laufenden Saison scheint es laut Aussage von Pirelli eine Annäherung zu geben. Eigentlich hätten die in manchen Rennen extrem schnell abbauenden Formel-1-Pneus bereits für den nächsten Grand Prix in Kanada modifiziert werden sollen, doch das scheiterte an der fehlenden Einstimmigkeit unter den elf Teams. Sind sich diese nicht einig, kann eine solche Änderung während der Saison nur aus Sicherheitsgründen durchgeführt werden.

Titel-Bild zur News: Paul Hembery

Paul Hembery (rechts) muss derzeit zwischen mehreren Parteien vermitteln Zoom

Dagegen lehnte sich zuletzt aber Force India auf, weil ausgerechnet Pirelli-Sportchef Paul Hembery stets öffentlich betont hatte, dass selbst die aufgetretenen Reifenschäden kein Sicherheitsrisiko darstellten, weil die Luft nicht aus dem Reifen entwichen ist, selbst wenn sich die Lauffläche gelöst hat. Daher muss Hembery nun erneut einräumen: "Die Luft ist nicht aus den Reifen entwichen, aber aus Imagesicht macht so etwas keinen guten Eindruck."

"Wir wollen verhindern, dass sich Schichten lösen, ausgelöst von Schnitten im Reifen nach dem Überfahren von kleinen Teilen. Dadurch entsteht eine Schwachstelle, durch die der Reifen überhitzt", erklärt der Brite. Red-Bull-Teamchef Christian Horner nickt: "Wenn sich ein großes Gummistück löst, dann darf das keine Fahrzeugkomponente oder noch schlimmer einen Fahrer treffen. Es gibt also Sicherheitsbedenken, über die - das weiß ich - auch einige Fahrer besorgt sind."

Temperaturfenster soll ab Kanada gesenkt werden

Pirelli plant deswegen, zumindest die Hinterreifen ab Kanada robuster zu gestalten, was auch deren Temperaturfenster um fünf bis zehn Grad absenken würde. Eine Maßnahme aus Sicherheitsgründen argumentieren diejenigen, die sich neue Reifen wünschen (also zum Beispiel Mercedes und Red Bull); ein Vorwand, wie jene Teams vermuten, die mit der derzeitigen Situation sportlich gesehen nicht unzufrieden sind. Dazu zählt auch Force India.

Der stellvertretende Teamchef Robert Fernley warnt im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com' vor einem überhasteten Schnellschuss und schlägt als Kompromiss vor, die modifizierten Reifen vorerst nur testweise einzuführen: "Es hängt davon ab, was Pirelli erreichen möchte. Meine Meinung ist, dass wir mit den 2013er-Reifen fahren sollten, die wir haben. Wenn Pirelli in der Zwischenzeit einen Testreifen bringen möchte, dann sollten wir diesen in Kanada testen und evaluieren."

"Zuerst einmal müssen wir wissen, was die Änderungen sein und wie sie eingeführt werden sollen. Daran arbeitet Pirelli mit der FIA", sagt Fernley. "Sobald wir wissen, welche Änderungen das sind - und laut Pirelli sollen es minimale Änderungen der Konstruktion sein -, können wir eine Entscheidung treffen. Da geht es wohl mehr darum, das Image von Pirelli zu schützen - zurecht. Aber Reifen, bei denen sich eine Schicht ablöst, sind kein Sicherheitsthema."

Force India versteht Imageproblematik von Pirelli

"Pirelli will nicht, dass sich keine Schichten der Reifen ablösen, denn das ist schlecht für ihr Image und für ihr Marketing. Wir sollten ihnen helfen, diesen Schaden zu beheben, aber dabei sicherstellen, dass die Charakteristik der Reifen soweit wie möglich bewahrt bleibt", kommt der Force-India-Manager dem Reifenhersteller grundsätzlich entgegen. Aber bevor man einer Änderung zustimmt, müsse man den Verdacht ausräumen, dass das Lobbying größerer Teams der wahre Hintergrund sei.

"Einige Teams haben dieses Jahr vielleicht Ressourcen aufgewendet, um zu sehen, wie sie ihr Auto entwickeln können, welches Radaufhängungs-Programm sie fahren können, um die Reifen zu optimieren. Andere Teams haben sich weiterhin auf die Aerodynamik konzentriert", erklärt Fernley. "Das ist unterm Strich die Entscheidung der Teams, die für sich entscheiden müssen, was ihrer Meinung nach am konkurrenzfähigsten ist."

Pirelli-Reifen

Die Pirelli-Reifen sind dieses Jahr Gegenstand zahlreicher Diskussionen Zoom

Bei Pirelli wiederum will man nichts davon wissen, in Wahrheit nur dem Druck von Mercedes, Red Bull und Co. stattzugeben: "Der Druck seitens der Teams ist mehr eine Angelegenheit der Medien als Realität", winkt Hembery ab. Man arbeite mit allen Teams an einer einvernehmlichen Lösung, klar sei jedoch auch: "Wir können nicht alle zufriedenstellen, aber wir müssen tun, was für den Sport und für Pirelli korrekt ist."

Lobbying der Teams nur eine Erfindung der Medien?

"Wir stehen knapp davor, uns mit allen Teams über Änderungen der Hinterreifen einig zu werden", behauptet der Pirelli-Sportchef. Force India wiederum wünscht sich bei einer etwaigen Änderung der Reifen: "Historisch gesehen sollten wir ein Mitspracherecht haben." Aber: Solange es kein Concorde-Agreement gibt, gibt es auch keine Sportliche oder Technische Arbeitsgruppe, keine Formel-1-Kommission und somit keinen Prozess, der solche Diskussionen formell korrekt regeln würde.

Trotzdem glaubt Hembery: "Wir sind nahe dran, die Änderungen für Kanada zu finalisieren, und das sollte dann das Ende der Geschichte sein." Zumal nun sogar das Lotus-Team einzulenken scheint, das mit den aktuellen Reifen sehr gut zurechtkommt: "Wir teilen die Sicherheitsbedenken und stimmen allem zu, was aus Sicherheitsgründen verändert werden muss. Da sind wir nicht dagegen", stellt Teameigentümer Gerard Lopez in Aussicht.


Fotos: Großer Preis von Monaco, Donnerstag


Lopez: Keine Kritik an den aktuellen Reifen

Gleichzeitig betont er: "Wir haben die Reifen als recht beständig empfunden. Unterschiedliche Autos, unterschiedliche Fahrer, unterschiedliche Fahrstile - aber für uns funktionieren sie. Wir sind also recht glücklich damit, wie die Reifen jetzt sind." Ganz konträr dazu die Meinung von Red-Bull-Teamchef Horner: "Die Reifen waren manchmal zu sehr am Limit, auch bei den Rennen in Malaysia und Bahrain, die wir gewonnen haben. Es ist gut, dass sich Pirelli das anschaut."

Und noch ein Detail kommt in der leidigen Reifendiskussion auf: Warum konnte vor Barcelona ein neuer Reifen eingeführt werden, aber vor Kanada gibt es plötzlich Streit, ob man das mit dem Sicherheitsargument durchsetzen kann? "Weil das in Barcelona eine den Teams bereits bekannte Mischung war", klärt Hembery auf. "Jetzt könnte sich hingegen die Dynamik des Reifens verändern, zum Beispiel in puncto Verformung."

Robert Fernley

Robert Fernley von Force India will veränderte Reifen nicht einfach hinnehmen Zoom

"Es gibt einige Teams, die sich dramatische Änderungen wünschen, und es gibt Teams, die sich absolut gar keine Änderungen wünschen. Wir stehen da in der Mitte und suchen nach einer Lösung, die sportlich fair ist", ergänzt er. "Das bedeutet, dass wir so wenig ändern wollen wie möglich, denn alle hatten am Saisonbeginn die gleichen Informationen und Daten. Es wäre unfair, die Teams zu bestrafen, die im Moment gut damit zurechtkommen."