• 28.03.2011 13:42

Zeelenberg: "Jorge weiß manchmal nicht, was los ist"

Wilco Zeelenberg erklärt, inwiefern er Jorge Lorenzo im Yamaha-Werksteam unter die Arme greift und ob es bald einen zweiten Zeelenberg im Rennsport gibt

(Motorsport-Total.com) - Yamaha-Teamchef Wilco Zeelenberg zeichnet im zweiten Jahr für die Belange von Jorge Lorenzo im Werksteam verantwortlich. Genau wie Teamdirektor Massimo Meregalli kennt er den Zweiradsport auch aus der Fahrerperspektive.

Titel-Bild zur News: Jorge Lorenzo

Wilco Zeelenberg steht Weltmeister Jorge Lorenzo mit Rat und Tat zur Seite

Im Interview spricht der Niederländer über seine Rolle auf Lorenzos Seite der Box und erklärt, inwiefern ihm seine Erfahrung als ehemaliger Pilot hilft, den amtierenden Weltmeister zu unterstützen. Zudem spricht er über die Dinge, die ihn abseits der Rennstrecke beschäftigen.

Frage: "Wilco, wie fühlt es sich an, nun ins zweite Jahr im Werksteam zu starten?"
Wilco Zeelenberg: "Im Vergleich zum Vorjahr hat sich viel verändert. In meinem ersten Jahr musste ich mich zunächst einmal an das Team gewöhnen und die Leute kennenlernen. Nach einer Saison wie der letztjährigen fällt es natürlich sehr leicht, eine sehr gute Verbindung zum Fahrer und zum Team aufzubauen. Wir tauschen gegenseitig viele Informationen aus, wodurch wir noch stärker zusammenwachsen. Der Start ins Jahr 2011 war allerdings zugegebenermaßen nicht einfach, da uns die Stärke der Konkurrenz Sorgen gemacht hat."

Frage: "Inwiefern war deine Rolle im Team zu Beginn des vergangenen Jahres eine andere verglichen mit deiner Aufgabe als Teamchef des Yamaha-Supersport-Teams?"
Zeelenberg: "Das war schon ein großer Unterschied. Ich habe mich mit dem Yamaha-Motorsportchef Lin Jarvis darüber unterhalten, wie meine neue Aufgabe aussehen würde: Aus der Truppe rund um Jorge eine Einheit zu formen. Valentino Rossi auf der anderen Seite hatte seine Crew sehr gut aufgestellt, wohingegen sich die Situation auf der rechten Seite der Box etwas schwieriger darstellte. Dass der vorherige Teamchef (Masao Furusawa; Anm. d. Red.) das Team verlassen hat, kam erschwerend hinzu. Wir mussten dort ansetzten, wo Verbesserungsbedarf bestand. Es war nicht immer leicht, aber ich glaube wir haben es ziemlich gut hinbekommen und das Team im Sinne der Yamaha-Struktur auf den Fahrer zugeschnitten."

Vielseitige Aufgaben im Team

Frage: "Worin liegt deine Hauptaufgabe?"
Zeelenberg: "Das variiert. Am Rennwochenende geht es zuerst darum, die Leute im Team so schnell wie möglich auf ihren jeweiligen Positionen arbeiten zu lassen. Ramon Forcada (Lorenzos Chefmechaniker; Anm. d. Red.) ist dabei eine große Hilfe. Er hat sehr viel Erfahrung, weshalb ich mir in diesem Bereich keine großen Sorgen machen muss. Von Zeit zu Zeit frage ich ihn nach dem Stand der Dinge, wobei er stets einen guten Plan auf Lager hat. Mir ist es wichtig, in dieser Hinsicht am Ball zu bleiben. Sobald der Fahrer ein Problem meldet, stelle ich dieses heraus. Wenn ich jedoch sehe, dass sie alle dieselbe Sprache sprechen und sich das auch auf der Strecke niederschlägt, dann überlasse ich diese Aufgabe ganz dem Chefmechaniker."

Frage: "Auf welche Dinge achtest du besonders, wenn du Jorge auf der Strecke beobachtest?"
Zeelenberg: "Ich schaue mir an, an welchen Streckenteilen er verglichen mit den anderen Fahrern Probleme hat. Wenn er schnell und auch schneller als die anderen ist, dann ist es naturgemäß einfach. Sehe ich ihn irgendwo in Schwierigkeiten, greife ich dies auf und versuche, mich in die Diskussion in der Box einzubringen."

Zeelenbergs Erfahrung kommt Lorenzo zu Gute

Frage: "Woran genau machst du solche Dinge auf der Strecke fest?"
Zeelenberg: "Das ist ziemlich schwer zu erklären. Ich höre auf die Drehzahl der Motorräder wenn sie eine Kurve durchfahren. Ich achte auch auf die Schräglagen und darauf, ob Jorge die gesamte Streckenbreite braucht, um eine Kurve mit einer gewissen Geschwindigkeit zu durchfahren. Kann er mit demselben Setup Verbesserungen erzielen? Daran haperte es zu Beginn des Katar-Tests ein wenig. Der Samstag und der Sonntag waren in Ordnung, aber er war am Limit seiner Möglichkeiten. Als der Wind hinzukam, musste er das Bike stärker in die Kurven zwingen, was ihm jedoch nicht gelang. Ich konnte auf der Strecke sehen, dass er ein Motorrad benötigt, das besser einlenkt. Dieses Problem konnten wir am Montag, dem letzten Testtag beheben. Wir haben daraufhin einige Änderungen für das erste Training am Donnerstagabend vorgenommen und Jorge war sofort bei der Musik. Er fühlte sich auf Anhieb deutlich wohler auf der Maschine, das gab uns Zuversicht."

Frage: "Inwiefern kannst du dich als ehemaliger Fahrer im Team einbringen?"
Zeelenberg: "Manchmal weiß Jorge nicht genau, was vor sich geht. Ich höre mir dann seine Erklärungen an und vergleiche diese mit dem, was ich auf der Strecke beobachtet habe. In diesem Zusammenhang kann ich helfen, die Probleme an seinen Chefmechaniker Ramon weiterzugeben."

Frage: "Auf welche Rennen freust du dich in diesem Jahr besonders?"
Zeelenberg: "Ganz klar auf Jerez, weil es das erste von Jorges Heimrennen ist und wir im Vorjahr dort gewinnen konnten. Mein persönlicher Favorit ist jedoch Assen. Die vielen Zuschauer aus meinem Heimatland sorgen für eine ganz besondere Stimmung. Auf Laguna Seca freue ich mich ebenfalls. Die Strecke gehört nicht gerade zu den besten auf der Welt, aber die Atmosphäre ist großartig und der Kurs liegt in Kalifornien!"

Rennfahrerschule als Ausgleich

Frage: "Was beschäftigt dich abseits der Rennstrecke?"
Zeelenberg: "Ich betreibe seit 14 Jahren eine Rennfahrerschule. Wir versuchen, jede Altersgruppe zu schulen, angefangen bei Einsteigern bis hin zu professionellen Rennfahrern, wobei es uns vor allem um die jüngeren geht. Ich glaube, wir haben einigen durchaus helfen können und haben einige Niederländische Meister hervorgebracht. Im Moment kümmern wir uns um Raymond Schouten, der im Alter von 13 oder 14 Jahren in Cartagena bei uns begonnen hat. Der amtierende Meister der Niederländischen Superbike-Meisterschaft hat ebenfalls bei uns trainiert. Die Fahrer verbringen in der Regel eine Woche in der Schule, woraufhin wir versuchen, sie weiter zu bringen. Es ist jedesmal ein Riesenspaß in der gesamten Gruppe. Unabhängig davon, ob ein Fahrer schnell oder langsam ist, er bekommt immer die gleiche Aufmerksamkeit."

Frage: "Du hast gerade einen Lauf, mit Weltmeistern zusammenzuarbeiten: Cal Crutchlow in der Supersport-Serie und Jorge Lorenzo in der MotoGP..."
Zeelenberg: "Obwohl diese beiden Rennserien komplett verschieden sind, sprechen die Fahrer von denselben Dingen, wenn sie vom Motorrad absteigen. Wenn Jorge am Ende eines Qualifyings von der M1 steigt, sagt er dasselbe wie mein 17-jähriger Sohn, der in einer nationalen Meisterschaft antritt. Sind die Fahrer langsam, liegt es oft an den gleichen Problemen."

Vorerst kein zweiter Zeelenberg im Profirennsport

Frage: "Siehst du deinen Sohn in deine Fußstapfen treten?"
Zeelenberg: "Nein, das würde ich nicht sagen. Ihm liegt sehr viel daran, die Schule abzuschließen, was eine sehr gute Sache ist. Gleichzeitig schlägt er sich auf der Strecke sehr gut, wenn man bedenkt, wie wenig Zeit er dort verbringt. Im Moment gilt seine Konzentration mehr der Schule. Er mag Motorräder, aber darauf liegt nicht sein Hauptaugenmerk. Abgesehen davon ist er genau wie Jorge ein großer Twitter-Fan."

Frage: "Du bist bereits seit langer Zeit für Yamaha tätig..."
Zeelenberg: "Das stimmt, diese Saison ist mein zehntes Jahr bei Yamaha nach Ende meiner Fahrerkarriere. Zuvor saß ich zudem einige Jahre für Yamaha im Sattel. Ich fühle mich seit jeher sehr wohl. Sie haben mir die Möglichkeit gegeben, dem Rennsport weiterhin verbunden zu bleiben. Als ich meine aktive Karriere beendet habe, gab mir Laurens Klein Koerkamp, der Motorsportchef von Yamaha Europa, die Chance, als Technischer Berater anzufangen. Bereits zu Schulzeiten habe ich als Mechaniker gern an Motorrädern geschraubt. Die mechanische und technische Seite der Arbeit an einem Motorrad liegt mir im Blut. Ab diesem Zeitpunkt war ich einer ganzen Reihe von Meisterschaften involviert, angefangen bei nationalen Rennserien bis hin zu den Superbikes. Nachdem ich die Supersport-Weltmeisterschaft im Jahr 2009 (mit Cal Crutchlow; Anm. d. Red.) gewinnen konnte, bot sich die Möglichkeit, Jorges Teamchef in der MotoGP zu werden."