• 19.07.2011 10:28

  • von Stefan Ziegler

Langeweile oder Spannung? Stadtkurse in der WTCC

Top oder Flop: Auf Stadtkursen wird den Fans entweder Motorsport vom Allerfeinsten geboten oder eine überaus statische Prozession bis ins Ziel

(Motorsport-Total.com) - Stadtrennen haben eine lange Tradition im Motorsport, obwohl es eigentlich dem Sicherheitsdenken widerspricht, in einem engen Leitplankenkanal um die Wette zu fahren. Die Faszination kennt auf jeden Fall kaum Grenzen, wenn sich Rennwagen in die Straßenschluchten stürzen, um den ganz normalen Wahnsinn unter die Räder zu nehmen. Spannend sind diese Rennen aber nicht immer.

Titel-Bild zur News: Tiago Monteiro

Rennen auf Stadtkursen teilen die Meinungen der Fans und Fahrer

Zumindest aus der Sicht der Zuschauer, die sich freilich an aufregenden Duellen und munteren Positionswechseln erfreuen. Solche Erwartungen muss der Motorsport-Fan bei Stadtkursen jedoch nach unten schrauben, denn in dieser speziellen Umgebung ist das Spektakel zwar groß, aber die Show auf der Rennbahn nicht immer abwechslungsreich. Für die Fahrer ist es indes Stress pur.

Langeweile? Nicht im Cockpit...

"Man darf nicht vergessen, was wir Piloten auf einem Stadtkurs leisten", sagt Yvan Muller (Chevrolet). "Für uns ist es keineswegs langweilig. In Porto waren wir zuletzt zum Beispiel bei sehr hohem Tempo unterwegs. Die letzte Kurve wird voll genommen und wir fahren mit über 200 km/h zwischen den Leitplanken herum." Bei diesen beengten Verhältnissen ist also in erster Linie Präzision gefragt.

Robert Dahlgren, Tom Coronel

Tom Coronel vor Robert Dahlgren: Die Mauern werden nur knapp nicht berührt Zoom

"Du musst sehr nahe an die Banden heranfahren, um wirklich schnell zu sein", sagt Robert Dahlgren (Polestar), der auf dem Circuito da Boavista sein erstes Stadtrennen in der WTCC absolvierte. "Das Auto bewegt sich sehr viel und beim kleinsten Fehler landest du in den Banden." So eine Erfahrung musste auch Dahlgren machen, denn im Freien Training leistete sich der Schwede einen Mauerkuss.

Eine vollkommen normale Sache, meint Alain Menu (Chevrolet). "Natürlich ist da ein Risiko dabei. Man denke nur an die Situation in der Qualifikation, wenn du in der letzten Runde noch eine Zeit setzen musst. Speziell, wenn du um den Titel kämpfst, musst du dieser Gefahr ins Auge sehen", erläutert der Routinier und merkt an: "Wir alle sind bereit dazu, eben dieses Risiko einzugehen."

Zu hohe Geschwindigkeiten auf zu wenig Raum?

Auch WTCC-Neulinge wie Javier Villa (Proteam), die Stadtkurs bisher nur aus Formelautos kennen und daher ganz andere Erfahrungen haben. "In Porto war ich erstmals mit einem Tourenwagen auf einer solchen Strecke. Es ist ganz anders, denn im Formelfahrzeug bist du viel präziser und kannst sogar noch näher an die Leitplanken heranfahren. Der Spaßfaktor ist aber trotzdem sehr groß."

Kristian Poulsen

Ein Fehler ist schnell passiert: Kristian Poulsen landete in Porto in den Banden Zoom

Geschwindigkeit und Gefahr scheint den Piloten also durchaus Freude zu bereiten, aber nicht jeder im Fahrerlager ist begeistert von den speziellen Verhältnissen eines Stadtevents: "In meinen Augen geht es - zumindest in Porto - ein bisschen zu eng zu. Es macht Spaß, hier zu fahren, aber man braucht auch etwas Glück", sagt Kristian Poulsen (Engstler). "Für den Zuschauer ist das natürlich klasse."


Fotos: WTCC in Porto


Allerdings nicht immer, denn wenn Stadtrennen zu Prozessionen verkommen, hält sich auch der Enthusiasmus der Fans in überschaubaren Grenzen. Der erste Lauf von Porto ist ein Beispiel für ein vergleichsweise statisches Rennen, bei dem die Plätze schon früh bezogen und die Entscheidung nach wenigen Runden gefallen war. In den Autos kommt aber trotzdem keine Langeweile auf.

Überholen ist ein großes Risiko

"Für die Zuschauer mag es nicht so prickelnd sein, doch für uns Fahrer ist es nach wie vor sehr aufregend", erklärt Tom Coronel (ROAL). "Stadtkurse machen immer sehr viel Spaß, auch wenn Überholen grundsätzlich sehr schwierig ist. Da darf man sich halt nicht verrückt machen lassen und muss die Punkte mitnehmen. Das Risiko ist manchmal nämlich größer als der mögliche Gewinn."

Alain Menu, Gabriele Tarquini

Auf Stadtkursen kann man vor allem beim Start einige Positionen gewinnen Zoom

Deshalb vermeiden es die Piloten auf Stadtkursen, risikoreiche Manöver zu setzen - die Gefahr eines Ausfalls und die Konsequenzen für die Gesamtwertung sind einfach zu groß. "Verpasst du nur einmal den Bremspunkt, kann dies das Rennende für dich und deinen Konkurrenten zur Folge haben", meint Dahlgren. "Aber klar: Es wird immer aufregende und weniger aufregende Stadtrennen geben."

"Natürlich will man auch auf solchen Strecken an seinem Gegner vorbeifahren", ergänzt Rob Huff (Chevrolet). "Wenn ich in Porto nicht gerade darauf aus gewesen wäre, weshalb blieb ich dann so dicht an Yvan dran? Es ist nur sehr schwierig, auf solchen Strecken keinen Fehler zu machen. Du brauchst aber auch ein bisschen Glück." Dies ruft wiederum die Versicherungen auf den Plan.

Der schmale Grat zwischen Erfolg und Ausscheiden

"Manche Einrichtungen setzen für Stadtrennen gleich einmal den doppelten Selbstbehalt an", sagt Kurt Treml, Teammanager bei Engstler. "Ich denke, es gibt in dieser Sache nur zwei Ansichten: Entweder du liebst es oder du hast es. Erfahrung macht letztendlich den Unterschied. Man muss dosiert angreifen und Druck machen, um den ohnehin schmalen Grat noch einmal zu verschmälern."

Stefano D'Aste

Stefano D'Aste und seine Verfolger: Hochspannung in den Straßen von Porto Zoom

Und wie nahe Spannung und Langeweile beisammen liegen können, wurde ebenfalls in Porto deutlich. "Lauf eins war eines der langweiligsten Rennen meines Lebens, denn es war einfach nichts los", sagt Norbert Michelisz (Zengö). "Lauf zwei war dann das genaue Gegenteil. Ich denke, so etwas hatten sich die Zuschauer gewünscht. Es war klasse, die Fahrmanöver an der Spitze zu beobachten."

Stefano D'Aste (Wiechers) hatte seine Pole-Position in die Führung umgemünzt und hielt seine Verfolger spektakulär in Schach. Dies faszinierte auch seine Konkurrenten: "Hin und wieder musste ich mich echt zusammenreißen, um mich wieder auf meine eigene Fahrt zu konzentrieren. Man hätte sich sehr leicht in den Kämpfen an der Spitze verlieren können." Wenn das kein Kompliment ist.