• 28.02.2013 02:12

  • von Stefan Ziegler

Die "Greenhorn"-Kolumne: Ein "Rookie" in Daytona

Ein NASCAR-Neuling beim Daytona 500: Stefan Ziegler schreibt in seiner "Greenhorn"-Kolumne, wie er das "Great American Race" live vor Ort erlebt hat

Liebe NASCAR-Fans,

Titel-Bild zur News: Daytona

(Ein-) Blick ins Oval von Daytona: Eine irre Kulisse für eine NASCAR-Premiere! Zoom

so neu, wie Euch mein Name in der Autorenzeile der US-Racing-Rubrik sein wird, so neu waren für mich die Eindrücke, die ich am vergangenen Wochenende gesammelt habe. Beim "Great American Race", dem Daytona 500. Wo ich als NASCAR-"Greenhorn" in die Welt meiner beiden 'Motorsport-Total.com'-Kollegen Pete Fink und Mario Fritzsche hineinschnuppern durfte. Wie ein echter "Rookie" halt.

Normalerweise bin ich nämlich in anderen Motorsport-Serien zuhause. Wie beispielsweise in der Formel 1 oder der WTCC. Dort habt Ihr vielleicht schon einmal etwas von mir gelesen. Und jetzt gebe ich gewissermaßen mein NASCAR-Debüt. Weil ich auf meiner Reise ins schöne Florida einige spannende und interessante Beobachtungen gemacht habe. Und diese will ich Euch natürlich nicht vorenthalten.

Der erste Blick auf den Speedway

Wahrscheinlich überrascht es Euch nicht weiter, wenn ich schreibe: NASCAR live zu sehen, war eine wahnsinnig tolle Erfahrung! Für mich als "Oval-Neuling" sowieso. Und das aus vielerlei Gründen, wie Ihr in den folgenden Absätzen lesen werdet. Beeindruckt hat mich jedenfalls schon alleine die schiere Größe dessen, was ich in Daytona vor mir hatte: den Speedway, den Aufwand, die Inszenierung, die Begeisterung.

Doch der Reihe nach: Als wir am Mittwochabend bei Nacht erstmals am Daytona International Speedway vorbeifuhren und ich einen ersten flüchtigen Blick auf diese Anlage werfen konnte, wuchs die Vorfreude auf die folgenden Tage noch weiter an. Ein Mega-Bauwerk für einen Mega-Event. Das wurde mir rasch klar. Noch mehr, als wir am Donnerstag schließlich ins Infield der Strecke hineinfuhren.


Fotos: Daytona 500, Training/Quali


So etwas hatte ich bis dato noch nicht gesehen. Nicht in diesem Ausmaß. Wobei sich mir alsbald ein Gedanke aufdrängte: Der Daytona Speedway scheint nur einem einzigen Zweck zu dienen - den Fans ein einmaliges Erlebnis zu bescheren. Ihnen einfach alles zu bieten. Innerhalb des Kurses und nicht etwa in der Peripherie der Strecke. Was man von den meisten Bahnen in Europa überhaupt nicht kennt.

Was ist eigentlich Fannähe?

Hier in Daytona ist aber alles anders. Gewaltige Tribünen (wie um alles in der Welt sollen die bloß voll werden?) säumen das Asphaltband, die Stellplätze für riesige Wohnmobile und Motorhomes grenzen direkt an die Auslaufzonen. Und schon am Donnerstag strömt das Publikum in Massen herbei. Denn es ist hier sehr willkommen. Mitten unter den Akteuren, direkt dran am Geschehen. Am Herzen des Motorsports.

Fans, NASCAR, Daytona

Fannähe auf Amerikanisch: Die Zuschauer vor der Startphase im Daytona-Infield Zoom

Das hat mich überrascht. Und zugleich beeindruckt. Denn es schreiben sich ja viele Rennserien auf die Fahnen, sehr zuschauernah und überaus fanfreundlich zu sein. Sind sie aber meistens nicht, sie glauben es nur zu sein. Bei NASCAR wird diese Thematik jedoch regelrecht greifbar. Durch eine Offenheit, die ihresgleichen sucht. Und das gilt für die gesamte Ausrichtung dieser Rennveranstaltung.

Ich staunte zum Beispiel nicht schlecht, dass es in der Boxengasse keinerlei Trennwände zwischen den einzelnen Garagen gibt. Nichts. Gar nichts. Titelfavorit neben Underdog, Chevrolet neben Ford und Toyota. Falsche Scheu kennt hier offenbar niemand. Auch die Fahrer nicht. Es scheint, als bleibt kein Autogramm-Wunsch unerfüllt. Selbst während der Trainings zücken die Piloten ihre Stifte und schreiben.

Ein "Amen" aus 200.000 Kehlen

Das Lächeln, das sie dabei im Gesicht trugen, schien mir alles andere als aufgesetzt zu sein. Wie am Sonntag bei der Fahrerparade im Infield, als sämtliche NASCAR-Sprint-Cup-Piloten über einen "Catwalk" liefen und - wie selbstverständlich - die umstehenden Fans abklatschten. Ein "Give-Me-Five-Spalier" der Extraklasse, ganz offensichtlich für beide Seiten. Der Jubel war jedenfalls riesengroß.

Fans

Volles Haus: Rund 200.000 Zuschauer kamen 2013 an den Daytona Speedway Zoom

Die Atmosphäre vor Ort - ein gutes Stichwort! Wenn sich alles zum Gebet erhebt (haben wirklich gerade 200.000 Kehlen unisono laut "Amen" gesagt?) und kurz darauf die US-amerikanische Nationalhymne zelebriert. Wenn es beim Start und beim Zielsprint nicht einen Fan auf seinem Sitzplatz hält. Und wenn ein gelungenes Manöver mit ehrlichem und lautem Jubel bedacht wird.

Ein bisschen erinnert mich das an ein Wagenrennen im alten Rom. Das kam mir zumindest in den Sinn, als ich mir das Ganze aus der Vogelperspektive anschaute. Im Schlepptau des erfahrenen Motorsport-Fotografens Alexander Trienitz, den ich während der Rennen begleiten durfte und so einige der schönsten Stellen des Speedways kennenlernte. Wie zum Beispiel das Dach der Haupttribüne.

Der perfekte Sound?

Sehr viel intensiver geht es wahrscheinlich nicht: Unter dir die vollen Ränge (wonach sich in Europa mancher Streckenbetreiber sehnt), der Duft von Hotdogs und Burgern in deiner Nase. Und ein schnelles Etwas, das sich wie eine große Schlange immer und immer wieder um den Kurs windet: das NASCAR-Feld im Renntrimm. Mit einer grandiosen Soundkulisse, die mich wirklich schwer faszinierte.

Keine überzüchteten und schrill klingenden Aggregate, aber auch keine Leisetreter. Motoren, wie sie sich einfach anhören müssen: tief wummernd - und kräftig. Dass dein Brustbein vibriert, wenn ein Fahrzeug vorbeigeschossen kommt. So laut, dass du das Rennen nicht nur sehen, sondern auch am eigenen Leib spüren kannst. Und trotzdem in einem Bereich, der nicht als unangenehm empfunden wird.


Fotos: Daytona 500, Training/Duels


So sehr die Kulisse überzeugt, so schwierig ist laut meiner Erfahrung aber, den Zugang zu diesem Sport zu finden. Vor allem für einen europäisch geprägten Motorsportler, für den "Fahren im Kreis" nicht besonders prickelnd ist. Ich mache keinen Hehl daraus: Mir ging es da nicht viel anders. Ich ließ mich trotzdem darauf ein. Und merkte rasch: Vergiss deine Oval-Vorurteile mal ganz schnell...

Nicht einfach zu durchschauen...

Wie komplex und vielschichtig ein NASCAR-Rennen sein kann, erlebte ich nämlich bereits in den Budweiser-Duels im "Vorprogramm" zum Daytona 500. Als ich das Geschehen gemeinsam mit meinem Kollegen Pete verfolgte, der - er ist nicht umsonst TV-Kommentator - mir die Vorgänge im Feld genau erklärte und vor allem meine vielen Fragen beantwortete. Und schon bald sah ich klarer.

Fans

Fans in Daytona: Mit dem Wohnmobil an die Strecke und NASCAR pur genießen! Zoom

Dadurch stellte sich auch eine gewisse Faszination für die Materie ein. Kein Wunder, wenn 43 scheinbar völlig Verrückte mit 300 Sachen durch ein Oval donnern. Im Zentimeter-Abstand zum Vordermann. Manchmal in zwei oder gar drei Reihen nebeneinander. Und das schlappe 200 Runden lang. Unterbrochen nur von dem, was die Amerikaner eine "Caution" nennen - eine Gelbphase.

Die treten mitunter häufig auf. Und meistens, wenn es irgendwo gekracht hat. Ist das vielleicht ein Grund, weshalb NASCAR in den USA so irre populär ist? Weil "Action" quasi vorprogrammiert ist? Gut möglich. Denn wenn es am Limit einmal schiefgeht, dann richtig. Wie ich nun aus eigener Erfahrung weiß. Ich stand nämlich in der Boxengasse, als es am Vorabend des Rennens schrecklich knallte.

Mir wird ein bisschen mulmig...

Das war beim Zielsprint der Nationwide-Konkurrenz, der "2. Liga" im NASCAR-Repertoire. Und mir stockte der Atem, als ich die Autos und die Trümmerteile fliegen sah. Gefährlich. Richtig gefährlich. In diesem speziellen Fall auch für die Fans auf den Rängen. Das Ergebnis: 28 verletzte Zuschauer. Ein "Freak Accident", wie sich bald herausstellt. Oder: Eine Verkettung sehr unglücklicher Umstände.

Danica Patrick

Mit den Autos auf du und du: Nur wenige Meter trennen Akteure und Zuschauer... Zoom

Was mich aber ziemlich beschäftigt hat. Besonders, als ich am Sonntag - wieder gemeinsam mit Fotograf Alex - auf den Tribünen unterwegs war. Nur wenige Meter neben dem Fangzaun, den am Samstag einige Autoteile durchschlagen hatten. Und die schiere Gewalt der NASCAR-Sprint-Cup-Autos, die ein paar Zentimeter weiter an mir vorbeirasten, wirkte auf einmal sehr, sehr bedrohlich.

Diese unglaubliche Nähe zwischen Fahrzeugen und Fans. Ist das vielleicht ein Tick zu viel des Guten? Oder einfach nur das "Kolosseum-Konzept" der alten Römer, geschickt auf die Moderne angepasst? Oder zeigt es schlicht und ergreifend in aller Deutlichkeit, was jeder Motorsport-Beteiligte - ob Fahrer oder Fan - stets vor Augen haben sollte: Motorsport is dangerous. Die Gefahr fährt immer mit.

Das musst Du selbst gesehen haben!

Ich schätze, die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. So genau konnte ich das für mich an diesem einen Wochenende nicht beantworten. Dafür habe ich noch - überhaupt keine Frage - zu wenig von all dem gesehen. Und ich möchte an dieser Stelle betonen: TV-Bilder werden dem Live-Erlebnis wirklich nicht gerecht. Mein Eindruck ist: Willst Du NASCAR verstehen lernen, dann schau es Dir einmal vor Ort an.

Ein, wie ich finde, recht anschauliches Beispiel dazu: das "Banking" in den Steilkurven. Sieht im Fernsehen nicht weiter dramatisch aus. Wenn du aber als Zuschauer in Turn vier stehst und während einer Gelbphase beobachtest, wie die Autos förmlich durch die Kurve kriechen müssen - dann hast du das Gefühl, sie fallen jeden Augenblick herunter. "Steil" wird den Daytona-Kurven also kaum gerecht.


Fotos: Daytona 500, Rennen


Auch die Fannähe dieser Rennserie solltest Du einmal selbst erlebt haben. Die Identifikation mit dem jeweiligen Fahrer-Helden ist gewaltig. Bestimmt auch deshalb, weil die Piloten nicht abgeschottet sind, sondern den Kontakt zu den Zuschauern suchen (müssen). Eine sehr geschickte Strategie, die ganz offenbar ihre Früchte trägt. Die wöchentlich sehr gut gefüllten Tribünen sprechen schließlich Bände.

"Think outside the Rundstrecke"

NASCAR bietet einfach Motorsport zum Anfassen. Das ist der Eindruck, den ich während meiner Tage in Daytona gewonnen habe. Dein Fahrer, Dein Team, Dein Auto - all das kannst Du sehen und vor allem hautnah erleben. So intensiv, wie in kaum einer anderen Rennserie. Ohne Zweifel nimmt NASCAR in dieser Hinsicht eine Vorreiter-Rolle ein. Mit einer Formel, die seit Jahrzehnten funktioniert.

Alexander Trienitz, Stefan Ziegler

Alexander Trienitz und Stefan Ziegler in Turn 4 des Daytona International Speedway Zoom

Davon habe ich mich nun selbst überzeugen können. Und ich bin sehr dankbar für diese Erfahrung. Sie hat meinen Motorsport-Horizont erweitert und mir eine mir bis dato fast unbekannte Rennsport-Welt erschlossen. Und so nehme ich zum Schluss das Motto der Sonoma-Strecke auf: "Think outside the oval", heißt es dort. Für uns Europäer sollte vielleicht eher gelten: "Think outside the Rundstrecke."

Das ist, was ich aus Daytona nach Hause mitgebracht habe. Neben vielen anderen Beobachtungen, die ich hier gar nicht alle unterbringen konnte. Das Fahren unter Flutlicht zum Beispiel - genial! Oder das "Fandeck", die Aussichts-Plattform im Fahrerlager. Oder wie eine Küstenstadt in Florida lebt, was zweimal im Jahr dort Station macht: NASCAR - ein Motorsport-Gigant. Für den die Fans einfach alles bedeuten.

Besten Dank, Daytona, für eine tolle Zeit! Und auf bald...

Euer


Stefan Ziegler

PS: Folge mir bei Twitter unter @MST_StefanZ!

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