• 25.10.2023 10:55

  • von Roland Hildebrandt

70 Jahre Mercedes Ponton: Statussymbol und deutsche Wertarbeit

1953 wagte Mercedes mit einer neuen Karosserieform den Sprung in die Moderne - Sie prägte die bürgerlichen 180 und 190, aber auch den luxuriösen 220

(Motorsport-Total.com/Motor1) - Heutzutage gibt sich Mercedes-Benz beim Design bisweilen sehr modern, wie Modelle wie der EQS oder EQE zeigen. Doch vor vielen Jahrzehnten war das noch anders. Konservativ war Trumpf, man wollte bloß keinen vermeintlich kurzlebigen Moden folgen. Und so fand die sich nach dem Zweiten Weltkrieg durchsetzende Auto-Stilistik erst 1953 ihren Niederschlag in Stuttgart.

Titel-Bild zur News: Mercedes-Benz 180 und 190 ?Ponton? (1953-1962)

Mercedes-Benz 180 und 190 "Ponton" (1953-1962) Zoom

Doch dann taufte der Volksmund gleich die ganze Baureihe nach dem Design: Ponton-Mercedes. Gegen Ende der 1940er-Jahre wandten sich zunächst US-Autofirmen vom klassischen Stil mit freistehenden Kotflügeln ab. Stattdessen wurden diese in den Fahrzeugkörper integriert. In Europa folgten der Fiat 1400 sowie Modelle von Borgward, Opel und Ford diesem Trend.

1953, also vor 70 Jahren, springt Mercedes auf den Zug auf und präsentiert den neuen 180, intern W 120 genannt. Die Premiere des Mercedes 180 prägt übrigens bis heute im deutschen Sprachraum die Berichterstattung über neue Automobiltypen. 1952 erscheint in der Zeitschrift "auto motor und sport" ein erstes Bild eines Prototyps der neuen Limousine zusammen mit einer Parodie auf Goethes Ballade "Erlkönig". Daraus entsteht die im Deutschen gebräuchliche Bezeichnung "Erlkönig" für einen getarnten Prototyp.

Für den "Ponton" bedienen sich die Stilisten damals moderner Gestaltungskriterien. Das Design folgt dem "Three Box"-Prinzip mit Vorbau, Fahrgastzelle und Heck. Der Wegfall von Trittbrettern und frei stehenden Scheinwerfern sowie integrierte Kotflügel senken Luftwiderstand und Verbrauch. Weiterer Effekt: Der Innenraum ist deutlich geräumiger als bei älteren Karosserieformen. Dazu kommen rundliche Elemente, wie sie für die 1950er-Jahre typisch sind, inklusive runder Frontscheinwerfer. Es ist das damalige Familiengesicht von Mercedes-Benz.

Der Spitzname "Ponton" leitet sich übrigens von den gleichnamigen Schwimmplattformen ab. Besonders als Träger von schwimmenden Behelfsbrücken ist eine gewisse optische Ähnlichkeit erkennbar.

Die Zäsur findet auch innerhalb des Fahrzeugs statt. Die Karosserie ist mit der Rahmenbodenanlage fest verschweißt und bildet eine statische Einheit. Mit diesem Fahrzeug verabschiedet sich Mercedes-Benz von der althergebrachten Konstruktion aus Chassis und unabhängiger Karosserie. Gegenüber der früher üblichen Konstruktionsweise steigt die Verwindungssteifigkeit und das Gewicht sinkt.

Hinzu kommt ein Fahrwerk mit wichtigen Sicherheits- und Komfortmerkmalen. Die an Doppelquerlenkern geführten Vorderräder sind nicht mehr direkt am Rahmen, sondern an einem sogenannten "Fahrschemel" aufgehängt. Dabei handelt es sich um einen U-förmigen, aus zwei gepressten Blechteilen zusammengeschweißten Achsträger, an dem auch Motor, Getriebe und Lenkung befestigt sind. Er ist über drei Silentblöcke geräuscharm am Rahmen gelagert.

Unter der Motorhaube des 180 arbeitet ein Vierzylinderaggregat. Aus einem Hubraum von 1.767 Kubikzentimetern (daher die Modellbezeichnung) entwickelt es 38 kW (52 PS) bei 4.000/min. Auf den damaligen Straßen ist man damit absolut adäquat unterwegs. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 126 km/h. Die Motorenpalette erweitert Mercedes schon 1954 mit der Dieselvariante 180 D. Als dritter Typ kommt 1956 der deutlich leistungsstärkere Mercedes-Benz 190 (W 121) mit 55 kW (75 PS) ins Programm.


Fotostrecke: Mercedes-Benz 180 und 190 „Ponton“ (1953-1962)

1954 folgt die damalige Oberklasse in Gestalt des neuen Typ 220, intern auch 220 a (W 180) genannt, der Ponton-Form. Diese Limousine ähnelt in vielerlei Hinsicht dem 180, jedoch gibt es deutlich mehr Chrom und vor allem einen längeren Vorderwagen, um dort den Sechszylinder unterzubringen. Seine moderne und geräumige Ponton-Karosserie bietet einen bislang nicht gekannten Raumkomfort. Mit dem überarbeiteten, leistungsstärkeren Typ 220 S hält 1956 der Buchstabe "S" dauerhaft Einzug in die Nomenklatur und unterstreicht den Sonderklasse-Status des Ponton-Sechszylinders.

1958 debütiert der 220 SE (W 128) und damit eine weitere, dank Benzineinspritzung noch leistungsstärkere Variante des Oberklassemodells. Ein Jahr später wechselt der 220er auf ein ziemlich modisches Heckflossen-Design, 1961 greift auch der 190 die Optik auf. Erst 1968 findet Mercedes bei Mittel- und Oberklasse zu einer deutlich sichtbaren Trennung.

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Doch zurück zum "Ponton": Mercedes aktualisiert die Baureihen 120 und 121 mehrfach. Wichtige Schritte sind die 1955 eingeführte Eingelenk-Pendelachse am Heck mit tief liegendem Drehpunkt, zum August 1957 die Modellpflege, im Jahr 1958 das Debüt des 190 D sowie 1959 die Designauffrischung. Ebenfalls ab 1959 sorgen neueste Erkenntnisse für einen entschärften Innenraum und damit ein verbessertes Sicherheitsniveau.

Das Armaturenbrett ist gepolstert, Bedienungselemente sind elastisch und zum Teil versenkt angeordnet. Das Lenkrad trägt eine Polsterplatte. Im gleichen Jahr wird das Keilzapfen-Türschloss mit zwei Sicherheitsrasten eingeführt. Es wirkt dem Aufspringen der Türen entgegen. Denn oft werden Personen bei einem Unfall aus dem Auto geschleudert und ziehen sich schwere Verletzungen zu - Sicherheitsgurte sind noch nicht verbreitet.

Heute vielleicht kurios: Zu den Komfortmerkmalen der "Ponton"-Vierzylinderlimousinen gehören eine für Fahrer und Beifahrer getrennt regulierbare Heizung und Lüftung. Der im Werksmuseum gezeigte Mercedes 180 wird im Jahr 1955 gebaut. Zu seinen Sonderausstattungen gehört der Außenspiegel links, der mit 15 DM in der Preisliste verzeichnet ist ("Rückblickspiegel außen an der Kastensäule"). In Deutschland wird ein solcher Spiegel erst Mitte 1956 Pflicht. Die ebenfalls montierten Nebelscheinwerfer stehen mit 120 DM in der Preisliste.

Die "Ponton"-Baureihen W 120/121 mit Vierzylindermotor werden von 1953 bis 1962 gebaut. Mit ihnen stößt Daimler-Benz auch über einen verstärkten Export in eine neue Stückzahlregion vor: Rund 443.000 Kunden aus aller Welt entscheiden sich für eines der Fahrzeuge. Die erfolgreichste Variante ist der 180 D mit Dieselmotor, von dem fast 150.000 Fahrzeuge produziert werden. Der Typ 180 mit Ottomotor wird von 1953 bis 1962 gefertigt, von ihm entstehen 117.192 Exemplare. Zum Vergleich: Vom ebenfalls in der oberen Mittelklasse angesiedelten 170 V (W 136) laufen vor dem Zweiten Weltkrieg in allen Varianten 91.048 Fahrzeuge vom Band.

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