• 22.02.2021 10:09

  • von Roland Hildebrandt

Ford Scorpio (1985-1998): Klassiker der Zukunft?

Als Nachfolger der Granada hatte es der Ford Scorpio schwer - Sein Fließheck und fragwürdiges Design am Ende begeistert nur wenige Fans

(Motorsport-Total.com/Motor1) - Unsere geschätzten Leser haben bestimmt schon einmal die Rubrik "Kennen Sie den noch?" studiert. Dort stellen wir Autos von früher vor, die inzwischen fast vergessen sind. Doch was ist mit den Modellen, die durchaus noch zahlreich im Straßenverkehr umherfahren? Jene Typen, die jeder kennt, die aber auch schon über 20 Jahre, aber teilweise auch viel weniger auf dem Buckel haben.

Werden sie einmal Oldtimer? Das birgt Zündstoff für kontroverse Diskussionen. Einige dieser Modelle wollen wir in unserer neuen Reihe "Klassiker der Zukunft?" vorstellen.

Alle lieben den Ford Granada: Groß, gemütlich und kultig. Doch sein Nachfolger läuft selbst bei Fans der Marke völlig unter dem Radar. So seltsam es klingen mag, aber der Scorpio wirkt auch nach über 30 Jahren noch zu modern. Damit ist er nicht alleine. Viele Autos der 1980er-Jahre sehen aufgrund des Diktats des Windkanals trotz H-Kennzeichen nicht aus wie Oldtimer.

Ein Vergleich zeigt, wie wenig sich optisch in den letzten Jahrzehnten getan hat: Ein 30 Jahre altes Auto wäre zum Zeitpunkt des Scorpio-Debüts 1985 ein Weltkugel-Taunus oder ein Ponton-Mercedes gewesen. Also Fahrzeuge, die wirklich "alt" aussahen. So betrachtet, haben die Ford-Designer rund um Patrick Le Quement eigentlich einen guten Job abgeliefert. Warum erfährt der Scorpio trotzdem keine Wertschätzung?

Schließlich kann man den Scorpio durchaus als Meilenstein der Automobilgeschichte sehen: Er war das erste Großserien-Auto mit serienmäßigem ABS und der letzte große Ford. Diese Tatsache ist Pluspunkt und Stigma zugleich. Er gilt vielen als Totengräber der Granada-Idee und Flop. Der Scorpio verkaufte sich im gleichen Zeitraum wie der Granada (13 Jahre) nur halb so gut, nämlich rund 850.000-mal.

Doch Ford trägt daran nur zum Teil die Schuld. Entwickelt unter dem internen Code DE-1, basierte der Scorpio mehrheitlich auf dem Sierra, nutzte aber zudem Motoren vom Granada. 4,67 Meter lang, dazu Hinterradantrieb: beste Voraussetzungen für die obere Mittelklasse. Wäre da nicht das Fließheck gewesen.

Ford Scorpio (1985-1998)

Ford Scorpio (1985-1998) Zoom

Mit der modern verglasten Kuppel wollte Ford an den Erfolg des Sierra anknüpfen, vergraulte aber damit die konservativen Käufer von Granada Stufenheck und Turnier. Gerade das Fehlen eines großen Kombis war marketingtechnisch ein Fehlgriff. Und man hätte gewarnt sein müssen: Den überschaubaren Erfolg von großen Autos mit Schrägheck wie Renault 20/30 und 25 oder dem Rover SD1 konnte jeder im Straßenbild sehen.

Aber es gab noch mehr Gründe: Manch ein Kunde sah im Scorpio nur einen aufgeblasenen Sierra, quasi ein Vorgriff auf das spätere Dilemma des VW Phaeton. Zudem hatten andere Hersteller aufgeholt: Audi punktete 1982 mit dem 100 (C3), hinzu kamen große, gut ausgestattete Japaner wie ein Toyota Camry oder ein Mazda 929.

Viele Faktoren vermischten sich also unglücklich gegen den Ford Scorpio, obwohl dieser viel zu bieten hatte. Ich erwähnte bereits das serienmäßige ABS. Hinzu kam ein ordentliches Platzangebot, ein modernes Fahrwerk und eine Motorenpalette vom anfänglichen 1,8 Liter mit 90 PS bis zum vertrauten 2,8-Liter-V6 mit 150 PS.

Er wurde später zum 2,9 Liter aufgebohrt und leistete in der finalen Ausbaustufe mit 24 Ventilen bis zu 207 PS. Am anderen Ende der Palette wartete ein 2,5-Liter-Diesel auf Sparfüchse. Ihn gab es mit 69 Saug-PS oder als Turbo mit 92 PS. Interessanter aus heutiger Sicht des Altblech-Fans ist aber der ab 1986 angebotene 2,4-Liter-V6 mit Einspritzung und 125 PS mit Kat, am besten mit Vierstufen-Automatik.

Wer sich noch genauer mit dem Ford Scorpio (und dem Granada) befassen will, dem sei übrigens das Buch "Die großen Ford - Komfort vom Rhein" von Alexander F. Storz für rund 30 Euro empfohlen. (ISBN: 978-3-613-04369-5, siehe Bild oben)

Buch: Die großen Ford-Komfort vom Rhein

Buch: Die großen Ford-Komfort vom Rhein Zoom

In Großbritannien, wo der Granada enorm populär war, behielt man diesen Namen bis 1994 auch für den Scorpio bei. In der Zwischenzeit hatte Ford auf die Klagen von Händlern und Kunden reagiert: Ende 1989 kam ein klassisches Stufenheck, zum größeren Facelift 1992 endlich auch der traditionell Turnier genannte Kombi.

1994 erfolgte schließlich ein Modellwechsel (eigentlich eine große Modellpflege), die dem Scorpio den Rest gab. Die Optik wurde im amerikanischen Stil modernisiert. An das Limousinen-Heck mit den schmalen Rückleuchten hätte man sich vielleicht noch gewöhnen können, aber die glupschäugige Front schoss den Vogel ab.

Ein 2,3-Liter-Vierzylinder mit 147 PS Leistung löste den 2,4-Liter-V6 ab, ganz oben rangierte der bereits erwähnte, von Cosworth versportlichte 2,9-Liter-V6 mit nun 207 PS. Nur: Auch den damals neuen Ford Mondeo gab es mit 170 PS starkem V6 und vor allem mit gefälligerem Design. Kein Wunder also, dass nicht einmal 100.000 Exemplare des zweiten Scorpio vom Band liefen.

Ford Scorpio (1985-1998)

Ford Scorpio (1985-1998) Zoom

1998 fiel der letzte Vorhang, kurzzeitig liebäugelte man damit, den Lincoln LS aus den USA zu importieren. Inzwischen waren aber Volvo und Jaguar unter dem Ford-Dach gelandet, beide Marken bildeten gemeinsam mit Aston Martin die "Premier Automotive Group". Vereinfacht gesagt, sollten Volvo S80 und Jaguar S-Type die Scorpio-Kunden von einst abholen.

Ford-Klassiker im Fahrbericht:

Ford-Historie: 50 Jahre Escort. Unterwegs in der ersten Generation
Zeitreise: Unterwegs im Ford Capri 2.8 Injection von 1983

Wenn zu Lebzeiten beide Generationen des Ford Scorpio die Sehgewohnheiten irritierten, so liegt heute gerade in der manchmal bizarren Optik ein besonderer Reiz. Natürlich: Die Optik muss man mögen. Vielleicht sollte man sich aber auch sagen: Eigentlich war der Scorpio letztlich nur ein Granada in (zu) modern.