• 09.11.2011 13:58

  • von Pete Fink

NASCAR-Kolumne: Seltsam, seltsam...

Konstanz gegen Siege: Ist es gerecht, wenn ein Pilot vier von acht Chase-Rennen gewinnt und trotzdem nur Zweiter ist? Pete Fink über "Smoke" vs. "Cousin-Carl"

Liebe NASCAR-Fans,

Titel-Bild zur News: Carl Edwards, Tony Stewart

Noch hat Carl Edwards seine Nase hauchdünn vor Tony Stewart...

ein Blick auf die aktuelle NASCAR-Gesamtwertung verrät nicht nur mir zwei Dinge: Einerseits sehen wir ein hochdramatisches Chase-Finale 2011 mit einem extrem konstant auftretenden Carl Edwards und einem entfesselt fahrenden Tony Stewart. Gut so, denn damit wird es nach einer fünfjährigen Jimmie-Johnson-Alleinherrschaft wieder einmal einen neuen NASCAR-Champion geben - die vielen Johnson-Fans mögen mir dies bitte ausnahmsweise und großzügig nachsehen.

Und es wird ein sehr populärer Champion werden, denn sowohl Edwards als auch Stewart zählen in den USA zu den großen Publikumslieblingen. Das große Aber lautet: Wie um Himmels willen kann es möglich sein, dass einer, der vier Siege in acht Chase-Rennen holt, immer noch drei Punkte hinter seinem Konkurrenten liegt, der kein einziges dieser acht Playoff-Rennen gewinnen konnte? Und das in einem Szenario, in dem NASCAR seit Jahren immer wieder erklärt, dass man gerne eine stärkere Gewichtung auf einem Rennsieg sehen würde?

Natürlich liegt diese Situation am neuen Punktesystem. Ganz genau betrachtet, holten Edwards und Stewart in den acht bisherigen Playoff-Rennen jeweils 313 Meisterschaftspunkte. Der aktuelle Unterschied von drei Zählern rührt also von den drei Bonuspunkten her, die Edwards durch seinen einzigen Erfolg 2011 zu Saisonbeginn in Las Vegas holte. Diese bekam er zu Playoff-Beginn kredenzt, als alle Chaser auf 2.000 Punkte gesetzt wurden.

Mit anderen Worten: Stewarts 25. Platz von Dover und sein 15. Platz aus Kansas werden im neuen Punktesystem so heftig bestraft, dass es gleich vier Siege benötigt, um diesen Malus wieder auszugleichen. Wofür steht dies? Doch einzig und alleine dafür, dass der allentscheidende Chase-Faktor die Konstanz ist. Die im Fall Edwards natürlich phänomenal ist, denn der Roush-Pilot fuhr in sieben von acht Chase-Rennen in die Top-10. Seine schlechteste Platzierung stammt aus Talladega mit Rang elf.

Konstanz gegen Siege

Carl Edwards, Tony Stewart

Wer holt den NASCAR-Titel: Carl Edwards (li.) oder Tony Stewart? Zoom

Schlaue Statistik-Köpfe in den USA haben in der Zwischenzeit ausgerechnet, dass Stewart in nahezu jedem anderen Punktesystem einer bedeutenden Motorsportserie mittlerweile einen beruhigenden Vorsprung auf Edwards hätte. So zum Beispiel in der Formel 1, bei den IndyCars und auch in der MotoGP. Nur eben nicht in der NASCAR.

Übrigens: Auch im bis 2010 gültigen Punktesystem der NASCAR wäre Stewart nach Texas an Edwards vorbeigezogen. Vor dem letzten Wochenende hätte "Smoke" einen Rückstand von elf Zählern gehabt, nach Texas wäre er mit neun Punkten in Front gelegen. Und ganz ehrlich: Als NASCAR zu Saisonbeginn das neue Punktesystem vorgestellt hat, habe ich mich gefragt, ob dieses Thema auf der Prioritätenliste wirklich ganz oben stehen musste?

Nun stellt sich heraus, dass das neue System offenbar nichts anderes ist, als eine klassische Verschlimmbesserung. Dazu noch ein kleines Rechenbeispiel: Im alten Punktesystem der NASCAR hätte Stewarts ominöser 25. Platz von Dover 46 Prozent der Maximalpunktzahl gebracht. Im neuen System sind es nur deren 40 Prozent. Ein vermeintlich kleiner Unterschied, der am Ende aber große Auswirkungen haben könnte.

Andererseits knabbert NASCAR schon immer an diesem Problem Konstanz gegen Siege: 1963 gewann Richard Petty 14 Rennen, der Titel ging jedoch an Joe Weatherly, der damals nur drei Rennen gewann. Rusty Wallace gewann 1993 und 1994 jeweils fast doppelt so viele Rennen wie Dale Earnhardt, der Titel ging in beiden Jahren an Earnhardt.

Prognose unmöglich

Pete Fink Kolumne

Pete Fink glaubt: Eine Prognose ist unmöglich geworden... Zoom

Und dann war da natürlich noch die Saison 2003, als Ryan Newman trotz acht Saisonsiegen an Matt Kenseth scheiterte. Kenseth gewann lediglich ein Rennen und holte sich den Titel, weil er 25mal in 36 Rennen in die Top-10 fuhr. Daraufhin erfand NASCAR den Chase. Kenseths einziger Saisonsieg kam übrigens in Las Vegas, also genau dort, wo auch sein heutiger Roush-Teamkollege Edwards sein bisher einziges Saisonrennen gewann. Was für ein Zufall...

Doch all diese Rechnereien können schon nach dem anstehenden Phoenix-Wochenende wieder Makulatur sein. Im Vorjahr stand Denny Hamlin dicht davor, mit einem gewaltigen Punktepolster ins Homestead-Finale zu gehen. Sein Benzinverbrauch machte ihm einen Strich durch die Rechnung, was Jimmie Johnson überhaupt erst wieder in die nötige Schlagdistanz brachte. Carl Edwards gewann dieses Rennen genauso dominant wie eine Woche später in Homestead.

Aber in diesem Jahr ist Phoenix nach dem Umbau eine große Unbekannte. Ein neuer Belag, mehr Banking in den Kurven und natürlich der engere Knick auf der Gegengeraden. Eine Faustregel der NASCAR besagt: Ein neues Asphaltband führt zunächst zu einem Single-Groove-Rennen. Das bedeutet, dass die Qualifikation umso wichtiger wird. Eine Prognose ist also völlig unmöglich. Sowohl was Phoenix betrifft, als auch was die Meisterschaft betrifft.

Nur gute Erinnerungen

Phoenix Arizona

Fällt in der Wüste von Arizona eine Vorentscheidung? Zoom

Beide Kontrahenten haben an Phoenix sehr gute Erinnerungen: Ein völlig unbekannter Carl Edwards steckte 2001 all sein Geld in ein Auto der USAC-Silver-Crown-Serie. Dieser Auftritt verschaffte ihm die Aufmerksamkeit einiger Teambesitzer, weshalb Edwards heute noch sagt: "Damals in Phoenix hat alles angefangen." Zehn Jahre später klopft der Vizemeister des Jahres 2008 zum zweiten Mal intensiv an die Meisterschaftstüre.

Tony Stewart wiederum drehte schon zu seinen IndyCar-Zeiten unzählbare Runden in Phoenix. "Arie Luyendyk und ich waren damals die Haupttester für Firestone", erinnert sich Stewart. "Ich habe hier soviel Zeit verbracht, dass ich wahrscheinlich jede Linie kenne, die jemals gefahren wurde. Und ich weiß sogar, warum sie benutzt wurde." Was ihm nach dem Umbau aber nicht mehr viel helfen wird.

Fällt am Sonntagabend ab 21:00 Uhr also eine Vorentscheidung? Kann "Smoke" seinen schier unglaublichen Chase-Lauf fortsetzen? Oder gelingt es "Cousin-Carl" dessen Serie zu stoppen? Den Titel verdient hätten beide Piloten. Stewart, weil er zum richtigen Zeitpunkt der Saison in der Lage ist, Top-Leistungen abzurufen und Edwards, weil er über eine ganze Saison der konstanteste Fahrer war. Der Rest ist reine Geschmackssache. Nur NASCAR könnte vielleicht einmal seine Chase-Arithmetik überdenken...

Euer


Pete Fink