• 20.07.2007 19:45

  • von Michael Noir Trawniczek

Wurz: Das Geheimnis des Qualifyings

Alexander Wurz erklärt, auf welche Nuancen es im Qualifying ankommt, und verrät, warum in den Williams-Briefings nur über Funk kommuniziert wird

(Motorsport-Total.com) - Am Samstag werden die Fans von Alex Wurz wieder kräftig die Daumen drücken - doch der Kampf im Mittelfeld ist knallhart. Der Unterschied zwischen Platz zwölf und Platz 17 ist oft nur marginal; ersteres jedoch bedeutet den Aufstieg in die nächste Qualifyingsession, letzteres heißt: aussteigen, sich mit einem Startplatz im hinteren Teil der Qualifyingsession abfinden.

Titel-Bild zur News: Alexander Wurz

Der Kampf gegen die Uhr war bisher Alexander Wurz' Schwachpunkt

"Warum fährt er nicht früher raus?", fragt sich dann so mancher Fan. Und: "Wer bestimmt eigentlich, wann er rausfahren muss?" Und noch etwas ist von Belang: Wurz erklärte als einer von wenigen offen und ehrlich, dass es, wie das bei Menschen üblich ist, auch auf die Tagesverfassung ankommt, selbst in der vom Perfektionismus beherrschten Formel 1 - nur: Wie viel macht die Tagesverfassung dann aus? Eine Zehntelsekunde? Eine Sekunde?#w1#

Ein Bilddokument von einem Debriefing im Williams-Transporter zeigt die beiden Crews wie bei einer Mondlandung mit Kopfhörern sitzend - ein seltsam anmutendes Szenario. Wie verläuft so ein Debriefing? Wird hier wirklich über Kopfhörer kommuniziert?

Tagesverfassung wichtiger als man denkt

Frage: "Alexander, du hast als einer von wenigen gesagt, dass es auch auf die Tagesverfassung ankommt. Wie groß schätzt du diesen Unterschied ein? Kann man das messen, kann man das so genau sagen?"
Alexander Wurz: "Naja, wenn du einen ganz üblen Tag hast, dann können das schon vier oder fünf Zehntelsekunden sein. Eine Zehntelsekunde ist schnell einmal drin - das ist immer so im Spitzensport, wo es sehr darauf ankommt, was in deinem Kopf vor sich geht."

Frage: "Vier, fünf Zehntel - das ist in der Formel 1 eine große Zeiteinheit."
Wurz: "Ja, riesig. Aber das wäre wie gesagt im schlechtesten Fall. Im Normalfall handelt es sich aber um ein oder zwei Zehntelsekunden."

Frage: "Es gibt ein Foto von einem Debriefing im Williams-Transporter, das sieht sehr seltsam aus, ein bisschen wie bei der NASA. Da tragen alle Kopfhörer, jeder sitzt an einem Tisch, auf der einen Seite Nico Rosberg und seine Ingenieure, auf der anderen du und deine Crew beziehungsweise auch der Technikchef und ganz vorne steht Patrick Head und scheint das alles zu dirigieren. Kannst du unseren Lesern erklären, wie so ein Debriefing abläuft? Ihr kommuniziert da also tatsächlich über Kopfhörer?"
Wurz: "Als ich zu Williams gekommen bin, habe ich mich zunächst auch geschreckt, dass wir da alle mit Kopfhörern sitzen bei der Besprechung. Aber das hat sich im Nachhinein als viel besser erwiesen als bei allen Teams, bei denen ich zuvor war."

"Erstens spricht immer nur einer und es ist ganz militärisch und damit auch diszipliniert. Es gibt keine Diskussionen am Funk, es gibt immer nur einer seinen Kommentar ab. Es wird zudem auch immer aufgezeichnet. Das heißt, wann immer du etwas wissen willst - zum Beispiel vom zweiten Freien Training, das können auch fünf Jahre alte Aufzeichnungen sein - gehst du in den Williams-Server und kannst dir das anhören. Das heißt: Du kannst dir Aufzeichnungen zu Problemen, die schon einmal aufgetaucht sind, ganz gezielt noch einmal anhören. Und hast halt kein akustisches Problem mehr, wenn irgendwelche Jetfighter über dem LKW herfliegen oder wenn draußen irgendwelche Propagandaparaden abgehalten werden. Das ist dir alles egal, weil du durch den Funk alles ganz genau hörst."

Nur Williams kommuniziert über Funk

Frage: "Machen das alle Teams so?"
Wurz: "Nein, ich glaube, dass wir die Einzigen sind."

Frage: "Morgen werden dir wieder die Fans die Daumen drücken im Qualifying. Wer bestimmt, wann du rausfährst? Wer ist verantwortlich, wenn du in den Verkehr kommst?"
Wurz: "Das bestimmt immer das Team, der Fahrer sitzt im Auto - du hast nichts anderes zu tun als dich zu konzentrieren. Du kannst natürlich auf den Bildschirm schauen, aber die Informationen, die du brauchst für das Rausgeschicktwerden - für den Verkehr, wann der richtige Zeitpunkt ist -, das kann nur das Team entscheiden. Weil die sitzen auf der Kommandobrücke, haben alle Zeitenmonitore und beobachten alle anderen Fahrer. Das ist deren Job."

Frage: "Du könntest also auch kein Veto einlegen und beispielsweise sagen: 'Schaut her, da sind jetzt so viele Fahrer vor mir!'"
Wurz: "Nein, da hast du als Fahrer null Übersicht. Du wirst rausgeschickt. Du kannst - wenn du draußen bist - ein bisschen Zeit gutmachen mit einer schnellen oder einer langsamen Einführungsrunde. Nur: Zu langsam kannst du nicht fahren, da du sonst keine Reifentemperatur mehr hast. Das heißt: Du bewegst dich da in einem Zeitfenster von fünf Sekunden. Wenn sie dich schlecht rausschicken, was sie ja nicht mit Absicht tun, was aber jederzeit passieren kann, weil sie ja auch nicht wissen können, wann beispielsweise fünf andere Piloten gleichzeitig rausfahren oder weil manche Piloten ja gleich zwei schnelle Runden fahren, kannst du da nur noch sehr wenig tun. Das ist also wirklich schwer zu kalkulieren. Wir hatten das zum Beispiel schon einmal in Barcelona, dass wir innerhalb von 200 Metern sechs Autos waren. Dass das im Qualifying nicht gutgehen kann, ist völlig klar."

Frage: "Stellt diese Kalkulation nur eine einzelne Person an oder sind das mehrere Ingenieure, die dafür verantwortlich sind?"
Wurz: "Das weiß ich nicht genau, aber ich glaube, dass es mehrere machen."

So spät wie möglich rausfahren

Frage: "Manche Fans fragen dann, warum du nicht einfach früher rausgefahren bist. Welchen Unterschied macht es aus, ob ich nach fünf oder nach zehn Minuten raus fahre?"
Wurz: "Der Unterschied ist sehr groß. Und es besteht halt immer auch die Gefahr, dass zum Beispiel eine rote Fahne geschwenkt wird, dass also die Session unterbrochen wird. Dass du also bei einer roten Fahne noch einmal eine Einführungsrunde fahren musst. Oder dass du bei der Waage angehalten wirst, wo du drei bis vier Minuten verlierst. Und du musst aber möglichst spät rausfahren. Da hast du nicht viel Flexibilität."

"Aber wenn zum Beispiel fünf oder sechs Autos vor dir rausfahren - dann sind das ein oder zwei Zehntel. Von den ersten 15 Minuten zu den zweiten 15 Minuten hast du aufgrund des Gummiabriebs eine Steigerung von fünf Zehntelsekunden bis zu einer Sekunde. Die Strecke wird von ganz allein immer schneller - du brauchst nichts anderes zu tun als herumzufahren und du wirst automatisch aufgrund des Gummiabriebs immer schneller, weil die Haftung immer besser wird. Man kann das mit Skispringern vergleichen: Wenn es schneit, ist der Erste, der durch die Spur fährt, um vier km/h langsamer und wird nie so weit hüpfen. Je mehr dann die Spur freigefahren wird, desto schneller wird sie."

"Bei uns ist es die chemische Reaktion zwischen dem Reifen, also dem Gummi und dem Asphalt. Je mehr Gummi auf den Asphalt kommt, desto besser ist diese chemische Reaktion und desto größer ist die Haftung. Jeder Reifen, speziell wenn er neu ist, hinterlässt auf dem Asphalt diesen Gummiabrieb, und das wirkt dann wie Klebstoff und macht dich schneller. Würdest du um fünf Minuten früher rausfahren, würdest du zwei bis drei Zehntel verlieren, und das kannst du eigentlich nicht mehr aufholen. Das kann sich ein Spitzenfahrer leisten, dessen Auto um eine Sekunde schneller ist. Dem ist das egal - der kann auch früher rausfahren, der will nur keinen Verkehr haben."

Frage: "Zwei, drei Zehntel Steigerung ist schon viel..."
Wurz: "Und zwar innerhalb von nur fünf Minuten, das ist schon gewaltig."