Vergessene Studien: BMW Garmisch (1970/2019)
Nach fast 40 Jahren baute BMW vor drei Jahren den von Marcello Gandini entworfenen Garmisch wieder auf - Wir erzählen seine Geschichte
(Motorsport-Total.com/Motor1) - Nicht wenige der Autos unserer Rubrik "Vergessene Studien" existieren nicht mehr. Oft wurden sie bewusst nur für die Präsentation auf einigen Messen konzipiert, um dann im Keller oder noch schlimmer auf dem Schrott zu landen. Oder das Konzeptfahrzeug ist schlecht weg. Wie der von Marcello Gandini für Bertone entworfene BMW Garmisch, der nach der Enthüllung auf dem Genfer Automobilsalon 1970 spurlos verschwand.
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BMW Garmisch (1970) Neuaufbau 2019 Zoom
Erst 2019, also gut 50 Jahre später, entschloss sich BMW zu einer Rekonstruktion des Garmisch, dessen Formen die erste 5er-Reihe von 1972 beeinflusst haben. Auch Elemente des ersten 6ers von 1976 werden BMW-Fans erkennen.
Wie viele andere italienische Konzeptautos der 1960er- und 1970er-Jahre wurde auch der BMW Garmisch bei Bertone als unabhängiger Designvorschlag entwickelt, um das kreative Potential des Studios zu demonstrieren.
Gandini Vorschlag beeinflusste die BMW-5er-Reihe
"Die ursprüngliche Idee kam von Nuccio Bertone persönlich, der unsere bestehende Beziehung zu BMW mit einer überraschenden Designstudie auf dem Genfer Autosalon festigen und ausbauen wollte", erinnert sich Marcello Gandini, der zu jener Zeit Bertones Designstudio leitete.
Im Fall von Bertone hatte das Studio seine Verbindungen nach München bereits während der Entwicklung des BMW 3200 CS, der in den frühen 1960er Jahren unter dem einflussreichen BMW-Designchef Wilhelm Hofmeister entstand, aufbauen können.
Als Marcello Gandini im Jahr 1965 die stilistische Leitung bei Bertone übernahm, wurde bereits an einem Vorschlag für eine neue, viertürige Limousine für BMW gearbeitet - das Projekt sollte später die erste BMW 5er-Reihe beeinflussen.
Nieren-Kühlergrill des Garmisch der Vorläufer des M3/M4-Grills
Nachdem Bertone auf dem Genfer Salon 1969 mit dem BMW 2800 Spicup die extravagante Designstudie eines knallgrünen Roadsters mit Anklängen an den BMW 507 gezeigt hatte, begann das Designteam mit der Planung für ein weiteres Konzeptauto. "Wir wollten ein Mittelklasse-Coupé entwickeln, das einerseits der Formensprache von BMW treu blieb, andererseits aber auch etwas dynamischer herüberkam und sogar ein wenig provozierte."
In nur vier Monaten überarbeiteten Marcello Gandini und sein Team einen BMW 2002 tii, indem sie die Proportionen anpassten, eine Reihe von ungewohnten Designelementen einführten und den Wagen deutlich moderner erscheinen ließen.
Während die Seitenflächen des Autos sehr aufgeräumt und glatt wirkten, überraschte der BMW Garmisch mit einer kantig-kühnen und vertikal positionierten Variation des berühmten Nieren-Kühlergrills, der von rechteckigen, verglasten Scheinwerfern flankiert wurde und dem Coupé in der Frontansicht eine starke Präsenz verlieh. Fast könnte man sagen: Der Vorläufer des heutigen M3/M4-Grills.
Auto in wenigen Monaten fertiggestellt
Um das Auto noch deutlicher von den Münchener Serienmodellen abzusetzen, ergänzte Marcello Gandini das Design um zwei prägnante Lufteinlässe in den C-Säulen, die mehr an Sportwagen erinnerten, und eine wabenförmig strukturierte Sonnenschutzblende auf der Heckscheibe - ein typisches Stilelement Marcello Gandinis, das sich auch beim außergewöhnlichen Lamborghini Marzal wiederfindet.
Obwohl das Auto in nur wenigen Monaten fertig gestellt wurde, ließ sich das Designteam nicht die Gelegenheit nehmen, dem Innenraum ebenfalls einen eigenständigen Charakter zu verleihen:
Mit seinem ungewöhnlichen Radio, das im Hochformat in der Mittelkonsole angeordnet wurde, einem großen Klapp-Spiegel für den Beifahrer und einer extravaganten Kombination von Farben und Materialien variierte der BMW Garmisch die eher funktionalistischen Einrichtungsvorlieben der Zeit auf piemontesisch-elegante Weise.
Neuaufbau auf Grundlage alter Fotografien
Laut Marcello Gandini wurde sogar die Modellbezeichnung des Autos so gewählt, dass sie möglichst viel Aufmerksamkeit erregte. "Skifahren war zu dieser Zeit in Italien äußerst populär. Und der Name Garmisch beschwor Träume von Wintersport und alpiner Eleganz."
Da so gut wie keine Originaldokumente mehr existieren, musste das interdisziplinäre, aus den Abteilungen BMW Group Design und BMW Classic einberufene Team von Spezialisten beim Neuaufbau des BMW Garmisch jedes Karosserie- und Interieur-Detail von einer Handvoll alter Fotografien ableiten, die zum Großteil sogar nur in Schwarzweiß vorlagen.
Marcello Gandini unterstützte die Recherchen als Zeitzeuge mit eigenen Erinnerungen an den Entwicklungsprozess. So konnte das Designteam wichtige Details wie die Außenfarbe - ein helles Champagnergold-Metallic im Stil der italienischen Mode dieser Zeit - sowie die Materialien im Innenraum rekonstruieren.
Genau wie vor 50 Jahren von Hand gebaut
Und während die neueste 3D-Modellbautechnologie zum Einsatz kam, um die ursprünglichen Strukturen und Formen zu spezifizieren, wurde der BMW Garmisch von kunstfertigen Karosseriekonstrukteuren in Turin von Hand gebaut - genau wie das Original vor fast 50 Jahren.
Marcello Gandini wurde 1938 geboren und gilt als einer der einflussreichsten Automobildesigner des 20. Jahrhunderts. Während der 15 Jahre, in denen er das Designstudio von Bertone in Turin leitete, entwarf er einige der mutigsten und revolutionärsten Automobile dieser Epoche - darunter scharfkantige Konzeptstudien wie den Lancia Stratos Zero oder den Alfa Romeo Carabo.
Weitere vergessene Studien:
Vergessene Studien: BMW M1 Hommage (2008)
Vergessene Studien: Opel GT2 (1975)
Die von ihm geschaffenen Sportwagenikonen wie der Lamborghini Miura werden heute von Sammlern begehrt und bei Concours-Veranstaltungen in aller Welt gefeiert. Neben dem BMW Garmisch waren Marcello Gandini und sein Designteam bei Bertone auch an der Entwicklung des BMW Spicup und der ersten Generation der BMW 5er Reihe, die unter der Leitung des ehemaligen BMW-Designchefs Paul Bracq entstand, beteiligt.
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