Wurz und der Simulator: "Musste die ganze Nacht kotzen"
Michael Schumacher wird im Simulator übel, doch er ist nicht der einzige: Alexander Wurz über die mysteriöse Simulator-Krankheit und eigene Erfahrungen
(Motorsport-Total.com) - Michael Schumachers mäßige Comebacksaison wirft viele Fragen auf: Ist der Rekord-Weltmeister zu alt, die Konkurrenz zu gut, oder liegt es gar daran, dass er eines der wichtigsten Werkzeuge aktueller Formel-1-Piloten, den Simulator, nicht nutzen kann? Im vergangenen Jahrzehnt ist es durch die immer radikaleren Testbeschränkungen üblich geworden, große Teile der Abstimmungs- und Testarbeit in den Hightech-Simulatoren der Rennställe durchzuführen. Der Pilot sitzt dabei in einem Chassis, das auf einer beweglichen Plattform befestigt ist, und testet auf computergenerierten Rennstrecken.
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Anerkannt guter Tester: Auch Alexander Wurz hatte im Simulator seine Probleme
Das Problem: Wenn Schumacher über einen längeren Zeitraum im Simulator sitzt, dann stellt sich bei ihm Übelkeit ein. Das hat Mercedes inzwischen sogar offiziell bestätigt. Von erheblichen Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit Schumachers will man aber nichts wissen: Der 42-Jährige und seine Ingenieure sollen die technische Einrichtung so effektiv nutzen, dass er dadurch keinen Nachteil gegenüber seinem Teamkollegen Nico Rosberg habe, der längere Zeiträume im Simulator verbringen kann.
Doch woran leidet Schumacher genau? Was ist diese mysteriöse Simulator-Krankheit? Keine Seltenheit, wissen Experten. Kampfjet-Piloten klagen darüber regelmäßig, auch Ex-Formel-1-Pilot Martin Brundle kennt das Problem: "Formel-1-Simulatoren sorgen bei vielen Leuten dafür, dass sie sich krank fühlen - das gilt auch für mich. Scheinbar gewöhnt man sich aber daran - ich glaube es hängt davon ab, wie die Augen und der Gleichgewichtssinn des inneren Ohres verbunden sind."
Wurz: Sogar der Air-Force-Arzt musste aushelfen
McLaren leistete einst Pionierarbeit in Sachen Simulator: Teamchef Martin Whitmarsh, der vor seiner McLaren-Zeit für British Aerospace arbeitete, brachte die Technologie der Flugsimulatoren in die Formel 1 - der Testpilot der bahnbrechenden Entwicklung war damals Alex Wurz, der sich gegenüber 'Motorsport-Total.com' mit Bauchweh an die ersten Tage zurück erinnert: "Mir ist es speiübel geworden. Das nennt sich Motion Sickness, ist so etwas wie die Seekrankheit. Die meisten Fahrer haben das nach einem Simulatortraining - auch 50 Prozent der erlesenen Leute, die den Simulator in Aktion sehen dürfen, wird von dieser Erfahrung schlecht. Ich musste einmal die ganze Nacht kotzen."
Damit Wurz wieder auf die Beine kam, musste sogar ein Spezialist ausrücken: "Erst nach einem Spezialprogramm, das ein Arzt von der Air Force bei mir durchgeführt hat, ging es mir wieder besser." Wurz ist inzwischen ein wahrer Simulatorexperte - er erklärt, warum der menschliche Körper so empfindlich auf das virtuelle Rennfahren reagiert: "Wenn ich im Simulator die Start-Ziel-Gerade von Barcelona entlangfahre, dann sagt das Auge dem Körper, dass ich mich fortbewege. Doch der Körper bemerkt, dass das nicht der Fall ist - der Kopf ist dadurch verwirrt. Das bringt alles durcheinander."
Wie der Simulator funktioniert, was er bringt
Doch was unterscheidet einen Formel-1-Simulator von einem Rennspiel auf der Playstation? Einiges, auch wenn Spieleentwickler immer wieder das Gegenteil behaupten. Im Gegensatz zu einem normalen Bildschirm verfügen Formel-1-Simulatoren oft über eine 180-Grad-Leinwand, die für einen ungleich realistischeren visuellen Eindruck sorgt. Außerdem habe sich "der Kopf längst an den Bildschirm gewöhnt", sagt Wurz. Was hinzukommt, sind die Bewegungen des Autos, die simuliert werden, damit der Fahrer realistisch reagiert.
"Das Auto ist auf einer Plattform befestigt und bewegt sich dadurch", weiß Wurz. "Es muss die Fliehkräfte aber nicht eine ganze Kurve hindurch simulieren und dir das Gefühl von 4 g geben. Die Fliehkräfte sind nur beim Einlenken wichtig, damit man ein Gefühl für Übersteuern oder Untersteuern entwickelt."
Auch Pedro de la Rosa, der den McLaren-Simulator gemeinsam mit Wurz entwickelte, berichtet gegenüber 'auto motor und sport' über leidvolle Erfahrungen: "Es ist Schwerstarbeit, auch im Kopf. Einmal war ich so groggy, dass ich die Tür in die falsche Richtung aufmachen wollte." Dennoch ist die Technologie unverzichtbar, bestätigt Wurz: "Mit dem Simulator kannst du Radaufhängungs-Geometrien, Gewichtsverteilung, Aerodynamikentwicklungen bis hin zu Abstimmungen austesten. Du kannst herausfinden, wie sich ein Reifen verformt oder bewegt."
Davidson entwickelt Mercedes-Simulator
Und damit wären wir beim springenden Punkt: Schumacher klagte die gesamte Saison darüber, dass er mit der Charakteristik der Bridgestone-Reifen nicht zurecht kommt. Hätten ihm Testfahrten im Simulator über dieses Problem hinweggeholfen? Teamchef Ross Brawn bejaht gegenüber 'auto motor und sport': "Wahrscheinlich. Er hätte sich mehr in das Verhalten der Reifen hineinarbeiten können."
Doch Brawn sieht den Fehler nicht bei seinem Spitzenpiloten, schließlich besitze man laut eigenen Angaben gar keinen Simulator, der dies erlaubt: "Er befindet sich gerade im Aufbau, wird aber nicht vor 2012 voll einsatzfähig sein. Daimler entwickelt diesen Fahrsimulator. Wir sollten im Winter einen großen Schritt damit machen. Das geht nur in Eigenregie. Diese Technik kann man nicht auf dem Markt kaufen."
Die Entwicklungsarbeit im Mercedes-Simulator absolviert derzeit weniger Schumacher selbst, sondern Ex-Honda-Testfahrer Anthony Davidson. Der Brite berichtet regelmäßig über 'Twitter', dass er derzeit am Mercedes-Simulator in Brackley arbeitet. Davidson, der auch 2011 im Peugeot-Kader für Le Mans steht, ist dabei keineswegs als "Schumacher-Simulator-Ersatzmann" im Einsatz. Der Brite erledigte die Arbeit in Brackley schon zu Honda- und Brawn-Zeiten - er macht einfach nur seinen Job weiter.