Flag-to-Flag-Rennen in der MotoGP: Die wichtigsten Fragen und Antworten
Wie Flag-to-Flag-Rennen in der Königsklasse der Motorrad-WM funktionieren und wie die Verantwortlichen bei Regen vorgingen, bevor diese Regelung eingeführt wurde
(Motorsport-Total.com) - Regen war schon immer ein unberechenbares Element in der Motorrad-WM. Nicht alle Fahrer fühlen sich auf nassem Asphalt wohl, und manchmal, wenn das Wetter unerwartet umschlägt, kann sich der Rennverlauf völlig ändern.

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Fabio Quartararo beim Bikewechsel in Le Mans 2021 Zoom
So werden die Karten in einem Regenrennen seit jeher neu gemischt, da die Favoriten oft weniger riskieren und die Außenseiter in der Regel alles geben, um ihre Chance zu nutzen.
Bis zur Einführung der sogenannten Flag-to-Flag-Regelung unterlagen MotoGP-Rennen bei Regen einer gewissen Willkür, ob sie abgebrochen oder fortgesetzt werden sollten. Mit der Flag-to-Flag-Regel hat sich das geändert, denn jetzt wird der Wettbewerb auch bei Regen nicht unterbrochen, sondern geht weiter.
Wir erläutern in diesem Text, wie Flag-to-Flag-Rennen in der MotoGP funktionieren und wie die Verantwortlichen bei Regen vorgingen, bevor diese Regelung eingeführt wurde.
Was geschah früher bei Rennen, wenn es regnete?
Wenn ein Rennen bei Regen begann, akzeptierten alle Fahrer, dass sie unter diesen Bedingungen fahren mussten. Es gab keine Diskussionen. Regenreifen wurden montiert und es ging los. Wenn es aber mitten in einem Rennen, das unter trockenen Bedingungen stattfand, zu regnen begann, musste abgebrochen werden.
Der Zeitpunkt der Unterbrechung war jedoch in vielen Fällen umstritten, denn es gestaltete sich meist kompliziert, die richtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt zu treffen.
Es gab sogar Fälle, in denen selbst ein gewaltiges Unwetter den Rennleiter nicht dazu brachte, abzubrechen. Ein Beispiel ist der Grand Prix von Finnland 1982, der auf dem Stadtkurs von Imatra ausgetragen wurde und komplett im Regen stattfand.
Die Fahrer passten sich der Situation zunächst an. Aber das Unwetter verstärkte sich während des 350-ccm-Rennens so sehr, dass Anton Mang, der das Rennen anführte, an der Ziellinie anhielt und den Rennleiter bat, das Rennen zu unterbrechen.
Dieser weigerte sich allerdings und Mang hatte keine andere Wahl, als das Rennen fortzusetzen, die vorgeschriebene Renndistanz zu absolvieren und schließlich zu gewinnen.
Mit der Zeit einigte man sich darauf, dass die Fahrer selbst durch Heben der Hand anzeigen konnten, wenn das Rennen abgebrochen werden sollte, weil der einsetzende Regen es zu gefährlich machte. Sie wurden zwar nicht immer beachtet, aber es wurde mit der Zeit zu einem etablierten und anerkannten Zeichen.
Was passierte, wenn ein Rennen wegen Regen abgebrochen wurde?
Ab den 80er Jahren gab es zwei Möglichkeiten: Konnte das Rennen nicht neu gestartet werden und waren weniger als 50 Prozent der Renndistanz zurückgelegt, wurde nur die Hälfte der Punkte vergeben. Konnte das Rennen neu gestartet werden, wurde die für die Renndistanz erforderliche Anzahl von Runden zurückgelegt, und die Zeiten der beiden Rennen wurden zur Ermittlung der Rangliste addiert.
Es war also möglich, dass ein Fahrer, der zu keinem Zeitpunkt des Rennens in Führung lag, aufgrund der aufsummierten Gesamtzeiten zum Sieger erklärt werden konnte.
Das Addieren der Zeiten wurde noch bis zu den MotoGP-Zeiten so gehandhabt. Dann erkannte man, dass dies keine faire oder realistische Situation war, weil es vorkam, dass der Fahrer, der die Ziellinie im zweiten Rennen als Erster überquerte, am Ende nicht der Sieger war. Das führte natürlich zu Verwirrung.
So erging es Carlos Checa beim Grand Prix von Spanien 2000, als er das zweite Rennen "gewann", Kenny Roberts jun. jedoch aufgrund der Gesamtzeiten zum Sieger erklärt wurde.
Das Reglement wurde dahingehend geändert, dass bei der Unterbrechung eines Rennens dieses über die verbleibende Distanz neu gestartet wird, bis die Gesamtzahl der Rennrunden erreicht ist, und dass am Ende nur das Ergebnis dieses zweiten Rennens für die Wertung zählt und alle Punkte vergeben werden.
Es stellte sich jedoch bald heraus, dass dies unter bestimmten Umständen ebenfalls keine angemessene Lösung war. So musste der Grand Prix von Italien 2004 in der 17. von 23 geplanten Runden wegen Regens unterbrochen werden. Er wurde für nur 6 Runden neu gestartet, um die volle Distanz zu erreichen.
Doch es war ein seltsames und gefährliches Rennen - wegen der Sprintdistanz und nassen Stellen auf der Strecke. Im Ergebnis zählte nur das Kurzrennen, das Valentino Rossi gewann.
Die Verantwortlichen der Meisterschaft suchten weiterhin nach einer fairen Formel, die es ermöglichte, das Rennen trotz der wechselnden Wetterbedingungen normal durchzuführen. So wurde 2005 die Flag-to-Flag-Regel eingeführt.
Was sind Flag-to-Flag-Rennen?
Flag-to-Flag-Rennen (d.h. von der Start- bis zur karierten Flagge) sind ein spezielles Format in der MotoGP, das bei wechselhaften Wetterbedingungen zum Einsatz kommt. Es ermöglicht den Fahrern, während des Rennens ihre Motorräder zu wechseln, um sich an die Bedingungen anzupassen, ohne das Rennen zu unterbrechen.
Das System wird nur in der MotoGP angewandt, da dies die einzige Kategorie ist, in der es zwei Motorräder pro Fahrer gibt. Als es in Kraft trat, hatten die 125cc- und 250cc-Fahrer zwar noch jeweils zwei Maschinen, aber man war der Ansicht, dass es aus Sicherheitsgründen nur in der MotoGP eingeführt werden sollte.
Wann kommt das Flag-to-Flag-Format zum Einsatz?
Die Flag-to-Flag-Regel greift, wenn sich während eines Rennens die Wetterbedingungen drastisch ändern, insbesondere bei plötzlichem Regen auf einer zuvor trockenen Strecke oder umgekehrt. Denn das macht es gefährlich, mit derselben Bereifung und Abstimmung weiterzufahren, die zu Beginn des Rennens gewählt wurden.
Das Verfahren ist sehr einfach. Wenn es in einem vorab als trocken deklarierten Rennen ("Dry Race) zu regnen beginnt, zeigen die Streckenposten zunächst die weiße Flagge mit einem roten Kreuz, um auf das Vorhandensein von Regen hinzuweisen.
Wenn die Rennleitung der Meinung ist, dass die Asphaltbedingungen nicht mehr mit denen eines Trockenrennens übereinstimmen, wird die weiße Flagge gezeigt, was die Erlaubnis signalisiert, an die Boxen zu fahren, um das Motorrad zu wechseln.
Die Teams haben das zweite Motorrad in ihrer Garage mit Regenabstimmtung und Regenreifen bereits vorbereitet. Die Fahrer wechseln nach eigenem Ermessen, wenn sie es für notwendig erachten. Es gibt keine Zeitbegrenzung oder Mindestanzahl an Runden, die sie vor dem Wechsel fahren müssen. Das Rennen findet ohne weitere Änderungen und unter Einhaltung der ursprünglichen Distanz statt.
Im umgekehrten Fall, also wenn das Rennen als Regenrennen ("Wet Race") gestartet wird, ist das Procedere ähnlich, nur braucht es hier keine weiße Flagge, um die Erlaubnis zum Bikewechsel zu geben. Den Fahrern steht es frei, das Motorrad jederzeit zu wechseln - am besten, wenn die Strecke trocken genug für Slicks ist.
Wichtige Regeln und Sicherheitsmaßnahmen
Zwei vorbereitete Motorräder: Jedes Team muss zwei Motorräder für jeden Fahrer bereitstellen. Eines ist für trockene Bedingungen (mit Slick-Reifen) und das andere für nasse Bedingungen (mit Regenreifen) konfiguriert.
Boxengasse: Der Boxenstopp und der Motorradwechsel müssen in der Boxengasse erfolgen. Das Team muss schnell und effizient arbeiten, um den Wechsel in kürzester Zeit zu ermöglichen. Der Fahrer darf seine Box nur in einem vordefinierten Korridor einsteuern, gekennzeichnet durch ein Schild mit der Startnummer.
Geschwindigkeit in der Boxengasse: Die Fahrer müssen sich an die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit in der Boxengasse halten, um die Sicherheit zu gewährleisten.
Reifenwahl: Es liegt in der Verantwortung der Teams und Fahrer, die richtige Reifenwahl zu treffen, basierend auf den aktuellen Wetterbedingungen und der Streckentemperatur.
Vorteile und Herausforderungen
Flexibilität: Das Flag-to-Flag-Format bietet den Teams und Fahrern die Flexibilität, sich an wechselnde Wetterbedingungen anzupassen, ohne dass das Rennen wie vor der Regel unterbrochen und anschließend neu gestartet werden muss.
Strategie: Die Entscheidung, wann der Fahrer zum Motorradwechsel in die Box fährt, kann rennentscheidend sein. Ein zu früher oder zu später Wechsel kann den Fahrer Zeit und Positionen kosten. Es kommt aus das richtige Timing an.
Risiko: Der Wechsel selbst birgt Risiken, da Fehler beim Wechsel oder eine schlechte Reifenwahl die Leistung und Sicherheit des Fahrers beeinträchtigen können.
Wann fand das erste Flag-to-Flag-Rennen in der MotoGP statt?
Das erste Mal wurde dieses neue System beim Grand Prix von Frankreich 2006 in Le Mans angewandt, den Marco Melandri gewann. Seitdem kam das Verfahren bei mehreren Gelegenheiten angewandt, was jedoch nicht verhindert hat, dass extreme Witterungsbedingungen gelegentlich eine Unterbrechung erzwangen.
So musste das Rennen in Sepang 2012 in der 14. Runde abgebrochen werden, weil der Regen zu stark wurde und auch einen Neustart verhinderte. In Assen 2016 kam es ebenfalls zum Abbruch. Hier verbesserten sich die Bedingungen aber ausreichend, um das Rennen für die verbleibenden zwölf Runden neu zu starten.
Oft hat sich gezeigt, dass Flag-to-Flag-Rennen sehr spannend und dramatisch verlaufen können. Ein Beispiel ist der Grand Prix von Deutschland 2016, bei dem Marc Marquez durch einen perfekt getimten Wechsel von Regenreifen auf Slicks gewann.


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