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Wolff vor Gipfeltreffen: "Das kapiere ich nicht"

Vor dem Dreier-Gipfeltreffen in Bahrain ärgert sich Mercedes-Sportchef Toto Wolff über die Äußerungen der Konkurrenz: "Finde diese ganze Diskussion absurd"

(Motorsport-Total.com) - In Bahrain kommt es morgen zu einem von Ferrari initiierten Gipfeltreffen zwischen Scuderia-Präsident Luca di Montezemolo, Formel-1-Geschäftsführer Bernie Ecclestone und FIA-Präsident Jean Todt. Ferrari zählt bekanntlich zu den schärfsten Kritikern des neuen Reglements der Königsklasse des Motorsports, welches auch von den Fans heiß diskutiert wird. Ferrari hat seine Position im Vorfeld des Treffens mit einer (selbst durchgeführten) Umfrage untermauert, wonach 83 Prozent von 50.000 befragten Fans vom Format der neuen Formel 1 enttäuscht seien.

Titel-Bild zur News: Toto Wolff

Toto Wolff kann die Kritik von Ferrari und Red Bull nicht nachvollziehen Zoom

Dass ausgerechnet jene beiden Teams am lautesten gegen die neuen Regeln protestieren, die sportlich weit hinter ihren Erwartungen geblieben sind, stößt wiederum beim aktuellen Branchenführer Mercedes auf Unverständnis. Ob ein Vertreter der Silberpfeile beim morgigen Treffen anwesend sein wird, entzieht sich unserer Kenntnis; auf Anfrage von 'Motorsport-Total.com' betonen die meisten Teams abseits von Ferrari und Red Bull jedoch, keine Einladung zu dem Gipfeltreffen erhalten zu haben.

Montezemolo kritisiert die neue Formel 1 unter anderem als Taxifahren, als reinen Economy-Run, schlägt vor, die Renndistanz zu verkürzen, damit die Teams mit ihrem Benzin nicht mehr so streng haushalten müssen. Mercedes zeigt dafür kein Verständnis: "Das Interessante ist, dass einige Motorenhersteller und Teams sagen: 'Wir haben es nicht hinbekommen, unser Auto mit 100 Kilogramm effizient und schnell zu machen. Also packen wir zehn Kilogramm drauf. Sorry, wir haben unsere Hausaufgaben nicht erledigt.' Ich finde diese ganze Diskussion absurd", sagt Sportchef Toto Wolff.

Vorbereitete Notizen beim Pressetermin

Am Samstagabend trat der Österreicher mit schriftlich vorbereiteten Notizen vor die Presse, in offensichtlicher Erwartung von Fragen zum Thema Gipfeltreffen. Dass Ferrari & Co. die Formel 1 momentan so madig reden, stößt ihm sauer auf: "Wir befinden uns in einer brillanten technischen Revolution und reden den Sport schlecht. In Großbritannien gibt es, wie Pat Symonds sagt, ein Sprichtwort: 'Doing a Ratner.' Und dann sollen ausgerechnet wir eine Agenda haben? Das kapiere ich nicht."

"Sie wissen doch, dass wir nur acht Zehntelsekunden hinter Pole-Position-Zeit des Vorjahres sind. Acht Zehntelsekunden mit einem Auto, das um 25 Prozent weniger Anpressdruck hat, mit viel härteren Reifen. Wir stehen ganz am Saisonbeginn. Mit einem um 30 Prozent effizienteren Auto, was den Benzinverbrauch angeht, mit mehr Leistung und mehr Drehmoment, mit einer höheren Höchstgeschwindigkeit - und das trotz des zusätzlichen Gewichts. Worüber reden wir hier also eigentlich?"

"Worüber reden wir hier also eigentlich?" Toto Wolff

Immerhin muss sich Mercedes keine Sorgen machen, dass der aktuelle Leistungsvorsprung schon 2014 durch eine Regeländerung verloren gehen könnte, denn jede Regeländerung während der laufenden Saison erfordert die Zustimmung aller Teams. Selbst wenn sich Ferrari, Ecclestone und Todt in Bahrain einig werden sollten, dass etwas geändert werden muss, hat Mercedes ein Vetorecht. Frühestens 2015 könnte das Reglement theoretisch wieder über den Haufen geworfen werden.

Todt stellt sich auf die Seite von Mercedes

"Es gibt ein klares Rahmenwerk an technischen und sportlichen Regeln. Jeder weiß, was dieses Rahmenwerk ist", betont Wolff. "Wenn für nächstes Jahr etwas geändert werden soll, muss es bis 30. Juni passieren. Das ist der Prozess." Doch die FIA scheint ohnehin nicht gefährdet zu sein, Ferraris Anliegen zu unterstützen: "Mir kommt es so vor, als nutzen einige Herren ihre Kritik dazu, um Politik in eigener Sache zu machen", wird Todt von 'auto motor und sport' zitiert.

"Hat sich einer der Wettbewerber beschwert, als Red Bull vergangenes Jahr alles gewonnen hat? Mercedes, Renault und Ferrari wissen seit fünf Jahren, welche Motoren auf sie zukommen. Dabei hat Mercedes einfach einen besseren Job gemacht. So etwas passiert im Motorsport", unterstreicht er. Volle Zustimmung kommt aus dem McLaren-Lager: "Warum will Ferrari plötzlich die Regeln ändern? Weil sie in der Startaufstellung hinter uns stehen?"

Boullier: Änderungen frühestens 2015

Teamchef Eric Boullier findet, dass "jeder Vorschlag auf den Tisch kommen und diskutiert werden" sollte, zum Beispiel "kürzere Rennen, längere Rennen, was auch immer. Aber das während der Saison zu ändern, finde ich etwas hart, denn wir alle haben uns auf diese Regeln geeinigt. Es gibt festgelegte Prozeduren. Ferrari hatte die gleiche Aufgabenstellung wie Mercedes, und das schon vor langer Zeit. Ich diskutiere gerne über alles, aber nicht während der Saison."

Besonders im Antriebsbereich haben Ferrari und Red Bull einen eklatanten Wettbewerbsnachteil, der noch dazu eingefroren ist, weil an der Motoren-Hardware in diesem Jahr nichts mehr geändert werden darf. Dass sie nun Lobbying für eine Regeländerung betreiben, ist zwar einerseits verständlich, die Ehrenhaftigkeit der Motive hinter der Reglementkritik wird aber von vielen bezweifelt. Zuletzt hatten einige Topteams während der Saison 2013 eine Änderung der Reifen, mit denen andere besser zurechtkamen, erwirkt.

"Wenn jemand die Regeln ändern will, dann geht das erst nächstes Jahr." Toto Wolff

Wolff wünscht sich in diesem Zusammenhang wenigstens ein ehrliches Auftreten der Konkurrenz: "Wenn das die Agenda ist, dann sollten wir nicht den Sport als Ganzes schlechtreden, sondern dann sollten sie sagen: 'Mercedes hat einen besseren Job gemacht und ihr Motor ist effizienter, oder was auch immer.' Die Regeln stehen fest und wurden vor langer Zeit beschlossen. Wenn jemand sie ändern will, dann geht das erst nächstes Jahr." Nachsatz: "Aber ich glaube nicht, dass das passieren wird."

Zweite Saisonhälfte 2013 für 2014 geopfert

"Wir haben haben versucht, uns sehr sorgfältig vorzubereiten. Wir hatten im vergangenen Sommer die Situation, dass wir vor der Entscheidung standen, ob wir den V8-Motor weiterentwickeln wollen. Da ging es darum, die Steuerungselektronik so gut wie Red Bull zu meistern. Oder packen wir lieber den 2014er-Motor auf den Prüfstand? Wir haben uns für den 2014er-Motor entschieden. Daher waren wir ziemlich früh dran, aber dafür sind wir in der zweiten Saisonhälfte einen Kompromiss eingegangen", argumentiert er.

Überhaupt komme die Kritik an der neuen Formel 1 nach nur zwei Grands Prix viel zu früh: "Wir haben jetzt das zweite Rennen gefahren - und dann wird groß geheult, was alles falsch ist", gibt Wolff zu Protokoll. "Ich glaube, man muss einmal die ersten Rennen abwarten, dann muss man nach China gehen, nach Barcelona gehen und nach Monaco, und dann wird man wahrscheinlich sagen können: Wo hakt es, was müssen wir anpassen?"

Jean Todt

FIA-Präsident Todt ist schon am Samstag im Fahrerlager in Bahrain angekommen Zoom

"Wenn wir es anpassen müssen, dann müssen wir es für nächstes Jahr anpassen, dann müssen wir die Regeln so gestalten - und nicht in erratisches Agieren verfallen, denn das macht den Sport noch unglaubwürdiger. Darunter haben wir in den letzten Monaten schon gelitten", fährt er fort. FIA-Präsident Todt stimmt gegenüber 'auto motor und sport' zu: "Wie kann man schon nach zwei Rennen ein Urteil fällen? Es kommt mir so vor, als würden George Lucas und Brad Pitt ihre nächsten Filme schlechtreden, nach dem Motto: Geht nicht ins Kino."

Dass sich mit Ecclestone, Montezemolo und Weltmeister Sebastian Vettel ("Shit") drei einflussreiche Player in aller Deutlichkeit zum neuen Formel-1-Reglement geäußert haben, kommt bei der FIA übrigens ebenso schlecht an wie bei Mercedes. "All diese großen Jungs haben sehr wichtige und mächtige Stimmen", sagt Wolff, ohne sich konkret auf Personen zu beziehen. "Manchmal habe ich das Gefühl, dass einige die Macht ihrer Terminologie unterschätzen."

"Der Grund, weshalb wir in diesem Sport sind, ist, dass wir glauben, dass die Formel 1 eine mega Sport-Plattform ist - der Weg, wie wir unsere Marke präsentieren wollen. In unserem Fall als dynamische, sportliche, effiziente Hightech-Marke", begründet der Mercedes-Sportchef. "Warum sollten wir unseren Sport schlechtreden wollen? Das wäre ja so, als würden wir sagen, dass unsere Autos nicht gut sind."

"Warum sollten wir unseren Sport schlechtreden wollen? Das wäre ja so, als würden wir sagen, dass unsere Autos nicht gut sind." Toto Wolff

"Wir müssen die Fans anhören", meint er weiter. "Das Argument des Lärms halte ich für ein sehr wichtiges Argument. Fragt man zehn verschiedene Leute, hört man zehn verschiedene Meinungen. Ich halte es für wichtig, dass wir daran arbeiten, wenn das ein Problem ist, dass wir verstehen, was wir unternehmen können. Aber das ist ein genau definiertes Thema und betrifft nicht den Sport als Ganzes", stellt sich der Österreicher gegen die Pauschalkritik aus manchen Ecken des Paddocks.

Dominanzen hat es schon oft gegeben

"Wir müssen verstehen, was die Fans stört. Ist es der Lärm? Dann müssen wir den Lärm ändern. Ist es, dass die Rennen langweilig geworden sind, weil ein Team dominiert? Dieses Phänomen hatten wir die vergangenen 20 Jahre. War es langweilig, dass Sebastian die neun letzten Rennen hintereinander gewonnen hat? Sicher ist es langweiliger, wenn jemand alles gewinnt. Das sehe ich auch als Fan. In dem Fall natürlich nicht ganz objektiv."

Denn dass Mercedes den aktuellen Vorsprung ebenso wenig aus der Hand geben möchte, wie Ferrari & Co. darauf spitzen, diesen zu vernichten, liegt in der Natur der Sache. Die nächste Gelegenheit dazu kommt spätestens 2015 - zumindest was den Antrieb betrifft. "Nächstes Jahr werden die Motoren neu homologiert", so Wolff. "Jeder wird alles daran setzen, die Motoren zu verbessern, und vielleicht verlieren wir dadurch einen Teil dieses Vorteils. 2015 hat schon begonnen."


Fotos: Großer Preis von Bahrain, Samstag