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  • 26.01.2013 15:20

  • von Armin Schwarz

Baja 1000: Whoops, G-Outs und Kaktus im Cockpit!

Armin Schwarz blickt auf die Baja 1000 zurück: Über den Kampf mit den Elementen und der Technik in der mexikanischen Wüste

(Motorsport-Total.com) - "Mehr Drehzahl! Mehr Drehzahl!", höre ich Bryan Little im Kopfhörer meines Helms. Unser Achtzylinder knurrt und brüllt, der Trophy Truck wühlt sich durch bodenlos tiefen Staub. Die Nacht ist pechschwarz und jedesmal, wenn wir über einen kleinen Dünenkamm runterfahren schaufeln wir mehr von diesem Puder ins Cockpit. Ich sehe nichts. Nicht einmal das Armaturenbrett. "Drehzahl", sagt Bryan beschwörend. Also einen Gang runter. Aber wir verlieren Vortrieb.

Titel-Bild zur News: Baja, Armin Schwarz

Armin Schwarz ließ den AGM-Truck bei der Baja 1000 fliegen Zoom

Bryan sieht, wie die Temperatur unseres Drehmoment-Wandlers nach oben schießt. Wenn ich die Drehzahl erhöhe wird das Drehmoment schwächer, so können wir den Wandler zeitweise entlasten. Aber wir verlieren Vortrieb. Unser Trophy Truck mahlt durch den Sand wie ein Schiff durch schwere See. Langsamer und langsamer. Stillstand. Rennmeile 580. Knapp 940 Kilometer vom Start entfernt. Die Uhr zeigt halb elf.

Und jetzt stehen wir mitten im Nichts der Wüste. Sechs Meilen vom festen Untergrund entfernt, sieben Meilen von hier wartet unser Service. Es riecht verdammt nach Hydrauliköl und die Kaktusstacheln in meinem und Bryan's Overall machen die Lage auch nicht angenehmer. Elf Stunden haben wir hierher gebraucht, seit wir am späten Morgen in der Stadt Ensenada an der Pazifikküste oben im Norden der Baja California gestartet sind.

Der Start in Ensenada ist ein Riesen-Volksfest

Vielleicht noch nie vorher waren wir mit unserem All German Motorsports Team so gut vorbereitet. Elf Tage haben mein Beifahrer Bryan und ich trainiert. Alle möglichen Linien haben wir ausprobiert und unser GPS mit diesen Linien gefüttert. So kamen für meine 615 Rennmeilen (rund 985 Kilometer) bis zum Übergabepunkt an Martin Christensen mehr als 3500 Meilen Trainingsstrecke zusammen.

Baja, Armin Schwarz

Am Start scharrten sich die Fans um den Trophy Truck von Armin Schwarz Zoom

Wir haben unseren Trophy Truck und uns selbst bestens in Form gebracht. Wir wissen blind, wo wir alles Wichtige im Auto finden: Die Astronautennahrung ist in handlichen Happen griffbereit unters Dach geklebt. Jedes Werkzeug hat seinen Platz. Die Wischtücher für das Helmvisier sind in Flüssigkeit getunkt und ebenfalls griffbereit. Als wir morgens zum Auto kommen, sind noch zwei Mechaniker unseres All German Motorsport Teams vor Ort. Alle anderen sind bereits in die Wüste gefahren und bauen die Servicepunkte auf. Anders ausgedrückt: Jetzt muss alles wichtige am Auto und am Mann sein. Sonst haben wir ein Problem.

Also rein in den Truck und anschnallen. Gut sitzen ist entscheidend. Denn die nächsten mindestens zehn Stunden wird und sollte sich an der Sitzposition voraussichtlich nichts mehr ändern. Die ganz persönliche Abwasserleitung muss im Overall so verlegt sein, dass die Gurte sie nicht abquetschen. Denn du kannst nicht zehn Stunden im Truck sitzen, literweise Wasser in dich reinschütten und dann nicht wissen, wie du ... na ja, ihr wisst schon.

Trinken musst du immer und überball. Wenn du erst einmal angefangen hast zu dehydrieren, kannst du den Prozess unterwegs nicht mehr umkehren. Da heißt es aufpassen. Auf jeden Fall endet die persönliche Pipeline über dem offenen Boden es Trucks. Essen und trinken werden wir auf den Highway Sections, wo wir nur 60 Meilen fahren dürfen: nach oben greifen, Packung vom Dach reißen und unter'm Helm reinschieben.

Die Probleme beginnen

Los geht's. Wir sind der 33.Starter. Das Feld liegt eng zusammen, Adrenalin schwappt in jeder Bodenwelle. Alle fahren los wie irre. Staub, keine Sicht und viele Überraschungen auf den ersten Meilen. Farmland, viel Zeugs auf dem Weg, da hat einer einen Zaun umgenietet, und auch Bretter mit Nägeln liegen herum. Nach zehn Kilometern hat Bryan auf dem Schirm: Luftdruckverlust im Reifen hinten links. Nach knapp 20 Kilometern können wir anhalten und wechseln. Ein Stück Reifen hat die Bremsleitung gekappt. Kein Problem, fahren wir halt die restlichen 950 Kilometer mit Dreiradbremse.

Baja, Armin Schwarz

Die Baja fordert Mensch und Material bis ans Limit Zoom

Nach etwas mehr als 50 Kilometern geht es in ein 30 Meter enges Tal. Silt, Silt und nachmals Silt! Wir fahren in eine Staubwand. Die Sicht ist wie in einer türkischen Sauna nach einem 50-Liter-Aufguss. Ich kann nicht einmal mehr das Armaturenbrett sehen. Am Gas bleiben! Wir verlieren die Spur, keine Orientierung. Büsche wachsen ins Auto. Teufel, wo sind wir? Wir werden zu langsam. Und dann laufen wir auf den Buckel zwischen den tiefen Spuren auf. Die Räder drehen frei. Über 700 PS wirbeln die Wüstenluft um. Bryan schießt aus dem Auto, checkt den Schlamassel ab.

Wir heben den Truck mit unserem eingebauten hydraulischen Wagenheber an, bauen Felsen drunter. Staub fressen, schwitzen, wortlos schuften. Rein ins Auto und weiter. Wir sind nun ungefähr das 45. Auto auf der Strecke. Aber jetzt läuft es! Bis zum Pitstop bei Rennmeile 130 ? also rund 210 Kilometer ? überholen wir etliche Konkurrenten. Unsere Pitcrew arbeitet schnell und gekonnt: neues Ersatzrad rein, alles durchchecken, über 300 Liter Sprit. Nach 30 Sekunden sind wir wieder unterwegs, noch rund 485 Meilen bis zum Fahrerwechsel in San Ignacio.

Immer ein Auge auf dem Drehzahlmesser

Wir fahren quer über die Baja California nach Südosten. Vom Pazifik zum Golf von Kalifornien. Auf dem Weg zur Stadt San Felipe wird es breiter, schneller, aber dann geht es los: Die San Felipe Whoops. Bodenwellen, 80 bis 150 Zentimeter hoch, mal liegen fünf Meter zwischen den Wellen, mal zehn, mal 20. Gut, dass unser Trophy Truck vollgetankt ist, da liegt er ruhiger. Wir machen vielleicht 150, 160 Sachen. Wir könnten schneller fahren, haben aber bei Tests mit Schaeffler und Liqui Moli herausgefunden, dass dieser Speed für unser Auto hier optimal ist.

Bryan hält am Monitor die Temperatur unserer acht Stoßdämpfer im Auge. Wir haben drei, vier Linien trainiert. Sobald vor uns ein Auto auftaucht, schwenken wir auf eine Alternativlinie und überholen sechs Trucks ohne Problem. Von San Felipe geht es nach Süden auf der Puertecitos Road. Schnurgerade, sandig, flach, volles Programm: 200 Sachen. Dann leichte Wellen, dann mehr Wellen. Noch mehr. Jetzt brutalster Schotter mit Brocken so groß wie Fußbälle. Für 40 Kilometer. Wir machen vielleicht noch 100 Stundenkilometer.

Irgendwann wirds unangenehm: Wann hört der Mist endlich auf? Es scheppert, Steine fliegen ins Auto, es tut Schläge. Aber du musst durch. Dann endlich knapp 60 Kilometer Highway Section. Asphalt, wundervoll. Das Auto erholt sich, wir schnaufen durch. Wir sind bei Rennmeile 280 das 16.Auto auf der Strecke, haben also fast 30 Konkurrenten überholt.

Der anschließende Schotter runter bis Coco?s Corner bei Rennmeile 300 ist teils megaschnell. Sehr breit, alles volles Rohr. Schnelle Ecken für langgezogene Drifts, langsames, technische Geschlängel. Schönes Fahren. Hier wohnt ein Mega-Offroad-Fan, Coco ist sein Name den alle in der Szene kennen. Beide Beine amputiert, aber er zischt auf seinem Quad an der Strecke rum und feiert die Baja 1000 mit uns.

Die Nacht kommt

Fünf Uhr nachmittags, die Sonne steht ganz tief. Licht an. Die kleinen Baja-LEDs aus Militärbeständen geben ein Hammerlicht. Rein in den Car Wash: ein Canyon zwischen senkrechten Wänden. Hier ist immer irgendwo Wasser. Aufpassen, wo es grün wird. Da lauern die Schlammfallen. Hier ändern sich die Verhältnisse blitzartig. Wenn es talaufwärts regnet rauscht eine Flutwelle runter, in der du wirklich Probleme kriegen kannst. Wir fahren durch, und überholen zwei weitere Konkurrenten.

Baja, Armin Schwarz, Nacht

Armin Schwarz kämpft sich bei der Baja 1000 durch die Nacht Zoom

Beim nächsten Stopp bei Rennmeile 335 bekommt unser Auto das Nachtgesicht, starke Scheinwerfer. Weiter nach Süden. Hinter der Bucht der Engel ? Bahia de Los Angeles ? warten ein paar ziemlich teuflische Spezialitäten der Baja: "G-Outs". Vier, fünf Meter breite Rinnen, so um 1,50 Meter tief. Wenn du da mit 190 Sachen ankommst, abhebst und den Gegenhang triffst, wird dein Auto zum Spielball der Fliehkraft: Salto vorwärts. Aber wir haben alles im Aufschrieb, könnten volle Kanone fahren.

Nur: Jetzt holen wir die langsameren Quads und ein. Im Staub weißt du nie: fährt da ein Auto? Ein Zweirad? Also schleichst du mit 80 hinter einem her, kommst ran, überholst. Wenn du hier die Motorradfahrer nicht in Lebensgefahr bringen willst, musst du langsam tun. Die Anspannung im Cockpit ist enorm, bis wir endlich einen Umweg um einen der G-Outs fahren können, den die anderen offenbar nicht im Aufschrieb haben. Also: pedal to the metal. Und dann treffen wir bei voller Fahrt einen riesigen Kaktus. Der zerlegt sich in matschige Einzelteile. Tausend Stacheln an diesen Kaktustrümmern fliegen in unser Cockpit und wir verwandeln uns in Sekundenbruchteilen in rasende Igel. Das hebt die Stimmung nach neun Stunden Fahrt ganz enorm.

Früher Abend, noch ohne Zusatzscheinwerfer unterwegs

Endlich: Rennmeile 525, es wird offener. Noch 90 Meilen zum Wechsel. 20 Meter breite Sandpiste, 45 Kilometer schnurgerade. Wir lassen den Trophy Truck laufen, ich gehe immer wieder mal vom Gas, um nichts zu überhitzen. Wir drehen maximal 7200. Alles wunderbar, auch der schleichende Plattfuß vorne rechts macht uns nicht nervös. Es ist nicht weit zum nächsten Pitstopp am Highway Crossing. Als wir da ankommen, liegen wir bereits auf Platz sieben. Bryan und ich wittern Morgenluft. Die ganze Schufterei war für was gut. Das nächte Etappenziel heißt San Ignacio! Wir liegen gut im Rennen und in San Ignacio wartet Martin am Fahrerwechsel und eine Dusche!

Zehn Meilen sind wir seit dem Pitstop unterwegs. Farmland, kurvenreich, im Training sah das gut aus. Jetzt fahren wir durch extrem tiefen Sand. Tief, bodenlos, 60 Kilometer. Jetzt Staub, Siltbetten, die Armaturen verschwinden wieder. Es ist zermürbend für das Auto und für die Besatzung. Wir können nicht links oder rechts aus dem tiefen Staub raus. Da stehen die Kakteen ganz dicht. Vierter Gang geht nicht mehr, dritter Gang. Und dann höre ich Bryan am Intercom: "Mehr Drehzahl ?"

Und jetzt stehen wir bei Rennmeile 580. Wir schnappen unsere Stirnlampen, ich renne entgeben der Fahrtrichtung, um die anderen zu warnen. Bryan baut den Unterschutz ab. Nach jedem Auto spurte ich zu unserem Truck zurück. Wir sehen jede Menge Öl, finden kein Leck. Füllen Öl nach, starten den Motor. Öl läuft aus. Der Drehmoment-Wandler ist wieder trocken. Das können wir hier nicht reparieren.

Zwischendurch rase ich immer hundert Meter gegen die Fahrtrichtung, wenn wir ein Auto hören. Dann wieder zurück. Fünf Minuten warten, bis sich der Staub gelegt hat. Schrauben, hoffen. Unser Teamcrew mit Matt O'Melly schlägt sich in zwei Stunden zu uns durch, nimmt unseren Truck an den Haken. Es ist ein Wunder, wie Matt uns durch diese sieben Meilen Schlamassel schleppt. Er ist ein wahrer Könner, vor dem ich hier nochmal den Hut ziehe.

Nachtschicht am Service in der Wüste

Halb zwei in der Frühe, nach einer Stunde sind wir am Servicepunkt. Unser Team hat alles vorbereitet: Getriebe raus, Getriebeglocke, Drehmoment-Wandler wechseln. Ich lege mich im Truck eine Stunde flach. Der Kompressor rattert, das Notstromaggregat macht Krach. Aber es ist toll zu liegen. Dann ist alles gewechselt. Helm auf, rein ins Cockpit, Starterknopf. Und Öl läuft aus der Leitung aus. Das hatten wir nicht bemerkt: Nicht nur eine Dichtung war kaputt, sonder die Ölleitung. Also raus aus dem Auto, das Team wechselt die komplette Leitung.

Baja, Armin Schwarz

Trotz der Probleme erreichte Armin Schwarz das Ziel Zoom

Um sechs Uhr früh geht es weiter. Nur etwas über 30 Kilometer bis zum Wechselpunkt. Die ersten zwölf, dreizehn Kilometer: wieder Silt. Eine tiefe Spur mit 80 Zentimter hohen Kanten links und rechts. Darin quälen sich Motorrad- und Quadfahrer in Richtung Süden. Einige sind wo müde, dass sie Schlangenlinien fahren. Vor uns ein Motorradfahrer, der den Lenker nicht mehr halten kann. Aber er ist zu schwach, um aus der Spur zu fahren. Wir sind im Tross gefangen. Langsam, langsam geht es voran. Wir versinken im Silt, graben aus, schleppen andere aus dem Staub, um überhaupt weiter zu kommen.

Acht Uhr früh: endlich San Ignacio. Neun Stunden hinter dem Plan. Die Mechaniker checken unseren Trophy Truck durch, alles läuft ruhig und routiniert. Kein Wort der Enttäuschung. Jeder hier hat schon viele Bajas mitgemacht. Es ist toll, noch im Rennen zu sein. Martin fährt seine 650 Meilen in exakt der gleichen Zeit wie der Gesamtsieger und ohne jegliche Probleme. Jetzt wissen wir: unser Auto ist gut und schnell.

Unser Konzept ist richtig. Nach 31 Stunden Gesamtfahrzeit kommt Martin in La Paz unten im Süden der Baja California an. Unser Traum von den Top 10, vielleicht sogar vom Podium ist diesmal nicht wahr geworden. Aber wir haben unser neues und ziemlich revolutionäres Auto ins Ziel gebracht. Das stimmt uns für 2013 sehr optimistisch.

Wenn ich mich richtig erinnere, war die Dusche in San Ignacio ziemlich das Coolste meines Lebens. Jetzt sitze ich in meinem Büro zuhause, denke an die Nacht in der Wüste und bin sicher: Ich habe einen Traumjob. Aber wenn ihr mich im Staub gefragt hättet, hätte ich sehr wahrscheinlich geantwortet: Welcher Verrückte tut sich sowas an?

Ich möchte mich bei allen unseren Partnern, Helfern, Fans und unseren Familien bedanken für eine tolle Unterstützung. Alle haben unglaublich angepackt und unsere neuen Entwicklungen tatkräftig unterstützt. Vielen Dank Euch Ingenieuren, Technikern, Logistikern und allen, die mit Hand angelegt haben, um uns so gut durch diese Rennsaison und das Jahr zu bringen.

We keep Racing! Herzliche Grüße,

Armin Schwarz

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