• 24.01.2008 07:59

  • von Pete Fink

Die NASCAR-Expertenrunde zur Saison 2008 (2)

'Motorsport-Total.com' hat vier NASCAR-Experten an einen Tisch gebracht und mit ihnen die wichtigsten Themen im Vorfeld der neuen Saison besprochen

(Motorsport-Total.com) - Richtige NASCAR-Experten muss man in Deutschland zwar mit der Lupe suchen, aber es gibt sie. 'Motorsport-Total.com' hat die vier Wichtigsten an einen Tisch gerufen, um in einer gemeinsamen Diskussionsrunde die entscheidenden Fragen der neuen NASCAR-Saison 2008 zu besprechen.

Titel-Bild zur News: Daytona

In Deytona beginnt in 24 Tagen die Sprint-Cup-Saison 2008

Günther Steiner, der NASCAR-Teamchef von Red Bull, Klaus Graf, der einzige Deutsche, der jemals ein Cup-Rennen fuhr, Christian Kuhn, der deutsche NASCAR-Insider und Premiere-Kommentator Jacques Schulz gaben ihre Meinungen zum Besten - und nicht immer waren die Herren Experten einer Meinung.#w1#

Auf den Tisch kamen zwölf hochinteressante Fragen rund um die NASCAR Sprint Cup Saison 2008, die unsere Fachleute ausführlich für die Leser von 'Motorsport-Total.com' beantwortet haben - hier der zweite Teil der großen NASCAR-Expertenrunde zur Saison 2008.

Frage: "Gelingt es Red Bull, in die Top 35 vorzustoßen, und wie stark können Brian Vickers und A.J. Allmendinger von der Zusammenarbeit mit Joe Gibbs profitieren?"
Steiner: "Wir müssen in die Top 35 kommen. Soviel Druck machen wir uns selbst."

Kuhn: "Also meiner Meinung nach werden beide Fahrer mit den Top 35 keine Probleme haben. Wie die Zusammenarbeit mit Gibbs genau läuft, dazu kann ich nichts sagen, dass muss Günther beantworten."

Viel Expertenlob für Günther Steiner

Steiner: "Wir arbeiten tatsächlich in ein paar Bereichen mit Gibbs zusammen und das ist für alle Toyota-Teams ein Vorteil, denn nun haben wir alle eine Meßlatte. Letztes Jahr waren alle Toyota-Teams ganz neu und da wusste man nie genau, wo man stand. Was ist jetzt der Faktor, warum es funktioniert? Ist es der Motor? Oder ist es das Auto?"

Günther Steiner Red Bull

Red-Bull-Teamchef Günther Steiner bekam viel Anerkennung der Experten Zoom

Schulz: "Günther, ich finde, da hast Du echt einen guten Job gemacht hat, Kompliment. Und mit dieser Synergie von Gibbs sollte man in der Lage sein, viele Werte zu übernehmen. Günther ist für mich ein hervorragender Techniker, der genau weiß, was er tut."

Graf: "Günther und seine Mannschaft hatten in 2007 viele Hürden zu überwinden und man sieht ja auch an den Personalveränderungen, dass noch am optimalen Paket gearbeitet wird. NASCAR ist ein Teamsport, und so ein großes Team zu formen, das braucht nun einmal Zeit. Ich traue Brian Vickers auf jeden Fall den Schritt ins Mittelfeld für 2008 zu, bei A.J. muss man abwarten ob die Konstanz kommt."

Schulz: "Richtig. Für mich ist Vickers ein absoluter Toppilot."

Kuhn: "Das sehe ich anders. Ich glaube, dass A.J. Allmendinger die ganz große Überraschung sein wird. Das ist ein ganz schneller Mann und für mich ist Allmendinger der Pilot, den Red Bull eigentlich in die Formel 1 hätte bringen müssen, denn das wäre der amerikanische Formel-1-Fahrer gewesen, nach dem Bernie Ecclestone so lange gesucht hat."

"A.J. ist bestimmt emotional außerhalb des Rennautos nicht einfach zu führen, aber die Erfahrung wird diese Kanten glätten, und sein Temperament zum richtigen Zeitpunkt zum Vorschein kommen lassen, dann wird er auch in diesen Autos glänzen. Ich glaube, dass es Brian Vickers gegen A.J. ganz schwer haben wird. Mit Glück, und das braucht man in der NASCAR, wird einer der Red-Bull-Fahrer den ersten Sieg in ihrer NASCAR-Geschichte einfahren."

Das solide Roush-Team

Frage: "Roush konnte am Ende der vergangenen Saison die Ford-Fahne ordentlich oben halten. Reichen die neuen Strukturen mit Fenway und Yates aus, damit die Konkurrenz aus dem Hause Chevrolet und Toyota nicht enteilt?"
Graf: "Jack Roush ist ein Schlitzohr und ein extremer Wettbewerber. Man hat im Roush-Lager mit dem CoT zu Beginn der letzten Saison geschlafen, aber dann sofort reagiert. Die werden 2008 vorne mit dabei sein, aber ich könnte mir vorstellen das Greg Biffle der Top-Roush-Mann 2008 wird, Matt Kenseth muss zuerst ohne Robbie Reiser als Crew-Chief klarkommen."

Jack Roush

Das Schlitzohr Jack Roush muss 2008 die Dinge im Ford-Lager richten Zoom

Kuhn: "Trotzdem ist Kenseth für mich der einzige, der da glänzen kann, wenn es - und da hat Klaus völlig Recht - auch ohne Robbie Reiser geht. Zweitens ist die Frage, ob Carl Edwards beweisen kann, dass er ein ganz Großer wird. Aber Matt Kenseth ist ein absoluter Ausnahmefahrer, ein bisschen das Spiegelbild von Jimmie Johnson, die zwei sind der absolut gleiche Typ Fahrer. Kenseth wird die Speerspitze von Ford bleiben und für Carl Edwards wird es das Jahr der Wahrheit. Aber Kenseth wird immer um die Meisterschaft fahren, egal für welches Team er fährt."

Steiner: "Roush ist ein ganz stabiles Team. Ob er für ganz vorne reichen wird, das ist schwer zu sagen, denn Hendrick wird das dominante Team werden. Aber sie werden sicher eine gute Figur abgeben und Rennen gewinnen, das werden sie immer schaffen."

Schulz: "Ich bin da nicht so positiv. Nur über die Konstanz, wie es Kenseth die letzten Jahre gemacht hat, kann man sich zwar einen Sockel legen, heute braucht man aber vier, fünf, sechs Einzelsiege, um am Ende ganz vorne zu stehen. Und wie die Diskussion ja gerade zeigt, sind bei Roush die Kräfte zu sehr auf alle Piloten verteilt. Die fahren für mich alle auf einem Level, da sehe ich keinen Topfavoriten und auch die Struktur, die geschaffen wurde, reicht nicht gegen Hendrick und Gibbs aus."


Dodge mittelfristig in Problemen

Frage: "Im Gegensatz zu Chevrolet, Toyota und Ford wirkt Dodge nach außen eher etwas zersprengt. Haben Evernham, Penske und Ganassi - sozusagen als Eigenbrötler - überhaupt noch eine Chance gegen die Konzentration, die Chevrolet, Toyota und Ford aufbieten?"
Graf: "Evernham hing jahrelang am Tropf von Dodge und muss nun mehr aus Eigenregie finanzieren. Ray Evernham hat sich 2007 sicherlich nicht immer zu 100 Prozent auf den Sport konzentriert, und das muss wieder anders werden. Penske wird mit Kurt Busch stark sein, aber ob Ganassi den Sprung nach ganz vorne schafft, wage ich zu bezweifeln, die sind auch finanziell insgesamt nicht so stark wie die anderen. Auf dem Motorensektor oder bei den Plate-Projekten könnten die Dodge-Teams sicherlich besser zusammen arbeiten, aber ich denke da fehlt es etwas an der Koordination und Input seitens Dodge."

Kurt Busch

Kurt Busch ist für die Experten auch 2008 die Speerspitze im Dodge-Lager Zoom

Steiner: "Ich kann auch nicht genau sagen, wie die Zusammenarbeit der Dodge-Team ist, aber es ist schon richtig, es sieht ein bisschen mehr zersprengt aus, als bei anderen Herstellern. Trotzdem sind das alles recht gute Teams, aber ich sehe das ähnlich wie vorher bei Roush. Rennen gewinnen ja, vor allem wie Klaus schon sagte, Kurt Busch und Penske, aber ob es für eine Meisterschaft reicht, das wird schwer."

Schulz: "Eigentlich müsste Penske-Dodge schon in der Lage dazu sein. Da stimmt die Infrastruktur, da stimmt das Geld. Es ist nur die Frage, was Roger Penske mit all seinen Motorsportaktivitäten will. Kann er genügend Konzentration auf seine Jungs legen? Ryan Newman hat 2003 sechs oder acht Rennen gewonnen, der Rocket-Man war sensationell in Form und Kurt Busch ist ein ehemaliger Champion. Insofern muss ich das bejahen, ich glaube nicht dass bei Penske - und auch bei Ganassi - die Konzentration groß genug ist, um am Ende vorne mitzuhalten. Das ist mir tatsächlich zu zersprengt."

Kuhn: "Was viele in ihrer Betrachtung vergessen, ist, dass Dodge in Cerberus einen neuen Besitzer hat. Das ist ein Finanzinvestor, und man hat Dodge nur gekauft, um Geld zu verdienen. Die NASCAR-Verträge laufen bis 2009 und ich glaube nicht, dass Dodge von Cerberus die finanzielle Unterstützung erhält, um mit General Motors oder Toyota mithalten zu können. Meine persönliche Meinung ist, dass man als Dodge-Team langfristig nicht mehr die Chance hat, die Meisterschaft zu gewinnen."

Wie lange gibt es noch kleine Teams?

Frage: "Wird es am Ende der Saison 2008 im Sprint Cup überhaupt noch Ein-Wagen-Teams geben oder greift die Merger-Mania so weit um sich, dass die Robby Gordons, die BAMs, die Morgan-McClures allesamt von der Bildfläche verschwunden sind?"
Kuhn: "Tolle Frage. Ich denke, wir sind am Ende dieser Fahnenstange angelangt. Morgan-McClure gibt es bereits nicht mehr, auch Robby Gordon wird dieses Jahr abrutschen und um die Top 35 kämpfen müssen. In Sachen BAM Racing bin ich ja unmittelbar betroffen, es wird es nur weitergehen, wenn wir uns in die Top 35 retten können. Die kleinen Teams werden aussterben, das garantiere ich."

Klaus Graf BAM Racing Sears Point 2007

Wie lange wird es noch kleine NASCAR-Teams wie BAM Racing geben? Zoom

Steiner: "Also wenn man nicht in den Top 35 ist, dann wird es ganz schwer. Oder man hat privates Vermögen, um das alles zu finanzieren. Und auch die Lust dazu, dafür Geld auszugeben, denn sonst werden diese Teams von der Bildfläche verschwinden."

Graf: "Wenn das Franchise System kommen sollte, verschwinden alle, die sich kein Franchise leisten können oder Investoren finden. Wenn nicht, denke ich wird es immer kleine unabhängige NASCAR Teams geben."

Steiner: "Aber wenn du nicht in den Top 35 bist, dann wird es richtig schwer Sponsoren zu finden, denn diese Firmen können ja immer jemanden wählen, der sicher im Rennen ist."

Schulz: "Das ist eine Tendenz, wie in der Formel 1. Für Romantik ist auch in der NASCAR kein Platz mehr. Spätestens 2009 werden nur noch große Organisationen mit mindestens drei Wagen pro Team gewinnen können."

Man wird sich an das CoT gewöhnen

Frage: "2008 wird nur noch mit dem Car of Tomorrow gefahren. Werden die negativen Stimmen im Laufe der Zeit verstummen oder wird es weiterhin viel Diskussionsstoff über das neue NASCAR-Auto geben?"
Graf: "NASCAR sollte in einigen Dingen auf die Vorschläge der Teams eingehen und Änderungen vornehmen. Ansonsten werden die Stimmen im Laufe der Zeit verstummen und man wird sich damit abfinden müssen. Auch die Teamstruktur verändert sich zum Teil. Durch die Fixpunkte am Body und weniger Spielraum sind viele der "Top Fabrikator" und "Body Hanger" überflüssig geworden und haben ihre Jobs bereits verloren."

Jeff Gordon Jimmie Johnson

2007 fuhren die CoTs von Gordon und Johnson der Konkurrenz um die Ohren Zoom

Steiner: "Also ich glaube, man hat in der Zwischenzeit eines verstanden. Es ist, was es ist. Man fährt nicht mehr mit dem alten Modell, man hat auch nicht mehr den direkten Vergleich, weil man nicht mehr hin und her hüpft. Deswegen glaube ich, dass die Stimmen verstummen werden."

Schulz: "Definitiv, das ist für mich überhaupt keine Frage. Das Auto ist am Anfang seiner Entwicklung, man wird die Abstimmung hinbekommen, kein Mensch wird da mehr darüber schimpfen."

Kuhn: "Sicherheitstechnisch ist es ein Fortschritt, über die Optik müssen die Fans selbst entscheiden. In erster Linie ist es aber so, dass NASCAR mit dem CoT wesentlich mehr Geld verdient, weil die Teams so viele genormte NASCAR-Teile kaufen müssen."

Ralf Schumacher und die NASCAR?

Frage: "NASCAR wird immer internationaler und das weltweite Interesse wächst ständig. Wann sehen wir einen fünften Hersteller in der NASCAR - zum Beispiel Nissan oder Honda -, und wann sehen wir einen permanenten deutschen Fahrer?"
Steiner: "Kann es auch ein Südtiroler sein? Nein ernsthaft. Ich denke schon, dass es Hersteller gibt, die genau hinschauen. Aber in die NASCAR zu kommen, ist nicht so einfach, wie man glaubt. Man muss sich schon gut vorbereiten und Toyota ist ja jahrelang mit dem Tundra-Truck gefahren und dann erst in den Cup gegangen."

Ralf Schumacher

Ralf Schumacher in die NASCAR? Oder doch lieber in die DTM? Zoom

Kuhn: "Inoffiziell gab es den Honda-Ridgeline-Truck schon als Testfahrzeug in der Craftsman Truck Serie und er ist auch schon gefahren. Honda wird immer verfolgen, was Toyota im Motorsport macht und hat intern einen potentiellen Einstieg in die NASCAR-Truckserie untersucht. Aber Honda ist eigentlich zu klein, und verfügt nicht über eine NASCAR-interessierte Käuferschicht, also ist man in der der IRL geblieben und hat sich zusätzlich für die ALMS entschieden. Einen neuen Hersteller wird es nicht geben, ganz im Gegenteil, die Frage wird sein, wie lange sich Dodge das NASCAR-Wettrüsten noch leisten kann und will."

Graf: "Also ich sehe in absehbarer Zeit auch keinen neuen Hersteller, der Automarkt in den USA ist momentan einfach nicht stark genug. Und einen deutschen Fahrer zu etablieren kann noch ewig dauern oder auch ganz schnell gehen, wenn man das richtige Paket schnürt."

Kuhn: " 2003 habe ich Craftsman Truck mit Alex Müller, und Late Model auf dem Hickory- und Caraway Speedway mit einigen deutschen Fahrern gemacht. Für die logische Weiterführung meines "NASCAR-Planes" habe ich für 2004 Klaus als Fahrer ausgewählt, mit dem ich ja auch schon bei Panoz in USA aktiv war. Wir haben ein detailliert geplantes und durchdachtes ARCA-Testprogramm und für den Cup ein Rennprogramm mit einem neu zusammengestelltem Team der Nummer 59 durchgeführt. Das ist das Maximum, was man sich aus eigenem Investment als Vorbereitung auf Fulltime-Cup-Racing leisten kann. Wir haben bewiesen, dass es sportlich gehen kann, mit dem dritten Platz im ersten Ovalrennen und Rang 17 im ersten Cup-Rennen"

"Aber Fulltime Sprint Cup für einen deutschen Fahrer wird es erfolgreich nur geben in Verbindung mit einem Großkonzern, der den Fahrer mit Team als Gesamtpaket mindestens drei Jahre lang sponsort. Oder einem deutschen Management, das sich mit NASCAR und US-Rennsport zu 100 Prozent auskennt, und die Kontrolle über das Einsatzteam und die Auswahl der Schlüsselmitarbeiter wie Crew-Chief und Teammanagement ausüben kann."

"Und dann benötigt man noch einen Fahrer, der sich der Aufgabe zum rechten Zeitpunkt in seiner Karriere mit Haut und Haar verschreibt, und der sich den Unterschieden der NASCAR-Rennkultur anpassen, und sich schnell integrieren kann. Und natürlich braucht er ein erhebliches Talent für die Anforderungen dieser speziellen Autos."

Steiner: "Ich formuliere es mal etwas allgemeiner: Ein europäischer Fahrer ist in den USA sehr schwer zu vermarkten. Das ist das ganze Problem bei der Sache. Es gibt keine Rennen in Europa, und in den USA Sponsoren für einen europäischen Fahrer zu finden, ist auch ganz schwer, denn amerikanische Firmen wollen amerikanische Fahrer unterstützen. Und die europäischen Firmen wollen auch amerikanische Fahrer, weil die ganze NASCAR-Serie auf den amerikanischen Markt bezogen ist. Es wird für einen Europäer sehr schwierig, sich in den USA zu etablieren. Ich sage nicht, dass es in Zukunft nicht zu realisieren ist, aber nicht in den nächsten ein bis zwei Jahren."

Schultz: "Zum Thema deutscher Fahrer habe ich ein persönliches Wunschdenken, denn ich würde mir wünschen, dass ein Ralf Schumacher sein Glück da drüben versucht. NASCAR wird immer internationaler, immer globaler. Wir werden sehen, dass Rennen nicht nur in Kanada oder in Mexiko stattfinden werden, wir werden noch ganz andere Rennorte sehen."