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Kolumne: Bernies (nächster) großer Coup

Analyse der Concorde/IPO-Situation: Wie es Bernie Ecclestone wieder einmal zu gelingen scheint, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen

Titel-Bild zur News: Bernie Ecclestone

Bernie Ecclestone ist mit allen Wassern gewaschen, wenn es um Deals geht

Liebe Leser,

die Nachrichtenagentur 'Reuters' (und in deren Sog auch zahlreiche andere einflussreiche Medien) hat am 16. März einen interessanten Artikel ("F1 globetrotting drives revenue rise") veröffentlicht. Interessant ist einerseits der Inhalt, vor allem aber das Timing der Veröffentlichung. Denn hinter dem kann man ein paar Wochen später mit ein bisschen Fantasie recht logische Motive erahnen.

'Reuters' beruft sich auf die neuesten Prognosen des Branchenmonitors 'Formula Money', dessen aktuelle Edition demnächst veröffentlicht wird. Demnach sollen die Einnahmen, die die Formel 1 generiert, bis 2015 um 50 Prozent auf 2,9 Milliarden US-Dollar (umgerechnet 2,2 Milliarden Euro) anwachsen. Dazu werden den Prognosen zufolge vor allem die insgesamt drei neuen Rennen in den USA (Austin und New Jersey) sowie in Russland (Sotschi) beitragen.

Europa gerät mehr und mehr ins Hintertreffen

Schon dieses Jahr werden die Einnahmen voraussichtlich erstmals die Zwei-Milliarden-Dollar-Grenze durchbrechen. Das liegt daran, dass erstmals 20 Rennen ausgetragen werden, also auch 20 statt 19 Veranstalter eine Grand-Prix-Gebühr zahlen. Diese variiert zwischen null (Monte Carlo) und 40 Millionen Euro (im asiatischen Raum) pro Event. Als Faustregel gilt: Europäische Traditionsstrecken zahlen weniger als asiatische oder arabische Regierungen.

Die Verträge zwischen Ecclestone und den Rennstrecken werden gehütet wie ein Heiliger Gral, doch es gilt als weitläufig bekannt, das die Gebühr in den meisten Fällen pro Jahr um sieben bis zehn Prozent steigt. Das heißt, dass sich die Einnahmen des Formel-1-Imperiums binnen weniger Jahre wie von selbst automatisch erhöhen, wenn die Verträge beibehalten werden. Denn die jährliche Inflation in Großbritannien, wo sich Ecclestones Büros befinden, liegt derzeit nur bei 3,6 Prozent.

Für 2012 prognostiziert 'Formula Money', dass die Einnahmen aus den Grand-Prix-Verträgen (700 Millionen Dollar) erstmals jene aus dem Verkauf von TV-Rechten (600 Millionen) überholen werden. Dazu kommen 400 Millionen an Bandenwerbung und sonstigen Formel-1-Seriensponsorings, 200 Millionen aus dem Paddock-Club und weitere 100 Millionen aus Streuquellen wie etwa dem Verkauf von offiziell lizenziertem Merchandising.


Marktbeobachter Holger Scholze über das Formel-1-IPO

Ich selbst war einigermaßen überrascht, als Bernie Ecclestone in Malaysia bekannt gab, dass er sich mit "der Mehrheit der Teams" bereits einig ist, was die kommerzielle Zukunft der Formel 1 angeht. Denn auf FOTA-Ebene galt es am Saisonende 2011 noch als Konsens, dass sich die Teams nicht mit weniger als 75 Prozent der Einnahmen abspeisen lassen wollen, wenn Ende 2012 das derzeitige Concorde-Agreement ausläuft.

Doch die neue Vereinbarung, die Ecclestone bei einem Treffen in London vor Saisonbeginn zunächst sechs Teams (Red Bull, McLaren, Ferrari, Mercedes, Lotus und Williams) angeboten hat, beinhaltet zwar einige Sonderprämien (insbesondere für Ferrari und Red Bull), weicht aber auf den ersten Blick nicht entscheidend von der derzeitigen 50:50-Verteilung des Einnahmentopfs zwischen den Inhabern der kommerziellen Rechte und den Teams ab. Trotzdem scheint die Mehrheit der bisher kontaktierten Teams durchaus unterschriftswillig zu sein.

Gleicher Anteil vom größeren Kuchen

Denn offenbar lockt Ecclestone im Gegensatz zu den vorangegangenen Concorde-Verhandlungen nicht mit einem prozentual größeren Stück vom Kuchen für die Teams, sondern mit einem größeren Kuchen. Es ist eine einfache Milchmädchenrechnung: 50 Prozent von 1,6 Milliarden Dollar (Einnahmen des Jahres 2010) sind erheblich weniger als 50 Prozent von 2,9 Milliarden Dollar (erwartete Einnahmen des Jahres 2015).

Was das konkret für einen Unterschied macht, veranschaulicht ein Beispiel, das von 'Reuters' aufgeführt wurde: Red Bulls Gewinn beider WM-Titel im Vorjahr war 102 Millionen Dollar (umgerechnet 77 Millionen Euro) wert. 2015 würde das Weltmeister-Team aber schon 185 Millionen kassieren, sollten die Prognosen von 'Formula Money' zutreffen. Kein Wunder also, dass Ecclestones Angebot bei einigen Teams Gehör findet.

Christian Nimmervoll

Chefredakteur Christian Nimmervoll nimmt die aktuelle Lage unter die Lupe Zoom

Für die europäischen Rennstrecken bedeutet das freilich, dass sie noch stärker unter Druck geraten, denn die Inhaber der kommerziellen Rechte sowie auch die Teams profitieren gleichermaßen von Veranstaltern, die problemlos 40 oder mehr Millionen an jährlicher Grand-Prix-Gebühr zahlen können. Und der große Sieger des neuen Concorde-Agreements bei steigenden Einnahmen wäre wieder einmal ein alter Bekannter: Bernie Ecclestone.

Kommen wir zum Ausgangspunkt dieser Kolumne, zum Timing der Veröffentlichung extrem positiver Prognosen für die Formel 1. Dazu muss man wissen: Hinter dem von 'Reuters' zitierten Branchenmonitor 'Formula Money' steckt Christian Sylt. Sylt hat sich auf das Business der Formel 1 spezialisiert und in den vergangenen Jahren ein Nahverhältnis zu Ecclestone aufgebaut. Im Fall Gribkowsky hielt er dem Formel-1-Geschäftsführer mit seinen Veröffentlichungen den Rücken frei.

Positive Zahlen im idealen Moment

Dass derart positive Geschäftsprognosen ausgerechnet zu einem Zeitpunkt an die Öffentlichkeit geraten, da Ecclestone ein mögliches Initial Public Offering (IPO) an der Börse Singapur vorbereitet, kann eigentlich kein Zufall sein. Oder bin ich nur zu wenig gutgläubig, um in diesem Fall an Zufall zu glauben? Aber bitte nicht missverstehen: Damit will ich keineswegs behaupten, dass die Zahlen nicht stimmen. Ich sage nur wieder einmal: Well played, Bernie.

Denn man stelle sich vor, Ecclestone wäre an die Börse gegangen, kurz nachdem bekannt wurde, dass er den Teams künftig 75 statt 50 Prozent auszahlen muss - kein rosiger Ausblick für potenzielle Investoren. Und noch keine Unterschriften der Teams, der wichtigsten Protagonisten, zu haben, wäre ebenso fatal. So aber schlägt er wieder einmal alle Fliegen mit einer Klappe: gleichbleibende 50:50-Verteilung eines wachsenden Kuchens und noch dazu die wichtigsten Player unter Vertrag.

Luca di Montezemolo, Tamara und Bernie Ecclestone

Ferrari soll Bernie Ecclestone sogar Formel-1-Aktien versprochen haben Zoom

CVC füttert derzeit verschiedenste Nachrichtenagenturen mit "Geheiminformationen", wonach die Formel-1-Holding Delta Topco zehn Milliarden Dollar wert sein soll. Bei einem 20-Prozent-IPO in Singapur könnte also theoretisch ein Finanzvolumen von zwei Milliarden Dollar generiert werden. Aber: Ein von mir kontaktierter Finanzexperte schätzt den Wert von Delta Topco eher auf fünf bis sieben Milliarden Dollar. Aus dem Umfeld Ecclestones höre ich: CVC soll in der Vergangenheit schon vier Milliarden Dollar abgelehnt haben, um seine 63,3 Prozent zu verkaufen.

Erstaunlich finde ich, wie sehr sich die Concorde-Verhandlungen auf persönlicher Ebene abzuspielen scheinen. Bernie lässt es einen spüren, wenn er jemanden nicht mag. Mit Ron Dennis konnte er nicht mehr, seit es vor Jahren bei einem Meeting in Bahrain zu einem heftigen Wortgefecht mit Stinkefinger gekommen war. Adam Parr, der dem 81-Jährigen schon immer ein Dorn im Auge war, musste Frank Williams opfern, um mit Ecclestone ins Geschäft zu kommen.

Stefano Domenicali und Christian Horner lügen nicht, wenn sie behaupten, das neue Concorde-Agreement noch nicht unterschrieben zu haben. Was aber nichts daran ändert, dass sich ihre Teams mit Ecclestone in Wahrheit längst einig sind - angeblich gibt es einen rund 40 Seiten starken Vorvertrag, den manche schon unterschrieben, manche nur mündlich abgenickt haben. Und wer das älteste und traditionsreichste Team sowie den Weltmeister an Bord hat, der hat alle Trümpfe in der Hand. Auch wenn vier Teams (Mercedes, Caterham, HRT und Marussia) noch gar nicht zugestimmt haben: Letztendlich werden wohl doch wieder alle unterschreiben...

Christian Nimmervoll

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