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  • 12.08.2011 11:48

  • von Sven Haidinger & Tim Schwenger

Sechsrad-Williams: Die verbotene Revolution

Williams-Urgestein Patrick Head erzählt, wie 1981 der legendäre Sechsrad-Williams geboren wurde und woran das revolutionäre Konzept schließlich scheiterte

(Motorsport-Total.com) - Anfang der 1980er-Jahre ging in der Formel 1 das Turbo-Zeitalter los. Renault entwickelte den Turbomotor, der für kurze Zeit viel Leistung freisetzen konnte. Ferrari und BMW zogen bald nach, sodass sich für Williams als unabhängiges Team eine schwierige Situation darstellte. Daraufhin begann man mit einer Neuentwicklung eines Autos, das den Motoren-Nachteil aufwiegen sollte.

Titel-Bild zur News:

Der innovative Sechsrad-Williams wurde nie im Rennen eingesetzt

"Wir mussten einen anderen Weg finden, um unsere Geschwindigkeit auf der Geraden zu verbessern", erinnert sich der damalige Technikchef Patrick Head über die Ursprünge des Sechsrad-Williams. "In dieser Zeit waren die Hinterräder riesig, sie verursachten sehr viel aerodynamischen Luft-Widerstand. Das Verhältnis Auftrieb zu Widerstand betrug beim FW08 ungefähr 7,5 und Frank Dernie baute ein 25-Prozent-Modell des Sechsrad-Autos mit vier Vorderreifen an der Hinterachse, dessen Verhältnis Auftrieb zu Widerstand 12,5 betrug. Die Idee hatte also viel Potenzial."

Die hinter dem Sechsrad-Williams

Der Vorteil liegt auf der Hand: Die kleineren, direkt hintereinander angebrachten Vorderreifen erzeugten deutlich weniger Luft-Widerstand als die riesigen Hinterreifen Anfang der 1980er-Jahre. Die Mitte der beiden Achsen befand sich genau an dem Punkt, an dem sich auch die Mitte einer einzelnen Hinterradaufhängung befunden hätte.

Williams entschied sich, das innovative Konzept weiter zu verfolgen und baute ein Testauto. "Es handelte sich um ein umgebautes FW07-Chassis", erklärt Head, dass man den Boliden der Saison 1979 als Basis für die ersten Versuche heranzog. "Die erste Entwicklungsstufe des Sechsrad-Autos nannten wir FW07D." Dieses Auto wurde aber nur umgebaut, um genügend Daten für einen Umbau des FW08 zu sammeln - es wurde von Alan Jones Ende 1981 in Donington getestet.

"Wir mussten einen anderen Weg finden, um unsere Geschwindigkeit auf der Geraden zu verbessern." Patrick Head

Erster Test ein voller Erfolg

Als der FW08B fertig war, fuhr man mit den beiden Piloten Jacques Laffite und Jonathan Palmer an die Strecke Croix-en-Ternois in Nordfrankreich. "Wir waren von der Idee fasziniert, ob wir ein Auto ausbalancieren konnten, das im Heck so viel Kontakt zur Straße hat und wir fanden rasch heraus, dass wir es hinbekamen", so der Brite über die ersten Testfahrten. "Ich erinnere mich, dass Palmer mir sagte, dass er gar nicht bemerkte, dass da vier Räder im Heck waren, obwohl die Traktion aus langsamen Kurven phänomenal war."

Es stellte sich heraus, dass der Wagen vor allem im Nassen enorme Vorteile hatte und äußerst gutmütig zu Fahren war. "Der FW08B hatte keine Handlingprobleme", bestätigt Head. "Er untersteuerte nicht wie verrückt, was viele Leute erwartet hatten." Dennoch hatte das Konzept eine deutliche Schwachstelle: "Es benötigten so viele zusätzliche Teile, wodurch das Auto verdammt schwer war."

"Palmer sagte mir, dass er gar nicht bemerkte, dass da vier Räder im Heck waren." Patrick Head

Gewicht als Stolperstein

Das Übergewicht des Boliden betrug ganze 100 Kilogramm und bei Williams war allen klar, dass man ein neues Getriebe und ein neues Design der Hinterradaufhängung entwickeln musste. Diese 100 Kilo hatte Dernie nicht einberechnet, als er alle Daten in sein Simulationsprogramm eingab und einen virtuellen Paul-Ricard-Test durchführte. "Das Auto war ungefähr zwölf Sekunden schneller als das konventionelle Auto", grinst Head, der sich erinnert, dass Dernie meinte, die 100 Kilo Übergewicht seien "mein Problem".

Die 100 Kilo wurden aber schließlich zum Stolperstein für den Sechsrad-Williams. Das kleine Team verfügte im Gegensatz zu den Automobil-Konzernen nicht über die die Ressourcen, das Auto von Grund auf neu zu designen, um den Gewichtsanforderungen gerecht zu werden. Vor allem die Heckpartie stellte sich als Baustelle heraus - das mutige Konzept hätte eine völlig neue Hinterrad-Aufhängung und ein neues Getriebe erfordert.

"Das Auto war zwölf Sekunden schneller als das konventionelle Auto - wenn man das Übergewicht nicht berücksichtigte." Patrick Head

Späte Rehabilitation für den Sechsrad-Williams

Im Nachhinein ist Head froh, dass man die Idee schließlich schweren Herzens sterben ließ: "Man kann sagen, dass wir Glück hatten, denn Sechsrad-Autos und die Ground-Effect-Aerodynamik wurden später verboten, zudem erhielten wir später einen Honda-Turbomotor."

Und dennoch ließ der Sechsrad-Williams auch nach seinem Tod noch mehrmals sein Potenzial aufblitzen. 1982 wurde Keke Rosberg im FW08 Weltmeister, dessen Design zumindest vom Sechsrad-Konzept beeinflusst wurde, wie Head verrät: "Vielleicht erinnern sich manche, dass der FW08 ein kurzes, gestauchtes Design hatte - mit einem hohen Benzintank hinter dem Fahrer. Das lag daran, dass es eigentlich die Front des Sechsrad-Autos hätte sein sollen."

"Das Auto hatte so viel Traktion, dass es abging wie eine Rakete." Patrick Head

Der Williams FW08D kam nur einmal zum Einsatz und zeigte, welches Potenzial in ihm steckte. Beim legendären Festival of Speed in Goodwood, einem Bergrennen mit Kultcharakter, sicherte sich Palmer mit dem Sechsrad-Williams den Streckenrekord, der erst 1999 von Nick Heidfeld am Steuer eines McLaren MP4-13 geknackt wurde. "Das Auto hatte so viel Traktion, dass es abging wie eine Rakete", freut sich Head über den späten Triumph seines Boliden. "Er war als Sechsrad-Auto wie gemacht für Bergrennen."