Warum Testzeiten nichts zu bedeuten haben

'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer erklärt, warum es bei Tests nur um die "goldene Ananas" geht und wieso die Zeiten nichts zu bedeuten haben

(Motorsport-Total.com) - Es ist jeden Winter dasselbe Spiel: Mangels sonstiger spannender Ereignisse stürzen sich Fachmedien wie Fans wissbegierig auf die Testfahrten der Formel-1-Teams, um diese bis ins kleinste Detail zu analysieren und zu interpretieren. Doch dabei handelt es sich im Grunde genommen um völlig überflüssige Arbeit.

Titel-Bild zur News: Nico Rosberg

Bei den Wintertestfahrten lässt kaum jemand mal die Hosen herunter...

Erst beim Auftakt-Grand-Prix in Australien heißt es traditionell: "When the flag drops, the bullshit stops!" Das bedeutet - frei übersetzt - so viel wie: Wenn die Flagge fällt, hört das Täuschen auf. Denn im Winter sind die Teams nicht nur mit verschiedenen Benzinmengen und Reifen unterwegs, sondern sie fahren oft auch noch nicht mit den neuesten technischen Spezifikationen und unternehmen alles, um die Konkurrenz in die Irre zu führen.#w1#

Präsentationen sind nur Show

"Bei den Präsentationen lernst du gar nichts." Marc Surer

Noch schlimmer verhält es sich mit den Präsentationen, denn die Autos, die dort gezeigt werden, unterscheiden sich in der Regel stark von den Boliden, die schlussendlich ins erste Rennen geschickt werden. So ist dem BMW Sauber F1.08 erst nach dem Launch in München das skurrile "Hirschgeweih" gewachsen, während auch viele andere Teams schon längst wieder neue Teile aus dem Windkanal bekommen haben. Gleich bleibt nur das Grundkonzept.

Daher findet 'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer: "Bei den Präsentationen lernst du gar nichts." Eine Meinung, die unsere Redaktion durchaus unterschreiben kann, denn es ist in der Branche durchaus Usus, die Texte schon lange vor einem Launch vorzuschreiben und dann nur noch mit dem offiziellen Pressematerial abzugleichen. Was die Herren Mario Theissen und Co. so von sich geben, sind nämlich längst nur noch austauschbare Worthülsen ohne jeden Gehalt.

Kaum anders ist es bei den Testfahrten: "Die muss man immer mit Vorsicht genießen", warnt Surer. "Hamilton war zum Beispiel beim zweiten Mal langsamer als beim ersten Mal, was bedeutet, dass es beim ersten Mal wohl Showrunden gegeben hat. Und wenn Alonso mit dem alten Auto Bestzeit fährt und dann Glock mit dem Toyota, beweist das, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Diese Testfahrten zu lesen, ist unglaublich schwierig."

Rätselraten: Wer macht was?

"Die fahren ein paar Runden und kommen wieder rein, aber du hast keine Ahnung, was die machen." Marc Surer

"Die fahren ein paar Runden und kommen wieder rein, aber du hast keine Ahnung, was die machen. Die Teams sagen nichts und die Fahrer verstecken sich noch mehr, geben vielleicht einmal am Tag kurz ein Statement ab", meint der ehemalige Grand-Prix-Pilot achselzuckend. Er selbst besucht daher regelmäßig Testfahrten in Valencia, um sich mit herumstehenden Ingenieuren zu unterhalten, die ihn kennen und ihm einige Informationen stecken.

Der Witz an der Sache: Diese Quellen sind zwar im Normalfall sehr zuverlässig, verraten aber keinen Pieps über das eigene Team, sondern geben nur das weiter, was sie über die Konkurrenz in Erfahrung gebracht haben. Sprich: Wenn man etwas über McLaren-Mercedes erfahren will, geht man am besten zu einem Ferrari-Ingenieur (oder andersrum - ein Schelm, wer Böses dabei denkt). Durch ihre geschulten Augen können diese Spione nämlich Indizien auswerten und daraus recht akkurate Schlüsse ziehen.

Aber was können die Teams eigentlich im Detail tun, um die Rundenzeiten zu manipulieren, Marc? "Es hat natürlich hauptsächlich mit dem Gewicht zu tun, denn die Reifen sind ja für alle gleich", erklärt der Schweizer, in Deutschland bekannt als Co-Kommentator bei 'Premiere'. "Aber neue Reifen, wenig Benzin und so weiter können schon einen Einfluss haben. Nur: Es kann auch sein, dass mal jemand mit neuen Reifen und viel Gewicht fährt."

Was die Benzinlast alles ausmacht

Peter Sauber und Marc Surer

Marc Surer (rechts) gehört zu den renommiertesten Experten in der Formel 1 Zoom

"Ich habe im Vorjahr mal bei einem Williams-Test zugeschaut, als Nakajima in jeder Kurve viel später gebremst hat als Wurz. Da hat man sich gefragt: Was macht denn der Wurz, da fährt ja sogar der Japaner schneller? Aber der hatte ein leichtes Auto - und Wurz ist einen Volltanktest gefahren. Das verzerrt halt das Bild", relativiert Surer die Erkenntnisse aus den bisherigen Wintertestfahrten in Jerez de la Frontera und Valencia.

Theoretisch kann es nämlich sogar vorkommen, dass jemand sein Auto unter das vorgeschriebene Mindestgewicht abtankt, um in der Öffentlichkeit Eindruck zu schinden: "Man darf bei den Testfahrten eigentlich nicht illegal herumfahren, nur: Wer kontrolliert das? Theoretisch kann einer 40 Kilogramm herausnehmen und schnelle Zeiten fahren. Das macht nicht viel Sinn, weil man daraus nichts lernt, aber das sind eben die klassischen Vorstandzeiten", so Surer.

Bestzeiten von Schumacher und Alonso

"Alonso muss zurückkommen und mal zeigen: Ich bin wieder da!" Marc Surer

Und dann ist da auch noch der psychologische Faktor, wenn ein Fahrer zurückkommt und vom Team ein leichtes Auto bekommt, um mal die Eins auf dem Monitor zu sehen: "Alonso muss zurückkommen und mal zeigen: Ich bin wieder da! Das ist genau wie bei Michael Schumacher, der in Barcelona sehr schnell war, in Jerez dann aber nicht mehr so. In Barcelona waren es also wahrscheinlich Showzeiten, in Jerez dann ein ehrlicher Test", argumentiert Surer.

Übrigens spielt bei Testfahrten auch das Timing der einzelnen Runs eine außerordentlich wichtige Rolle, denn meistens werden die Bestzeiten am Morgen oder am Abend gefahren - eine reine Temperaturfrage: Ist es nämlich ein paar Grad kühler, dann funktioniert der Motor besser und die Reifen überhitzen nicht so leicht. Andererseits kann es im Winter vorkommen, dass es fast zu kalt ist für die Reifen. In so einem Fall herrschen mittags die besten Voraussetzungen.

Es ist also fast ein Ding der Unmöglichkeit, die aktuellen Testzeiten richtig zu lesen, und dennoch kann man schon die ersten Schlüsse ziehen: Ferrari und McLaren-Mercedes scheinen sich auf einem sehr guten Weg zu befinden, das BMW Sauber F1 Team konnte seine eigenen Windkanaldaten bisher nicht auf die Strecke umsetzen und im Mittelfeld wird es wieder einen extremen Konkurrenzkampf geben. Alles andere ist reine Spekulation...