Horner: "PS-Leistung kann man durch nichts ersetzen"

Der Red-Bull-Teamchef im Interview: Warum er für den WM-Kampf optimistisch ist, was er vom Mercedes-Motor hält und seine Gedanken über Kimi Räikkönen

(Motorsport-Total.com) - Drei Punkte fehlen Mark Webber vor dem Grand Prix von Italien in Monza auf WM-Spitzenreiter Lewis Hamilton, 31 sind es bei Sebastian Vettel. Angesichts des Restprogramms, das überwiegend Strecken beinhaltet, die dem RB6 liegen sollten, darf sich Red Bull dementsprechend große Titelhoffnungen machen.

Titel-Bild zur News: Christian Horner (Teamchef)

Christian Horner hätte für seine Fahrer gern etwas mehr Motorleistung

Teamchef Christian Horner ist sich dieser Ausgangslage voll bewusst und schöpft Mut aus der Tatsache, dass Red Bull insbesondere auch auf 2009 noch suboptimalen Strecken deutlich zugelegt hat. Außerdem spricht der Brite im Interview mit 'Motorsport-Total.com' über die in seinen Augen von der FIA unglücklich gelöste Motorenfrage und er erklärt, warum er ein Comeback von Kimi Räikkönen nicht für wahrscheinlich hält.#w1#

Vorfreude auf Suzuka und Yeongam

Frage: "Christian, Monza habt ihr bald überstanden. Dann kommt noch Singapur, wo Anpressdruck nicht das Hauptkriterium ist, aber danach sollten euch eigentlich alle Strecken sehr entgegenkommen, nicht wahr?"
Christian Horner: "Ja. Auf Japan freuen wir uns und Südkorea wird interessant. Es gibt eigentlich keine Strecken mehr, auf denen wir nicht konkurrenzfähig sein sollten. Monza ist sicher die größte Herausforderung für uns."

"Dass wir dieses Jahr auf allen Strecken konkurrenzfähig sind, ist wirklich ermutigend. Es lief zum Beispiel in Valencia ganz gut, wo wir im Vorjahr Probleme hatten, und in Montréal waren wir dieses Jahr auch schnell. Monza war im Vorjahr wirklich schwierig für uns. Wir sind aber zuversichtlich, dass wir für dieses Rennen in diesem Jahr einen Schritt nach vorne gemacht haben."

Frage: "Lewis und Mark haben seit Spa-Francorchamps doch einen kleinen Puffer nach hinten. Würdest du trotzdem sagen, dass von den Top-5-Fahrern in der Weltmeisterschaft alle gleiche Chancen, also jeweils 20 Prozent, haben?"
Horner: "Ich denke schon. Der Punktestand trügt, denn die Abstände sehen größer aus, als sie in Wahrheit sind. Nach altem Punktesystem würden die ersten Fünf wohl innerhalb von 15 Punkten liegen. So gesehen ist noch alles offen. Es sind noch 150 Punkte zu vergeben und es wird ein interessanter Kampf über sechs Rennen."

Mark Webber vor Lewis Hamilton

Kann sich Mark Webber wieder vor Lewis Hamilton setzen? Zoom

Frage: "Mark macht dieses Jahr kaum Fehler. Das einzige durchwachsene Rennen, das mir spontan einfällt, war Melbourne..."
Horner: "Er fährt gut. Australien und Valencia waren dieses Jahr wahrscheinlich seine einzigen Fehler. Aber er hat einen sehr guten Rhythmus und eine sehr gute Harmonie mit dem Auto gefunden. Bisher war das eine sehr beeindruckende Saison von ihm."

Frage: "Red Bull und Brawn haben im Vorjahr die Hackordnung in der Formel 1 ziemlich durcheinandergewirbelt. Jenson Button wurde dadurch Weltmeister. Siehst du Mark jetzt in einer ähnlichen Ausgangsposition wie Jenson im Vorjahr?"
Horner: "Der Vorteil, den Jenson am Saisonbeginn hatte, hat ihm damals geholfen. Andere Teams haben ein bisschen gebraucht, um den Doppeldiffusor in den Griff zu bekommen. Wer auch immer diese Weltmeisterschaft gewinnen mag, wird ein sehr verdienter Weltmeister sein, denn dieses Jahr war die Ausgangslage die ganze Saison hindurch für alle gleich."

Weltmeister: Hauptsache ein Red-Bull-Fahrer!

Frage: "Würdest du dich für Mark ganz besonders freuen? Er hat noch einen Vertrag für 2011, aber es könnte eine seiner letzten Chancen sein. Sebastian wird wohl noch viele bekommen..."
Horner: "Ehrlich gesagt würde es mich riesig freuen, sollte es einer unserer beiden Fahrer packen. Mir kommt es nur darauf an, dass es ein Red-Bull-Fahrer ist."

Frage: "Während der Pressekonferenz nach seinem Sieg in Spa-Francorchamps deutete Mark an, dass sich das Team nun hinter ihn stellen sollte. Wann könnte dieser Punkt tatsächlich erreicht sein?"
Horner: "Dafür ist es im Moment noch zu früh. Wenn es für einen der beiden Fahrer rechnerisch oder praktisch unmöglich wird, den Titel zu gewinnen, dann werden wir aus Teamsicht natürlich unser Bestes geben, um unsere Ergebnisse zu optimieren. Wir haben jetzt ja eine klare Situation, was Stallorder angeht. Das macht uns das Leben viel einfacher."

Sebastian Vettel und Mark Webber

Sebastian Vettel und Mark Webber: Jeder muss (noch) für sich kämpfen Zoom

Frage: "Trägst du jetzt immer einen 100.000-Dollar-Geldkoffer mit dir rum?"
Horner: "Nein, aber Renault hat einen Haufen Geld. Vielleicht sollten wir unseren geschätzten Motorenpartner fragen (ein Renault-Mitarbeiter sitzt mit am Tisch; Anm. d. Red.)."

Frage: "Eure Fahrer sind für 2011 bestätigt, aber dann läuft Marks Vertrag aus. Was passiert danach? Denn mit Kimi Räikkönen habt ihr ja einen sehr interessanten Fahrer in der Red-Bull-Familie..."
Horner: "Wir haben viele gute Fahrer, auch einige sehr talentierte Youngsters. Mark nimmt seine Karriere nur noch Jahr für Jahr, was auch Sinn macht. Wir werden diese Brücke überqueren, wenn wir dort sind."

Frage: "Wärst du grundsätzlich daran interessiert, Kimi wieder in der Formel 1 zu sehen?"
Horner: "Für Kimi macht eine Rückkehr nur dann Sinn, wenn er das wirklich will und wenn er die nötige Leidenschaft und das nötige Verlangen empfindet. Außerdem bleibt die Zeit nicht stehen, wie man am Beispiel Michael Schumacher sieht. Manchmal ist es nicht gut, einen Schritt zurück zu machen."

Kimi Räikkönen

Kimi Räikkönen hat derzeit keine Formel-1-Pläne Zoom

Frage: "Hast du kürzlich mit Kimi gesprochen? Oder Helmut Marko?"
Horner: "Ich nicht. Kimi konzentriert sich auf die Rallye-WM. Der gehört sein Herz und darauf möchte er sich konzentrieren. Die Formel 1 liegt für ihn in der Vergangenheit."

Räikkönen-Comeback unwahrscheinlich

Frage: "Glaubst du also nicht, dass er noch einmal zurückkehren wird?"
Horner: "Das würde mich sehr überraschen."

Frage: "Sébastien Buemi liebäugelt neuerdings auch öffentlich mit einem Red-Bull-Cockpit für 2012. Was für eine Meinung hast du von ihm?"
Horner: "Sébastien ist ein Mitglied unseres Juniorenprogramms. Jeder Fahrer in der Boxengasse möchte im Moment unser Auto haben. Aber wie gesagt, wir werden diese Brücke erst überqueren, wenn wir dort angekommen sind. Unsere Fahrer für 2011 sind fixiert und danach ist es noch ein Weilchen hin."

Frage: "Wie beurteilst du die Partnerschaft mit Renault? In der Vergangenheit gab es da ja seitens Red Bull auch kritische Kommentare..."
Horner: "Wir haben eine großartige Partnerschaft mit Renault. Zwischen den beiden Firmen herrscht Harmonie. Das Problem, das wir haben, ist die Homologierung, denn der Motorenvorteil eines Mitbewerbers wurde 'eingefroren'. Das erzeugt ein Ungleichgewicht, wie wir hier in Monza sehen. Wenn du mit dem Chassis ein Problem hast, kannst du entwickeln und eine Lösung finden, aber mit der Homologierung wird jede Ungleichheit 'eingefroren'."

Christian Horner wünscht sich ein paar PS mehr im Heck... Zoom

"Auf einer Strecke wie hier sind 30 bis 35 PS weniger als Mercedes ein gewaltiger Nachteil. Der Renault-Motor hat zwar sehr positive Fahreigenschaften, aber die PS-Leistung kann man durch nichts ersetzen. Da verlassen wir uns auf die Sportbehörde, wieder ein Gleichgewicht zu schaffen."

Frage: "Der Unterschied liegt deiner Meinung nach bei gut 30 PS?"
Horner: "Ja."

Kostet Renault eine halbe Sekunde?

Frage: "Wie wirkt sich das hier in Monza auf die Rundenzeit aus?"
Horner: "Mit einer halben Sekunde."

Frage: "Wenn ihr Mercedes-Motoren jetzt sofort haben könntet, würdet ihr sie nehmen?"
Horner: "Das muss nicht sein. Das Wichtigste ist für uns, dass zwischen den Motoren ein Gleichgewicht hergestellt wird. Wenn die Motoren eingefroren sind, dann sollte es nicht in dem Ausmaß ein Leistungsmerkmal sein, wie das im Moment der Fall ist, sondern dann sollten wir für alle bei plus/minus einer bestimmten Prozentzahl liegen. Im Moment gibt es einen herausragenden Motor. Man sollte entweder den anderen erlauben, zu diesem Motor aufzuschließen, oder den herausragenden Motor drosseln."

Frage: "Gab es zwischen Red Bull und Mercedes zu irgendeinem Zeitpunkt auch Gespräche für 2011? Dass ihr über 2010 geredet habt, ist ja dokumentiert."
Horner: "Die Situation ist sehr klar: McLaren kann gegen Mercedes-Kunden ein Veto einlegen. So wurde uns das erklärt. Sie scheinen kein großes Bedürfnis zu haben, dass wir einen Mercedes-Motor bekommen."

Christian Horner und Norbert Haug

Horner kann noch oft bei Haug anfragen: Motoren will, aber darf er keine liefern Zoom

Frage: "Das galt für 2010, aber wie ist es für nächstes Jahr?"
Horner: "Das gilt auch für die absehbare Zukunft."

Frage: "In der Vergangenheit habt ihr öffentlich den Wunsch geäußert, zu Mercedes zu wechseln. Was hat denn euer Partner Renault dazu gesagt?"
Horner: "Wir sind mit der Partnerschaft, die wir mit Renault haben, sehr glücklich. Das Problem ist: Wenn es ein Ungleichgewicht gibt und die Regeln eingefroren sind, dann willst du als unabhängiges Team, das eine Wahl hat, natürlich den stärksten Motor. Unsere Präferenz ist, mit Renault zu arbeiten, aber wir verlassen uns auf die Sporthoheit, dass sie das Thema gerecht regelt. Eigentlich sollte es unter dem aktuellen Reglement keine große Leistungsdifferenzierung bei den Motoren geben."

Frage: "Aber euer Flirt mit Mercedes hat die Beziehung zu Renault nicht beeinträchtigt?"
Horner: "Überhaupt nicht."