• 05.03.2010 15:39

  • von Stefan Ziegler

Der Gejagte: Titelverteidiger Gabriele Tarquini im Porträt

Das Starterfeld der WTCC rüstet sich zur Jagd auf den Weltmeister: 'Motorsport-Total.com' stellt den amtierenden WM-Champion Gabriele Tarquini vor

(Motorsport-Total.com) - Macao, 22. November 2009: Gabriele Tarquini schreibt Geschichte. In den Straßen der asiatischen Spielerstadt avanciert der italienische Rennfahrer zum ältesten Weltmeister unter dem Banner der FIA. Als die Saisonzielflagge der WTCC fällt, ist Tarquini 47 Jahre und 266 Tage alt - und neuer Rekordhalter: Der Tourenwagen-Routinier schnappt Juan-Manuel Fangio eine Bestmarke weg.

Titel-Bild zur News: Gabriele Tarquini

Gabriele Tarquini bestreitet 2010 seine sechste Saison in der Tourenwagen-WM

Der berühmte Argentinier hatte die Altersrangliste der FIA-Champions über ein halbes Jahrhundert lang angeführt - 2009 trat Tarquini dessen Nachfolge an. Als achter Rennfahrer aus Italien ist es dem mittlerweile 48-Jährigen gelungen, sich in die WM-Geschichtsbücher des Automobil-Weltverbandes einzutragen. Doch noch hat der langjährige SEAT-Pilot nicht genug vom Rennfahren auf Topniveau.#w1#

Die Familie als optimaler Ausgleich

In wenigen Stunden beginnt für Tarquini seine sechste Saison in der Tourenwagen-WM, die der Fan des AC Mailands erstmals mit der begehrten Startnummer eins bestreiten wird. Im offiziellen Jahrbuch der WTCC blickt Tarquini zurück auf das Rennjahr, das ihn ans Ziel seiner Träume brachte, und fasst seine Emotionen in Worte: "Meine Erfahrung hat sich bezahlt gemacht", hält Tarquini fest.

Gabriele Tarquini

Im SEAT León 2.0 TDI raste Gabriele Tarquini im vergangenen Jahr zum Titel Zoom

"Mein Ziel war natürlich ganz klar, den Titel zu holen - vor allem, weil ich nicht mehr der Allerjüngste bin und es vielleicht meine letzte Chance hätte sein können", so der Rennfahrer aus Giulianova. "Es war eine sehr harte Saison. Wenn du um den Titel fährst, dann hast du halt eine schwierige Zeit. Glücklicherweise habe ich aber zwei kleine Kinder, die mich zuhause kräftig auf Trab halten."

Die beiden Sprösslinge hören auf den Namen Giulia und Matteo und lenken Papa Gabriele nach einem stressigen Wochenende ganz hervorragend vom Renngeschehen ab: "Ich habe keine Chance, allzu sehr über das jeweils jüngste Rennen nachzudenken. Wenn ich nicht an der Rennstrecke bin, will ich mit den Problemen und dem Druck auch gar nichts zu tun haben", erläutert Tarquini.

"Ich will dann einfach mein Leben genießen. Das klappt am besten, wenn man seine Familie um sich herum hat. Du musst dich schließlich auch auf andere Dinge konzentrieren als den Rennsport. Mit den Jahren fällt einem das zunehmend leichter", meint der älteste FIA-Weltmeister aller Zeiten, der seine Karriere im Rennsport - wie viele andere - im Kartsport begonnen hat. Das war vor über 30 Jahren.

Der Weg in die Formel 1

Erfolge ließen damals nicht lange auf sich warten: Seinen ersten großen Titel holte Tarquini an Bord eines solchen Minifahrzeugs - und schwärmt noch heute von diesem Meilenstein. "Titel kannst du nicht miteinander vergleichen", findet der 48-Jährige und fügt an: "Ich werde allerdings immer sagen, dass mein erster WM-Titel, den ich im Kartsport eroberte, der wichtigste für meine Karriere war."

Gabriele Tarquini

Siegerehrung in Monaco: Gabriele Tarquini mit dem FIA-WM-Pokal 2009 Zoom

"Dadurch hatte ich die Möglichkeit, in die Formel 3 und später in die Formel 3000 aufzusteigen. Das Fahren in diesen Kategorien hat mir viel Spaß gemacht, meine Karriere hat es aber nur bedingt voran gebracht. So gesehen habe ich nun nicht mehr viel Druck, denn dieser neue WM-Titel wird meine Karriere sicherlich nicht so sehr verändern, wie mein Erfolg bei den Karts", gibt Tarquini zu Protokoll.

Gerade jener erste Titel sollte sich als richtungsweisend für den weiteren Werdegang des Italieners erweisen, denn schon wenige Jahre später wurde Tarquini in der Formel 1 vorstellig. Von 1987 bis 1995 absolvierte Tarquini 38 Grand-Prix-Starts in der "Königsklasse", war aber zu insgesamt 78 Rennveranstaltungen gemeldet - meist konnte sich der heutige WTCC-Pilot nicht qualifizieren.

Tarquini trat für klassische Hinterbänkler auf den Plan und wurde nicht zuletzt dadurch bekannt, 25 Mal bereits an der zu Beginn der 1990er-Jahre üblichen Vorqualifikation zu scheitern. Diese "Leistung" ist bis heute ein Rekord. Nach nur einem WM-Punkt für AGS wandte sich Tarquini noch während seines Formel-1-Engagements dem Tourenwagensport zu, wo er eine neue Heimat finden sollte.

Die neue sportliche Heimat: Tourenwagen

Dort mauserte sich der italienische Rennfahrer rasch zu einer festen Größe und entschied 1994 die hart umkämpfte Britische Tourenwagen-Meisterschaft (BTCC) für sich, ehe er 2003 auch in der Europäischen Tourenwagen-Meisterschaft (ETCC) ganz vorne landete. Als die ETCC den WM-Status erhielt, war Tarquini freilich mit von der Partie und zählt bis heute zu den Spitzenfahrern dieser Serie.

Gabriele Tarquini

Am Limit und auch darüber hinaus: Gabriele Tarquini scheut kein Risiko Zoom

Das Erfolgsrezept des SR-Piloten ist einfach: Er kann sich auf seine umfangreiche Erfahrung verlassen. "Ich bin nun schon so lange im Motorsport aktiv, dass ich meiner Meinung nach etwas besser mit Druck umgehen kann, als 20- oder 25-jährige Nachwuchsfahrer, die nicht einmal annähernd so viele Saisons auf dem Buckel haben", bringt es Tarquini auf den Punkt.

Nur auf seine Routine will sich der 48-Jährige aber nicht verlassen und greift daher gelegentlich sehr tief in die Trickkiste. Gerade der intensive Lackaustausch in der WTCC hat es Tarquini angetan: "Man geht mit dem Messer zwischen den Zähnen an den Start", beschreibt der SEAT-Fahrer seine Einstellung. "Die Rennen sind immer sehr kraftvoll: Man klopft an, teilt aus und steckt ein."

Tarquini: Vom Jäger zum Gejagten

"Es ist eben fast wie beim Boxen, wo man den direkten Kontakt zum Gegner hat", meint Tarquini und fügt wenig überraschend hinzu: "Manchmal verwenden wir unser Auto auch als 'Hammer', um die anderen das Fürchten zu lehren." Mit solchen Aktionen hat sich Tarquini in der Vergangenheit nicht immer und überall beliebt gemacht, weshalb er sich 2009 etwas mehr in Zurückhaltung übte.

Gabriele Tarquini

Im Fokus: 2010 konzentrieren sich die Gegner speziell auf den Titelverteidiger Zoom

Hier und da packte Tarquini zwar noch immer die Brechstange aus - Jörg Müller und Rob Huff dürften die Rennen in Puebla und Imola in bleibender Erinnerung geblieben sein -, doch insgesamt agierte der langjährige WTCC-Pilot viel besonnener als in den Vorsaisons, wo er Siege und vielleicht auch Titel durch unüberlegte Aktionen im Kiesbett oder im Kotflügel eines Kontrahenten versenkte.

So durfte Tarquini nach einem überaus turbulenten Wochenende in Macao den ganz großen Siegerpokal stemmen - und stürzt sich nun in das "Unternehmen Titelverteidigung". 2010 startet Tarquini für das neue SR-Team, aber das Einsatzauto bleibt gleich: Auch in der neuen Saison begibt sich Tarquini im SEAT-Dieselfahrzeug auf Punktejagd. Dabei ist er nun selbst der Gejagte...