Wendlinger: "Aero-Problem bei Red Bull schwer vorstellbar"

Jaime Alguersuari, Hans-Joachim Stuck und Karl Wendlinger analysieren das Kräfteverhältnis und tippen, wer in Melbourne und zu Saisonende vorne sein wird

(Motorsport-Total.com) - Wer wird diese Saison die Nase vorne haben? Diese Frage sorgt wenige Tage vor dem Saisonauftakt bei Experten und Fans für viel Gesprächsstoff. Manche orientieren sich dabei an den Testergebnissen, die überraschenderweise Mercedes an der Spitze zeigen, andere betonen, dass die Versuchsfahrten mit den neuen Boliden dieses Jahr so wenig Aufschlüsse wie noch nie gegeben haben, da die Temperaturen niedrig waren und die Reifen bereits nach einer Runde keine schnellen Rundenzeiten und daher auch keine Longruns zugelassen haben.

Titel-Bild zur News: Sebastian Vettel

Wie groß sind die Balanceprobleme am Red Bull-Renault RB9 wirklich? Zoom

Dem schließt sich auch Pirelli-Tester Jaime Alguersuari an. Der Spanier ist gegenüber 'ServusTV' davon überzeugt, dass das Bild während der Saison "anders aussehen wird" als bei den Wintertests in Barcelona. "Man kann keinen Favoriten ausmachen", will er sich nicht konkret festlegen. Er rechnet aber mit geringen Abständen zwischen den Teams Red Bull, Mercedes, McLaren, Ferrari und Lotus: "Die Dichte ist sehr hoch, also kann man kaum sagen, wer in Melbourne gewinnen wird. Naheliegend wäre aufgrund der Vorgeschichte, dass es Sebastian Vettel schafft, aber ich tippe jetzt mal auf Kimi Räikkönen", setzt er auf Risiko.

Er schließt nicht aus, dass es wie im Vorjahr zu einer unberechenbaren ersten Saisonhälfte kommen könnte. Damals hatten die Teams große Mühe, die Reifen zu verstehen, was zu sieben Siegern in den ersten sieben Rennen führte. "Das könnte dieses Jahr genauso passieren", prophezeit er. "Es wird sicherlich viele Überraschungen geben." Sein Landsmann Fernando Alonso unternimmt dieses Jahr einen weiteren Anlauf auf den WM-Titel - und Alguersuari räumt ihm gute Chancen ein: "Ferrari hat eine gute Ausgangsposition, das Auto ist jetzt schon viel besser als vor einem Jahr."

Was gegen die Aero-Probleme bei Red Bull spricht

Probleme gibt es hingegen angeblich bei Rivale Red Bull. Nach einem Testauftakt nach Maß verdunkelte sich das Mienenspiel der Mitarbeiter der Weltmeister-Truppe an den letzten zwei Barcelona-Testtagen. Das Setup am RB9 stimmte nicht mehr, Vettel klagte über Balance-Probleme. Waren es die neuen Teile, die nicht den gewünschten Erfolg brachten, oder doch das Verbot der Renault-Motorenmappings?

Jenson Button

Bereits im Vorjahr sorgte der Saisonstart in Melbourne für Überraschungen Zoom

Ex-Formel-1-Pilot Karl Wendlinger will das misslungene Testfinale der Truppe von Dietrich Mateschitz nicht überbewerten. "Vielleicht haben sie wirklich beim letzten Test in Barcelona neue Teile probiert, die nicht ganz mit dem Rest des Autos harmoniert haben", vermutet er gegenüber 'ServusTV'.

"Die Tests zu beurteilen, ist aber sehr schwierig. Ich glaube, die große Stärke von Red Bull unter Adrian Newey war ja die Aerodynamik, auch wenn es im Vorjahr zu Saisonbeginn ein paar Probleme gab, die aber auf eine Reglementänderung zurückzuführen waren. Die gibt es dieses Jahr nicht in diesem Ausmaß, also rechne ich nicht mit einem aerodynamischen Problem."

Fragezeichen bei Mercedes und McLaren

Trotz der Probleme bei den Testfahrten mit den Pirelli-Reifen geht Wendlinger im Gegensatz zu Alguersuari davon aus, dass es dieses Jahr nicht so lange dauern wird wie im Vorjahr, ehe die Teams das Reifenrätsel gelöst haben: "Ich glaube, dass sie die Teams die Reifen dieses Jahr besser im Griff haben werden und rechne daher trotz der verschiedenen Bestzeiten bei den Tests mit einem Duell Alonso gegen Vettel."

Die Testbestzeiten der "Silberpfeile" sind laut Wendlinger mit Vorsicht zu genießen, da höhere Temperaturen die bösen Geister der Vergangenheit rufen könnten. "Die Tests gingen bei niedrigen Temperaturen über die Bühne, und die Frage ist, inwiefern Mercedes dieses Jahr den Reifenverschleiß im Griff haben wird."

Wendlinger hat auch Zweifel, ob McLaren mit der neuen Fahrerpaarung ähnlich konkurrenzfähig sein wird wie in der Vergangenheit, schließlich verliert man mit Lewis Hamilton einen der schnellsten Piloten und erhält mit Sergio Perez ein eher unbeschriebenes Blatt: "Ich bin nicht sicher, ob Button und Perez mit einem sehr guten McLaren über die ganze Saison hinweg fahrerisch mithalten können." Doch wer wird sich am Ende durchsetzen? Der Österreicher legt sich fest: "Ich glaube, Vettel schafft es wieder."

Stuck tippt Alonso als Champion

Auch Ex-Formel-1-Pilot Hans-Joachim Stuck könnte sich vorstellen, dass es auch dieses Jahr am Jahresende wieder auf ein Duell zwischen Alonso und Vettel hinauslaufen könnte. Doch im Gegensatz zu Wendlinger setzt er auf den spanischen Ferrari-Piloten: "Er wird es schaffen. Im Vorjahr hat Ferrari den Titel knapp verloren, aber Alonso ist ein totaler Kämpfer, wie auch Vettel. Die beiden werden es untereinander ausmachen."

Was für die "Scuderia" spricht? "Bei Ferrari herrscht ein unglaublicher Druck - die müssen dringend wieder einmal einen Titel einfahren. Man darf Alonso trotz seiner politischen Spielchen nicht vom Zettel nehmen, er hat mit Ferrari eine Weltmacht hinter sich. Sie werden nichts unversucht lassen, um den Titel dieses Jahr wieder nach Italien zu holen."

Mischt Sauber die Topteams auf?

Auch Neo-Sauber-Pilot Nico Hülkenberg wird nichts unversucht lassen, um nach einem Jahr bei den Schweizern endlich den Aufstieg zu den Topteams zu schaffen. Stuck traut seinem Landsmann jedenfalls bereits 2012 Erfolge zu. "Ich könnte mir in Melbourne eine Sensation vorstellen - und zwar, dass Hülkenberg gewinnt", hält er eine Überraschung für möglich.

"Von seinen Anlagen her hat der Nico das Zeug, vorne mitzugeigen ", glaubt er. "Dazu braucht er ein gutes Auto. Ich glaube, der Sauber ist so ein bisschen der Underdog in diesem Jahr, ein schönes Auto. Viele haben bei den Testfahrten gesagt, dass sie Sauber in Melbourne einiges zutrauen. Es wird sich herausstellen, wie das Auto mit den Reifen umgeht. Wenn es passt, dann wächst der Fahrer über sich hinaus und kann eine gute Leistung zeigen."