• 14.03.2024 11:27

  • von German Garcia Casanova, Übersetzung: Mario Fritzsche

Gino Borsoi im Interview: "Jorge Martins Zeit im Pramac-Team geht zu Ende"

Pramac-Teammanager Gino Borsoi spricht ausführlich über das Katar-Wochenende, über die Zukunft von Jorge Martin und über Franco Morbidelli, Marc Marquez & Co.

(Motorsport-Total.com) - In seinem ersten Jahr als Teammanager bei Pramac-Ducati führte Gino Borsoi das werksunterstützte Ducati-Satellitenteam direkt zum WM-Titel in der Teamwertung - ein Meilenstein, der bis 2023 stets den Werksteams vorbehalten war. In seiner zweiten Saison im Pramac-Team hofft Borsoi, noch einen drauf zu setzen, indem er Jorge Martin zum WM-Titel in der Fahrerwertung führt.

Titel-Bild zur News: Gino Borsoi

Gino Borsoi erklärt, warum Jorge Martin im Pramac-Team keine Zukunft hat Zoom

Das Projekt - Jorge Martin, MotoGP-Weltmeister auf Pramac-Ducati - begann am vergangenen Wochenende in Katar brillant, indem sich der Spanier im Qualifying die Pole sicherte und im Sprint den Sieg einfuhr. Im Grand Prix am Sonntag war es dann allerdings sein vermeintlich größter Konkurrent, Ducati-Werkspilot und Titelverteidiger Francesco "Pecco" Bagnaia, der souverän zum Sieg fuhr.

Dass Jorge Martin auch 2025 noch für Pramac-Ducati an den Start gehen wird, das wurde kürzlich von den Ducati-Bossen schon de facto ausgeschlossen. Aber haben Borsoi und seine Kollegen im Pramac-Team in dieser Angelegenheit gar kein Mitspracherecht?

Im Interview für die spanischsprachige Ausgabe von Motorsport.com, einer Schwesterplattform von Motorsport-Total.com im Motorsport Network, spricht Borsoi über das Katar-Wochenende und erklärt, woran er bei Jorge Martin gemeinsam mit ihm noch feilen will.

Borsoi erklärt, warum der MotoGP-Vizeweltmeister von 2023 keine Zukunft im Pramac-Team hat. Und er spricht über Franco Morbidellis erstes Wochenende im Team sowie über das Ducati-Debüt von Marc Marquez und über das MotoGP-Debüt von Pedro Acosta.

Frage: "Gino, wie fällt im Pramac-Team die Einschätzung des Katar-Wochenendes in Bezug auf Jorge Martin aus?"

Borsoi: "Das Wochenende war sehr gut, angefangen mit dem Qualifying, das perfekt war und in dem er eine spektakuläre Zeit [neuen Streckenrekord] hingelegt hat, bis hin zum Sprint, den er trotz der Probleme, die wir mit dem Motorrad hatten, gewonnen hat. Am Samstagnachmittag hatten wir das Motorrad eigentlich noch nicht so weit, dass man damit ein Rennen, wie er es gezeigt hat, fahren konnte."

"Trotz aller Probleme fuhr er entgegen der Annahme zum Sieg. Uns war klar, dass wir leiden würden, aber er hat das Wunder vollbracht, die Probleme zu umfahren. Er war am Samstagnachmittag ein Künstler auf einem Motorrad, das zu diesem Zeitpunkt nicht sehr gut war."

"Am Sonntag hatten wir nicht dieselben Probleme wie am Samstag. Ich würde sagen, sie waren viel kleiner. Aber er konnte nicht vom ersten Moment an angreifen, weil wir es aufgrund des Vibrationsproblems und des Reifenverschleiß vorsichtig angehen lassen wollten. Wir waren regelrecht in Alarmbereitschaft."

Jorge Martin

Im Sprint wuchs Jorge Martin über sich hinaus - im Grand Prix wurde er besiegt Zoom

"Dieses Übermaß an Vorsicht hat ihn in der ersten Runde daran gehindert, gegen Bagnaia zu kämpfen. 'Pecco' hatte einen sehr guten Start und kümmerte sich nicht so sehr um die Reifen. Wir hingegen waren sehr konservativ. Ich glaube, dass wir dadurch unsere Chance verloren haben, um den Sieg zu kämpfen."

Warum Pramac-Ducati am Katar-Sonntag (zu) vorsichtig war

Frage: "War diese 'konservative' Einstellung eine Entscheidung des Fahrers? Oder war sie Teil der Strategie des Teams?"

Borsoi: "Es war eine Entscheidung des Teams. Wir haben das sowohl am Samstag nach dem Sprint als auch am Sonntagvormittag gründlich geprüft. Man schaut sich die Daten zum Reifenverschleiß an und erstellt daraus eine Prognose. Wir wussten, dass der Reifen nicht durchhalten würde, wenn wir das gleiche Tempo wie im Sprint anschlagen würden."

"Der Sonntag hat uns gezeigt, dass diese Einschätzung richtig war, aber es kamen andere Faktoren ins Spiel. Die Moto3- und Moto2-Rennen haben die Vorhersagen zum Reifenverschleiß beeinflusst. Das ist etwas, was wir lernen müssen, denn der Pirelli-Reifen ist ein weicherer Reifen. Er hinterlässt anderen Gummi und ein anderes Gripniveau als der Dunlop-Reifen im vergangenen Jahr."

"Zudem hatte es am Freitagabend auch noch geregnet. Das hatte zur Folge, dass wir die Auswirkungen der Reifen der anderen Klassen nicht so einschätzen konnten wie wir es nach deren beiden Rennen am Sonntag konnten."

2023 fehlte es Jorge Martin an Details

Frage: "Es ist unbestritten, dass Jorge Martin zweimal in den Top 3 ins Ziel gekommen ist und Dritter in der WM ist. Das ist ein tolles Ergebnis. Aber sein eigener Eindruck am Sonntag war trotzdem ein wenig ernüchternd. Setzt er sich womöglich zu sehr unter Druck?"

Borsoi: "Jorge hat keinen Druck, und vom Team noch weniger, null. Er hat sich im Vergleich zu 2023 verbessert. Er hat körperlich und geistig stark an sich gearbeitet. Ich finde, er ist ein Jorge, der jetzt alle Aspekte der Vorbereitung abdeckt, auch auf einer, sagen wir mal, mentalen Ebene. Körperlich war er schon im vergangenen Jahr bestens vorbereitet. Es fehlte ihm vielleicht nur noch das gewisse Etwas."

"Aber wir sind sicher, dass er sich im Vergleich zum vergangenen Jahr verbessern wird. Damals hat er ja schon gezeigt, dass er der Schnellste in dieser Klasse ist. Es fehlten ihm nur Details, an denen wir jetzt zu feilen versuchen. Ich sehe ihn sehr ruhig. Das Ergebnis am Sonntag, wie überhaupt das ganze Wochenende, war sehr gut. Wir müssen bedenken, dass es eine sehr lange Saison ist und wir keine Fehler machen dürfen."

"Vergangenes Jahr hatten wir beim Saisonauftakt in Portimao einen großartigen Samstag. Der Sonntag hatte dann einen Beigeschmack (eine unverschuldete Berührung mit Marc Marquez zu Beginn und dann, auf seiner Aufholjagd, ein Sturz sechs Runden vor Schluss an zehnter Stelle fahrend; Anm. d. Red.)."

Start zum GP Portugal 2023 in Portimao: Jorge Martin führt

Hat Martin den WM-Titel 2023 direkt beim Saisonauftakt in Portimao vergeben? Zoom

"Wenn er das Rennen damals als Achter oder Neunter beendet hätte, dann hätten wir ein paar sehr wertvolle Punkte eingefahren, die ihm am Saisonende vielleicht etwas mehr Spielraum in seinem WM-Kampf gegen 'Pecco' gegeben hätten."

Frage: "Als Bagnaia nach dem Rennen am Sonntag in Katar sagte, dass sie bei Ducati 'im Stillen arbeiten', wie wurde das von Pramac interpretiert? Gibt es ein Psychoduell?"

Borsoi: "Es gibt keine Kontroverse, weder mit 'Pecco' noch mit der roten Seite des Ducati-Teams. Offensichtlich, und das haben sie schon oft gezeigt, können sie für Sonntag noch zulegen. Das ist etwas, was wir studieren und lernen müssen. Meistens beginnen sie die Wochenenden mit vielen Schwierigkeiten, aber je näher der Sonntag rückt, desto besser werden sie."

"Das ist etwas, was wir verstehen müssen, denn nach einem für sie so schwierigen Freitag haben sie es trotzdem geschafft, das Rennen zu gewinnen. Wenn wir in der Lage sind, das auch zu tun, indem wir einen so soliden Freitag und Samstag haben, wie Jorge es immer hat, dann wären wir am Sonntag noch stärker. Die andere Möglichkeit wäre, die Dorna zu bitten, die Sonntage zu streichen (lacht; Anm. d. Red.)."

Warum Jorge Martin bei Pramac keine Zukunft hat

Frage: "Motorsport.com hat kürzlich Aussagen des inzwischen ehemaligen Ducati-Sportdirektors Paolo Ciabatti und von dessen Nachfolger Mauro Grassilli veröffentlicht. Beide stimmen überein, dass die Strategie des Werks in Bologna darin besteht, das Pramac-Team wieder in ein Nachwuchsteam zu verwandeln, mit jungen Fahrern und niedrigen Gehältern. Beide sagen, dass das aktuelle Jahr für Martin sein letztes im Pramac-Team ist. Aber ihr habt doch bei all dem auch ein Mitspracherecht, oder etwa nicht?"

Borsoi: "Wir sind natürlich ein Teil eines Ducati-Projekts. Das Pramac-Team wurde erschaffen, um das Juniorteam zu sein, oder das Team, welches Youngster oder Fahrer mit einer gewissen Erfahrung durchlaufen, um bewertet zu werden. Wenn sie das Zeug haben, dann würden sie in das Werksteam aufsteigen."

"So wurde das Pramac-Team einst geboren. Und ich verstehe, dass das immer noch der Geist und der Grund ist, dass wir diese großartige Verbindung mit Ducati haben und dass wir Werksmotorräder bekommen."

"Heißt das, dass Martin im nächsten Jahr nicht mehr Teil des Projekts sein wird? Ich persönlich denke, dass Jorges Zeit im Pramac Team, ob es einem nun gefällt oder nicht, zu Ende geht. Er ist seit so vielen Jahren bei uns, hat seine MotoGP-Karriere in diesem Team begonnen. Jetzt sind wir im vierten Jahr. Der nächste Schritt muss für ihn ein Werksteam sein, sei es Ducati oder welches auch immer."

"Jorge beweist wieder und wieder, dass er einer der Schnellsten ist, vielleicht sogar der Schnellste oder gleichauf mit 'Pecco'. Er verdient es, abgesehen von einer großartigen Saison mit uns in diesem Jahr, im nächsten Jahr für ein Werksteam zu fahren. So schön und interessant es für einen Pramac-Piloten auch ist, ein Werksmotorrad von Ducati und eine besondere Verbindung zum Hersteller zu haben."

Jorge Martin

Für welches Team wird Jorge Martin in der Saison 2025 an den Start gehen? Zoom

Frage: "Ist das Verhältnis zu Mauro Grassilli so gut wie es zu Paolo Ciabatti war?"

Borsoi: "Ich persönlich habe ein sehr gutes Verhältnis zu beiden. Ciabatti ist ein Gentleman, ein großartiger Mensch. Er hat uns in all den Jahren sehr geholfen. Wir haben all die Jahre perfekt zusammengearbeitet."

"Grassilli habe ich erst vor kurzem kennengelernt, aber ich habe gesehen, dass er ganz ähnlich ist. Ich arbeite gerne mit ihm zusammen, er ist sehr vernünftig und ausgeglichen. Ich glaube, wir werden genauso gut arbeiten können wie mit Paolo."

Morbidellis Ducati-Debüt "weit über den Erwartungen"

Frage: "Franco Morbidelli konnte nach seiner Verletzung, die ihn die Wintertestfahrten gekostet hat, am Wochenende endlich sein Debüt auf der Ducati geben. Was können Sie über ihn sagen?"

Borsoi: "Die Gesamtbilanz von Morbidellis Wochenende ist sehr positiv, weit über den Erwartungen. Es war für ihn die Premiere auf einer Ducati. Den Dienstag in Valencia kann man aufgrund der Umstände nicht zählen."

"Der erste richtige Test für ihn war der Freitag in Katar, als alle anderen schon fünf Testtage hinter sich hatten und allesamt schon ihre Abstimmung, ihren Speed und ihre Gelassenheit hatten, weil sie zuvor schon so viel gefahren sind."

"Bei Franco war es so, dass er jedes Mal, wenn er auf die Strecke ging, neue Dinge entdeckt hat. Er ist wie ein Kind, das gerade zu laufen beginnt. Er hat keine Fehler gemacht. Am Samstag lag er 24 Sekunden hinter dem Sieger."

Franco Morbidelli

Für Franco Morbidelli war das Katar-Wochenende das Debüt auf der GP24 Zoom

"Aber am Sonntag, als es doppelt so viele Runden waren, kam er auf den gleichen Abstand. Das bedeutet, dass er sich mit vielen weiteren Runden um eine Sekunde pro Runde gesteigert hat. Er versteht mehr und mehr, was er braucht und was er mit diesem Motorrad ausrichten kann."

Frage: "Ducati hat Fermin Aldeguer verpflichtet, um 2025 für Pramac zu fahren, richtig?"

Borsoi: "Nun, Ducati hat Aldeguer unter Vertrag genommen. Von da an ist es eine Frage, wo Ducati ihn einsetzen will."

Frage: "Aber Sie würden Fermin gerne nächstes Jahr im Pramac-Team haben, nicht wahr?"

Borsoi: "Natürlich."

Wie Gino Borosi über Pedro Acosta und Marc Marquez denkt

Frage: "Wie fanden Sie das MotoGP-Debüt von Pedro Acosta?"

Borsoi: "Wir wussten bereits, dass er unglaublich ist. Im Rennen hat er das gezeigt. Er tat, was er tun musste. Er griff vom ersten Moment an voll an, um zu verstehen, was MotoGP ist, um zu verstehen, wie es ist, gegen die besten Fahrer der Welt zu kämpfen."

"Er fuhr in der Spitzengruppe mit. Er konnte sehen, wie Marquez fährt, er konnte sehen, wie Jorge fährt, die Besten. Ab Mitte des Rennens bis zum Ende hat er gelitten, weil er noch lernen muss, wie man sich die Reifen einteilt und wie man sich an diese Rennklasse mit den stärkeren und schwereren Motorrädern anpasst."

"Ich kann mir vorstellen, dass er körperlich ein bisschen mehr gelitten hat. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass der ganze Stress und der Druck, diese Kategorie in einem so langen Rennen zu verstehen, zur Folge haben, dass man kleine Fehler macht. Wenn man das überhaupt so sagen kann, weil es ihm einfach noch an Erfahrung fehlt."

"Zusammenfassend kann ich sagen, dass er getan hat, was er tun musste: angreifen und genießen. Ich glaube, dass wir es sehr bald erleben werden, wie er da vorne um Größeres kämpft."

Frage: "Und was sagen Sie zu Marc Marquez' Debüt auf der Ducati?"

Marc Marquez, Pedro Acosta

Pedro Acosta kämpfte bei seinem MotoGP-Debüt direkt gegen Ducati-Neuling Marc Marquez Zoom

Borsoi: "Ich denke, er hat ein mehr als intelligentes Wochenende gezeigt. Nach und nach entdeckt er das Motorrad, versteht es und macht keine Fehler. Was willst du Marc auch sagen? Ich jedenfalls kann ihm nichts sagen. Er weiß unendlich viel besser als ich, wie er mit dieser Situation umgehen muss."

"Ich glaube, dass Marc einen Plan hat und dass er nicht vom ersten Moment an hundertprozentig gepusht hat. Er will erst alle Geheimnisse dieser Ducati entdecken. Schließlich ist sie für ihn ein völlig neues Motorrad, ganz anders als das, was er bisher gewohnt war."

"Ich verstehe, dass es am klügsten ist, das Motorrad ins Ziel zu bringen, Informationen zu sammeln und Schritt für Schritt voranzukommen. Aber ich sage es noch einmal: Niemand weiß besser als er, wie man mit dieser Situation umgehen muss."

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