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Auge um Auge, Zahn um Zahn
Beim Porsche-Supercup kam es in Silverstone zu Handgreiflichkeiten - Rennfahrer berichten über Gewalt im Motorsport damals und heute
(Motorsport-Total.com) - Beim Porsche-Supercup-Rennen in Silverstone kam es zu einem unerfreulichen Zwischenfall: Nachdem sich Richard Westbrook und Alessandro Zampedri auf der Strecke zweimal in die Haare geraten waren, kam es im Parc Fermé auch noch zu Handgreiflichkeiten - angeblich hat der erzürnte Zampedri Westbrook zwei Finger in die Augen gesteckt.

© Sutton
HISAQ-Fahrer Richard Westbrook während des Rennens in Silverstone
Natürlich gibt es wie immer in solchen Situationen zwei Seiten der Geschichte: Zampedri behauptet, die Sache werde hochgespielt und er habe Westbrook "nur leicht an der Nase und ein bisschen am Auge" berührt, während Westbrooks HISAQ-Team von einer ernstzunehmenden tätlichen Attacke spricht. Fakt ist: Westbrook war nach dem Rennen im Medical-Center, im Krankenhaus und zweimal beim Augenarzt, ist inzwischen aber wieder fit.#w1#
Westbrook hätte sein Augenlicht verlieren können
HISAQ-Teamchef Arndt Schmidt möchte den Zwischenfall selbst gar nicht mehr aufwärmen, sagte aber im Interview mit 'Motorsport-Total.com' klipp und klar: "Wir wollen uns alle nicht ausmalen, was da hätte passieren können." Eine Ansicht, die auch unsere Experten teilen: "Wenn es dumm gelaufen wäre, hätte Westbrook das Augenlicht verlieren können. Du kannst dich verbal dazu äußern und von mir aus laut werden, das verstehe ich noch, aber so etwas ist auf keinen Fall tolerierbar", so Hans-Joachim Stuck.
Und Ex-Formel-1-Fahrer Marc Surer fügte an: "Das kann das Augenlicht auf Lebzeiten beenden. Jemandem eine in die Fresse geben, dass kann ich in der Emotion gerade noch verstehen, aber das ist schon heftig", erklärte der Schweizer. Kleine Revanchefouls auf der Strecke in Form von leichten Rempeleien seien für ihn zum Teil nachvollziehbar, "aber dass man wem die Finger in die Augen steckt, das finde ich heftig."
Doch was war eigentlich passiert? Westbrook kam nach einer Rückversetzung in der Startaufstellung von ganz hinten, war der schnellste Mann im Feld. Als er auf Zampedri auflief, kam es in einer Linkskurve im letzten Sektor zu einer Berührung, für die er von der Rennleitung mit einer Durchfahrstrafe belegt wurde. Nach der Ziellinie krachten sich die beiden noch mal leicht ins Auto, im Parc Fermé wurde es dann laut - und es kam zu Handgreiflichkeiten.
Nur 2.500 Euro Geldstrafe für Zampedri
Zampedri wurde für seinen Aussetzer mit 2.500 Euro Geldstrafe belegt, die er übrigens noch nicht bezahlt hat, "weil ich nach dem Rennen meinen Flieger erwischen musste". Stuck findet, dass die Rennleitung viel härter durchgreifen hätte müssen: "Ich hätte ihn mindestens für ein Rennen gesperrt, wenn nicht für den Rest der Saison - um auch mal ein Zeichen zu setzen", gab der 'Motorsport-Total.com'-Experte zu Protokoll.
"Es schauen genügend Leute zu, das sind Vorbilder für die Jugend. Die jungen Kartburschen denken sich vielleicht: Dem haue ich auch eins auf die Schnauze, wenn er mir dumm kommt", fügte er an. Daher heißt es auch aus dem HISAQ-Lager, das wegen der Rückversetzung in der Startaufstellung und wegen der Durchfahrstrafe gegen Westbrook sauer war: "Die Entscheidungen stehen in keinem Verhältnis zueinander", so Schmidt.
Bei Westbrook sei "die Bandbreite, in der sich die Rennleitung bewegen kann, voll ausgeschöpft" worden: "Das ist ihr gutes Recht. Das Reglement gibt die Regel vor und die Stewards haben die Hoheit, das Strafmaß festzulegen. Die Entscheidung konnten sie so treffen - und dann haben sie das Strafmaß auf einer Skala von null bis 100 zu 100 Prozent ausgeschöpft. Das ist hart, aber es gibt keine Möglichkeit, dagegen irgendwie anzugehen", kritisierte er.
Raufereien hat es immer schon gegeben
Raufereien habe es "im Motorsport immer wieder gegeben. Dann wurde auch immer mit voller Härte bestraft. Aber laxer als in diesem Fall kann man nicht damit umgehen. Dieser Urteilsspruch ist unwürdig, weil wir in der Königsklasse des Cupsports sind und im Rahmen der Formel 1 fahren", beschwerte sich Schmidt über die seiner Meinung nach viel zu sanfte Bestrafung von 2.500 Euro für Zampedri.
Die Begründung der Rennleitung, Zampedri zu bestrafen, weil dieser dem Ansehen des Motorsports geschadet haben soll, kann der Deutsche nachvollziehen, denn: "Er zieht damit eine Leistungssportdisziplin auf höchstem Niveau in den Dreck." Das sieht auch Stuck so: "Motorsport ist kein Boxkampf. Ein tätlicher Angriff - ganz gleich in welcher Form - wirft auf den Sportler selbst ein schlechtes Licht und natürlich auch auf den gesamten Motorsport."
Zum Glück sind derartige Raufereien wie jene in Silverstone heutzutage im Motorsport eher Seltenheit, auch wenn es momentan wieder eine Häufung zu geben scheint: In der ChampCar-Serie hat Paul Tracy längst den Ruf des Prügelknaben und in der IndyCar-Serie löste ein Schreiduell zwischen Tony Kanaan und Sam Hornish Jr. eine kleine Rangelei in der Boxengasse in Watkins Glen aus. Allerdings sind das eher Ausnahmen, während es im Motorsport generell recht fair zugeht.
Unvergessen: Piquet vs. Salazar
Früher war das anders: Unvergessen zum Beispiel die Rauferei zwischen Nelson Piquet und Eliseo Salazar am Hockenheimring, als Piquet seinem Landsmann an die Gurgel ging, nachdem ihn dieser in Führung liegend beim Überrunden abgeschossen hatte. Selbst der sonst so gefasste Michael Schumacher stürmte 1998 in Spa-Francorchamps nach einer Kollision wutentbrannt zu David Coulthard, konnte aber von Mechanikern zurückgehalten werden.
Unseren Experten ist so etwas auch schon mal passiert: "Mir wollte einmal Franz Albert an die Wäsche", erinnerte sich Stuck. "Der fuhr einen Kompressor-Camaro und ich ein Schnitzer-Coupe. Wir haben uns in einer Kurve berührt. Das war okay, würde ich sagen, aber er war so sauer, weil ich ihn besiegt habe, dass er hinterher auf mich losgehen wollte. Da bin ich halt davongelaufen. Ansonsten hatte ich in der Beziehung nie Probleme."
Und auch Surer kann derartiges berichten: "Das war in Zandvoort in der Formel V. Ich war Dritter, es gab eine Windschattenschlacht. Ich hatte einen Überschuss und wollte vor der Tarzan-Kurve zwischen den beiden Autos durchfahren - mit dem Ergebnis, dass wir alle drei draußen waren. Das war eine Fehleinschätzung meinerseits, Ich konnte weiterfahren und habe glaube ich sogar gewonnen", sagte er.
Heute wartet man mit der Entschuldigung ab
Und weiter: "Nach dem Rennen wollte ich mich bei van Ginneken entschuldigen, habe ihm die Hand gegeben, aber stattdessen habe ich eins in die Fresse bekommen. Er stand da mit einem völlig dreckigen Overall vom Sand in der Tarzan-Kurve, war natürlich noch voll geladen. Dann habe ich mir gesagt: Okay, beim nächsten Mal entschuldige ich mich erst beim nächsten Rennen. Das ist heute bei den Formel-1-Fahrern auch meistens so, dass man es ausrichten lässt oder dass man halt wartet."
Der Schweizer steht aber auch dazu, selbst nicht immer ein Heiliger gewesen zu sein: "Wenn wir ehrlich sind, haben alle schon mal unfair gehandelt. Ich wurde in der DRM, der DTM-Vorgängerserie, einmal wegen unfairen Verhaltens auf der Piste gesperrt. Nach einer Berührung musste ich an die Box, dann ging ich wieder raus und habe den anderen von der Piste geräumt. Ich habe auf ihn auf der Strecke gewartet. Ich habe mir gesagt: Das machst du nicht mit mir", gab Surer zu.
Dass so etwas heute nur noch äußerst selten vorkommt, liegt laut Stuck daran, dass der Motorsport durch die Medien viel transparenter geworden ist: "Früher konnte ja nicht kontrolliert werden, was genau vorgefallen ist. Da haben sich einige schon zu solchen Aktionen hinreißen lassen. Heute wird alles überwacht durch Kameras und Telemetrie. Die Streckenkameras sind ja inzwischen überall sehr gut", erklärte der noch aktive Tourenwagenfahrer.
Warum fassen Streckenposten die Fahrer an?
Körperliche Auseinandersetzungen gibt es aber nicht nur zwischen Fahrern und Fahrern, sondern auch immer wieder zwischen Fahrern und Streckenposten - Kimi Räikkönen hat beispielsweise schon öfter einen der freiwilligen Helfer in der ersten Emotion nach einem Ausfall weggeschoben, ebenso wie Timo Glock beim letzten GP2-Rennen in Silverstone. Warum die Streckenposten die Superstars in so einem empfindlichen Moment reizen müssen, ist aber die eigentliche Frage.
Das sieht auch Surer so: "Du hast Adrenalin im Blut, bist enttäuscht - und dann fasst dich einer an. Das darf vielleicht deine Freundin, aber sicher kein fremder Mann. Nur bei einem harten Crash macht es Sinn, weil du da ja umkippen kannst. Alles andere ist eine Unsitte von den Streckenposten. Denen muss man einimpfen, dass sie die Fahrer nicht anfassen sollen. Das ist so, als würde man einen Boxer anfassen, denn in dem Moment haben die Adrenalin bis unter die Kopfhaut", kritisierte er.
Doch zurück zum Ausgangspunkt, zum Vorfall zwischen Westbrook und Zampedri. Eine Aussprache zwischen den beiden wird es nämlich nicht geben: "Ich habe mit niemandem ein Problem, solange man sich Respekt entgegenbringt. Das hat mir mein Vater beigebracht. Aber wer mich nicht respektiert, verdient auch meinen Respekt nicht. Ich sehe nicht ein, warum ich mit so jemandem reden soll", so der gekränkte Zampedri gegenüber 'Motorsport-Total.com'.

