Hofmann: Was den "neuen" Cortese ausmacht

TV-Experte Alex Hofmann spricht über den neu entfachten Kampfgeist von Sandro Cortese und dessen WM-Chancen in der Moto3: "Jetzt oder nie!"

(Motorsport-Total.com) - Dass Stefan Bradl nach seinem Titelgewinn in der Moto2 und dem Aufstieg in die MotoGP in dieser Saison nicht um den Weltmeistertitel würde fahren können, war allen Motorrad-Fans vor Beginn der Saison klar. Dennoch könnte es in dieser Saison wieder einen deutschen Weltmeister geben, und zwar einen, dem es viele gar nicht mehr zugetraut hatten. Denn Sandro Cortese drohte in der 125ccm-Klasse als ewiges Talent zu enden.

Titel-Bild zur News: Sandro Cortese

Sandro Cortese zeigt 2012 auch auf der Rennstrecke den richtigen Biss

Seit 2005 fuhr der heute 22-Jährige in dieser Klasse, und 108 Rennen lang ließ er zwar hier und dort sein Talent aufblitzen, einem Sieg fuhr der Schwabe mit italienischen Wurzeln aber hinterher. Vor fast genau 12 Monaten läutete ausgerechnet das enttäuschende Heimrennen am Sachsenring die Wende ein. "Das war ein Katastrophen-Wochenende für ihn", erinnert sich TV-Experte Alex Hofmann im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'.

"Er tut gut daran, die Ellenbogen herauszuholen." Alex Hofmann

"Ich weiß noch, wie seine Freunde, Stefan und wir auf ihn eingeredet haben. Wir haben ihm klar gemacht, dass er sich für seine Zukunft entscheiden muss. Das Rennen war richtungweisend für ihn. Er musste sich entscheiden, ob er ein Mittelmaßfahrer bleiben möchte oder seinen Weg gehen möchte", sagt Hofmann. Die "Kopfwäsche" war erfolgreich. "Dann kam Brünn. Nach der langen Pause hatte er einen frischen Kopf", erinnert sich Hofmann. Plötzlich entwickelte der vorher oft brav wirkende Cortese einen ungeahnten Kampfgeist.

Vom Mittelmaß zum Weltmeister?

Sandro Cortese

Sandro Cortese an der Spitze: 2012 ein gewohntes Bild Zoom

"Es war das erste Mal, dass er die Ellenbogen richtig ausgepackt hat", sagt Hofmann. Und das mit Erfolg: Im 109.Anlauf gelang Cortese der erste Sieg in der Motorrad-WM. In den weiteren Saisonrennen folgten zwei weitere Podiumsplatzierungen und ein zweiter Sieg in Australien. Der Knoten war geplatzt. "Er hat gezeigt, dass er diese Chance nutzen, weiter fahren und irgendwann auch um den WM-Titel kämpfen möchte - das hat er 2011 kapiert", glaubt Hofmann. "Jetzt hat er realisiert, dass die Sterne günstig stehen. Jetzt oder nie!"

Der 32-Jährige glaubt, dass Cortese in den Vorjahren oft unter Wert geschlagen wurde. "In den letzten Jahren kam immer wieder ein junges Talent, dadurch wurde Sandro übersehen. Wenn man ein Rennfahrer-Leben lang seine Ellenbogen drin lässt, dann kommt Jahr für Jahr jemand, der dir auf der Nase herumtanzt - das weiß er." Für Hofmann ist sein Landsmann ein "Riesentalent", wenn auch "kein Ausnahmetalent, wie ein Stoner oder ein Lorenzo. Er ist ein Talent, dem ich einen WM-Titel zutraue. Er wird nicht sieben oder acht Mal Weltmeister werden. Das ist auszuschließen. Er weiß aber, dass dieses Jahr sein Jahr werden kann. Er tut gut daran, die Ellenbogen herauszuholen."

Beim Einsatz der Ellenbogen übertreibt es der KTM-Pilot nach Meinung einiger Beobachter in dieser Saison jedoch hin und wieder. Vor allem in Assen war das Zweikampfverhalten gegen seinen Teamkollegen Danny Kent in der Schlussphase nach Ansicht von MotoGP-Weltmeister Casey Stoner grenzwertig. "Er ist schon in Portugal aggressiv gegen Vinales gefahren. Ich dachte mir, okay es ist einmal passiert. Er hat Danny aber mehrmals berührt", sagt der MotoGP-Star. "Ich glaube, man muss mit ihm reden, dass er etwas mehr Platz lassen soll."

"Du bist voller Adrenalin und hast auch irgendwann die Schnauze voll." Alex Hofmann

Auch Hofmann beurteilt die Szene ähnlich: "Das Manöver war hart. Es hätte auch schief gehen können." Allerdings kann der ehemalige Rennfahrer nachvollziehen, dass Cortese verbissen um den Sieg gekämpft hat: "Ich mache Sandro aber keinen Vorwurf. Du bist voller Adrenalin und hast auch irgendwann die Schnauze voll und wirst aggressiv. Das Hirn schaltet da zwangsläufig auch mal aus. Wir sind froh, dass es gut gegangen ist."

Konstanz als Schlüssel zum Erfolg

Sandro Cortese

Der Zweikampf mit Teamkollege Danny Kent erhitzte in Assen die Gemüter Zoom

Den neue, aggressiven Fahrstil kombiniert Cortese in dieser Saison in der neuen Moto3-Klasse mit einer bemerkenswerten Konstanz. Mit Ausnahme des Regenrennens in Frankreich stand der Deutsche bei jedem Grand Prix auf dem Podium. Nach dem Sieg in Portugal war der Triumph beim Heimrennen auf dem Sachsenring der vorläufige Höhepunkt in der Karriere des Sandro Cortese. So kann sich das Blatt innerhalb von zwölf Monaten wenden. Mit 164 Punkten führt der 22-Jährige die WM-Wertung an.

Für Hofmann ist damit klar, dass KTM im Kampf um dien ersten Titel in der neuen Klasse voll auf die Karte Cortese setzen muss, vor allem im Vergleich mit seinen Teamkollegen: "Mit einem Blick auf die WM-Tabelle wird das klar. Danny Kent ist schnell, fährt auch hier und da ums Podium, kann es aber noch nicht regelmäßig umsetzen. Über Arthur Sissis brauchen wir in dessen Rookie-Jahr noch nicht reden. Er soll Erfahrungen sammeln und dabei möglichst viele Punkte einfahren. Sandro ist die Nummer eins! KTM wird auf ihn setzen."

"Sandro ist die Nummer eins!" Alex Hofmann

"Zur Halbzeit kristallisiert sich heraus, wer um die WM fährt. Dann wird auch der Teamchef seine Fahrer auffordern, das Hirn einzuschalten", meint Hofmann. "Ich bin mir sicher, dass es in diesem Jahr nicht wieder so wird wie in Assen. KTM kennt sich damit aus, wie es ist, wenn sich Teamkollegen nicht einig sind. Sie haben schon erlebt, wie es ist, wenn zum Saisonende wenige Punkte zum WM-Titel fehlen. Ich bin mir deshalb sicher, dass sie in dieser Saison recht früh ein Machtwort sprechen werden."