Pikes-Peak-Kolumne: Das Kult-Event für Frühaufsteher

Redakteur Markus Lüttgens besuchte am vergangenen Wochenende das Bergrennen am Pikes Peak und erlebte eine Motorsport-Event, das anders ist als alle anderen

Liebe Freunde der Berge,

Titel-Bild zur News: Pikes Peak

Der Pikes Peak bietet eine einmalige Kulisse für Motorsport Zoom

zwar sind der Pikes Peak und das nach ihm benannte Bergrennen spätestens seit dem Sieg von Walter Röhrl im Jahr 1987 auch hier im deutschsprachigen Raum keine völlig Unbekannten mehr, doch hat die nach dem Indy 500 zweitälteste Motorsport-Veranstaltung der USA hier nicht den Stellenwert, wie sie ihn vor Ort hat.

Für mich war das Pikes Peak International Hill Climb allerdings schon seit langer Zeit ein Rennen, das ich unbedingt einmal besuchen wollte. Umso mehr freute ich mich, dass dieser Traum in diesem Jahr wahr wurde. Bei meinem Besuch in Colorado erlebte ich ein Rennen, das vollkommen anders ist als alles andere, was ich bisher erlebt habe.

Am Streckenrand wartet der Abhang

Das fängt schon mit der Rennstrecke an: Über 156 Kurven windet sich der Kurs über 19,99 Kilometer vom Start in 2.862 Metern Höhe auf den Gipfel des Pikes Peak in 4.301 Metern Höhe. Erst seit 2011 ist die normalerweise öffentliche Straße komplett asphaltiert - weil Umweltschützer gegen die Staubentwicklung protestiert hatten.

Wie bei der Wertungsprüfung einer Rallye sucht man Auslaufzonen an den meisten Stellen vergebens. Wer über das Limit hinausgeht, wird nur an wenigen Stellen von Leitplanken aufgehalten. Überall sonst lauern entweder Bäume oder oberhalb der Baumgrenze Felsen oder im schlimmsten Fall der Abgrund, hinter dem es teilweise hunderte Meter runter geht.

Eine weitere Herausforderung ist die dünne Luft in der Höhe, wovon ich mir selbst ein Bild machen konnte. Während ich mich am Start in gut 2.800 Metern noch recht normal bewegen konnte, reichten gut 1.000 Meter höher am "Devil's Playground" schon einige etwas schnellere Schritte, um deutlich außer Atem zu kommen. Auf dem Gipfel verstärkten sich die Symptome dann noch um leichten Schwindel.

Auf 4.300 Metern wird jeder Schritt zur Anstrengung

Doch zum Glück hatte das perfekt aufgestellte Team von Volkswagen Motorsport, das die Reise zum Pikes Peak organisiert hatte, Sauerstoff in Dosen dabei, und nach ein paar Atemzügen ging es besser. Diese Erfahrung reichte mir aber aus, um die Leistung der Fahrer, die bei der Fahrt auf den Berg körperlich angestrengt sind, noch mehr zu würdigen.

Die dünne Höhenluft war übrigens auch ein Erfolgsgeheimnis für die Rekordfahrt des Volkswagen I.D. R Pikes Peak. Während Verbrennungsmotoren je 100 Meter Höhe durch die geringe Luft- und damit Sauerstoff-Dichte rund ein Prozent an Leistung verlieren, lieferte der elektrisch angetriebene Renner aus Hannover vom Start bis ins Ziel konstant 680 PS.

Sauerstoff

Ohne Sauerstoff wird die Luft in 4.300 Metern dünn Zoom

Dieses Auto einmal live erlebt zu haben, hat im übrigen auch meine Einstellung zu Elektro-Rennfahrzeugen ein Stück weit verändert. Zwar sorgte der V8-Sound eines Chevys bei mir für mehr Entzücken als der sonore Ton des I.D. R, doch die Beschleunigung des Volkswagen ließ beim ersten Start bei mir und vielen gestandenen Kollegen die Münder offenstehen.

Irre, wie der Volkswagen I.D. R Pikes Peak beschleunigt

Wie ein Geschoss zog Dumas von der Startlinie weg und war in Windeseile hinter der nächsten Kurve verschwunden. Einfach irre! In etwas kuriosem Kontrast dazu steht Heulton einer Polizeisirene, den der I.D. R aussendet. Denn laut Reglement müssen Elektroautos mindestens 120 Dezibel Lärm erzeugen, damit die wilden Tiere vergrämt werden. Einige benzinangetriebene Autos waren allerdings deutlich leiser.

Beeindruckend ist beim Pikes Peak die Vielzahl der völlig unterschiedlichen Fahrzeuge. Da das Reglement der "Unlimited"-Klasse mit Ausnahme von Sicherheitsvorschriften kaum Grenzen setzt, können sich Designer und Konstrukteure nach Herzenslust austoben. Herauskommen dabei ausgeklügelte Prototypen wie der I.D. R, Sportwagen deren Frontspoiler eher an einen Schneepflug erinnern oder skurril anmutende Eigenbauten wie die Startnummer 98 von Pikes-Peak-Veteran Paul Dallenbach mit einem Flügelwerk, welches ganz offensichtlich nicht das Ergebnis einer Arbeit im Windkanal ist.

Was mir und meinen Kollegen gleich am ersten Tag nach der Anreise aus Europa außerdem bewusst wurde: Pikes Peak ist ein Event für Frühaufsteher. Nach einer kurzen Nacht traf sich eine Meute müder Journalisten schon um 3:30 Uhr im Hotel in Colorado Springs, um Richtung Berg aufzubrechen, wo wir gegen kurz vor 5:00 Uhr am Zuschauerpunkt "Devils Playground" eintrafen, um dort das letzte Training zu verfolgen.

Viele skurrile Fahrzeuge im Feld

Dieser Frühstart hat einen einfachen Grund: Der Pikes-Peak-Highway steht den Teams an den Trainings- und Testtagen nur bis 8:30 Uhr zur Verfügung. Ab 9:00 Uhr dürfen wieder Touristen (für 15 US-Dollar pro Person oder 50 Dollar pro Auto) auf den Berg fahren. Und nachdem die Trainings, die immer nur auf Teilen der Strecke und nie auf dem gesamten Kurs stattfinden, einmal begonnen haben, wird am Eingang die Schranke zu gemacht. Wer verschläft, hat also Pech.

Auto von Paul Dallenbach

Rennauto oder Schneepflug - das ist hier die Frage Zoom

Dennoch hat niemand diesen frühen Start auf den Berg bereut, auch wenn einen dort Temperaturen nur knapp über dem Gefrierpunkt erwarteten. Aber den Sonnenaufgang über den Wolken zu erleben und anschließend das (in mehrfacher Hinsicht atemberaubende) Bergpanorama bewundern zu dürfen, war es wert. Und die Autos in Aktion zu sehen, natürlich erst recht.

Am Freitagabend stand dann in Colorado Springs einer der Höhepunkte auf dem Programm: Das Fan-Fest. Rund 30.000 Besucher kamen dazu ins Herz der Stadt, wo sie nicht nur die Teilnehmer und ihre Autos, sondern auch eine spektakuläre Motocross-Show bewundern konnten.

Ohne Stress am Renntag zur Strecke

Den Ruhetag am Samstag nutzten wir für eine geführte Tour bis auf den Gipfel. Unser Guide Phil, der seit 40 Jahren in der Organisation des Rennens tätig ist und als langjähriger Rettungssanitäter der Champ-Car-Serie zu dem Team gehörte, das Alessandro Zanardi nach seinem schweren Unfall 2001 auf dem Lausitzring das Leben rettete, hatte nicht nur Anekdoten sondern auch Wissenswertes auf Lager. So zum Beispiel, dass die Strecke auf dem Gebiet zweier verschiedener Countys liegt und je nach Ort und Art eines Zwischenfalls beim Rennen vier verschiedene Polizeibehörden für die Untersuchung zuständig sein können.

Am Sonntag war dann der große Tag der Rennens gekommen, und der begann für uns Journalisten um 5:00 Uhr einmal mehr früh. Wobei die Teams um diese Zeit schon lange mit der Vorbereitung am Berg beschäftigt waren. Was gerade mit Blick auf das Chaos beim Formel-1-Grand-Prix in Le Castellet verwundert, war, wie reibungslos der Verkehr bis in den Startbereich rollte. Von Staus und Verkehr keine Spur.

Denn die gut 12.000 Besucher an der Strecke waren zum größten Teil schon am Samstag an den Berg gefahren, wo sie die Nacht in Zelten, ihren Autos oder einfach in einer zwischen zwei Bäumen aufgespannten Hängematte verbrachten.

Abgeschnitten vom Rest der Welt

Angekommen im Hospitality-Zelt sah man dann eine Truppe Journalisten, die verzweifelt auf ihre Smartphones und Laptops tippten. Denn weder über das öffentliche noch das extra von Volkswagen eingerichtete WLAN war eine Internetverbindung herzustellen. Ohne Handyempfang waren wir am Berg erst einmal von der Außenwelt abgeschnitten und bekamen außer ein bisschen Sound am Start vom Rennen nicht viel mit, denn ohne Internetverbindung läuft logischerweise auch kein Live-Stream.

Als die Technikprobleme, die anfangs von den Veranstaltern auf die tiefhängenden Wolken geschoben wurden, auch im strahlenden Sonnenschein weiter bestanden, machte sich langsam Nervosität breit. Stell' dir vor, Volkswagen fährt einen Rekord, und keiner bekommt es mit! Als es auf die Startzeit von Romain Dumas zuging, suchten die Teamverantwortlichen händeringend nach einer Lösung, und fanden eine, die das Erlebnis letztlich noch intensiver machte.

Einer der Flatscreens wurde aus dem Hospitality-Zelt abgebaut und in der hintersten Ecke des provisorisch eingerichteten Fahrerlagers direkt neben dem Container der TV-Produktion aufgebaut, von der das TV-Signal dann direkt abgegriffen wurde. Um diesen Fernseher versammelten sich dann Journalisten und Teammitglieder, um Dumas Sturm auf den Berg zu verfolgen.

Public Viewing der VW-Rekordfahrt

Das klappte trotz einiger Signalaussetzer recht gut, auch wenn man in den hinteren Reihen nur wenig sah. Was allerdings niemand sah, war eine Zeit, denn die wurde im TV-Bild nicht angezeigt. Daher hielten nach der Zieldurchfahrt alle gebannt die Luft an, während die Volkswagen-Leute gespannt am Funkgerät lauschten. Als dann irgendjemand "sieben" rief, kannte der Jubel beim Team keine Grenzen. Und auch wenn es Kollegen gibt, die finden, dass sich so etwas als neutraler Berichterstatter nicht gehört: Ich schäme mich nicht dafür, diese tolle sportliche Leistung spontan mit Applaus bedacht zu haben.

Der Welt berichten konnte ich davon zwar erst gut zwei Stunden später, als ich wieder im Hotel und damit in der Welt des Internets angekommen war, doch diese Unzulänglichkeit konnte den Gesamteindruck eines faszinierenden Wochenendes nicht schmälern. Mich hat der Pikes Peak endgültig in seinen Bann gezogen.

Ihr

Markus Lüttgens

Neueste Kommentare

Folgen Sie uns!

Folge uns auf Instagram

Folge uns jetzt auf Instagram und erlebe die schönsten und emotionalsten Momente im Motorsport zusammen mit anderen Fans aus der ganzen Welt

Folge uns auf Facebook

Werde jetzt Teil der großen Community von Motorsport-Total.com auf Facebook, diskutiere mit tausenden Fans über den Motorsport und bleibe auf dem Laufenden!