• 16.08.2006 14:03

Wo ein "Ville" ist, ist auch ein Weg?

Jacques Villeneuve hatte den Willen, bei BMW Aufbauarbeit zu leisten, doch nun steht der Ex-Weltmeister ohne Cockpit da - ein Blick zurück

(Motorsport-Total.com) - Er kam als Goldjunge in die Formel 1: In seinem allerersten Qualifying in der Königsklasse stellte Jacques Villeneuve 1996 in Australien seinen Williams-Renault auf die Pole Position. Im ersten Anlauf den ersten Startplatz zu holen, das war vor ihm nur Mario Andretti und Carlos Reutemann gelungen.

Titel-Bild zur News: Jacques Villeneuve

Keine Pressekonferenz, nichts - Villeneuves Abgang war unfreiwillig

Als Neuling kämpfte Villeneuve in jenem Jahr sofort um die Weltmeisterschaft und wurde der härteste Konkurrent seines Teamkollegen Damon Hill. Nur eine fehlerhaft montierte Ölleitung vermochte den jungen Kanadier davon abzuhalten, damals in Melbourne seinen allerersten Formel-1-Grand-Prix als Sieger zu beenden.#w1#

Senkrechtstarter aus Kanada

Im vierten Anlauf gelang der erste Sieg. Drei weitere folgten in der Saison 1996, außerdem zwei weitere Pole Positions und sechs schnellste Rennrunden. Nur ein Jahr später wurde Villeneuve Weltmeister. Wer hätte damals gedacht, dass Villeneuve anschließend an diese Erfolge niemals mehr anknüpfen kann?

Schumacher und Villeneuve

Jerez 1997: Michael Schumacher rammt WM-Rivale Jacques Villeneuve Zoom

Die Art und Weise, wie er Michael Schumacher 1996 im portugiesischen Estoril in der letzten Kurven auf der Außenbahn überholte und das Manöver, das in 'Dry Sack', der Kurve sechs in Jerez, zu der umstrittenen Kollision führte und Villeneuve zum Meister machte, zählen zu den berühmtesten und am heißesten diskutierten Aktionen der jüngeren Grand-Prix-Geschichte.

Anpassung war für Villeneuve schon immer ein Fremdwort

Villeneuve hat sich um Angepasstheit nie geschert. Schon zu seiner Formel-3-Zeit gab er außerhalb des Cockpits nicht den smarten Athleten. Er trug einen langen Pferdeschwanz, Nickelbrille, Sandalen und einen verschmitzten Charme.

Jacques Villeneuve

Ob rot, blau, schwarz oder blond - Villeneuve hatte stets neue Ideen Zoom

Der Medienrummel in der Formel 1 brachte unvermeidlich die häufig wiederkehrenden Fragen nach seinem berühmten Vater mit sich. Ob er denn in die Fußstapfen der Lichtgestalt Gilles Villeneuve treten wolle, jenes Ferrari-Piloten der späten 70er und frühen 80er Jahre, der im Mai 1982 im Training zum Großen Preis von Belgien in Zolder tödlich verunglückt war. Doch der junge Villeneuve diktierte nicht die begehrten glorifizierenden und romantischen Sätze in die Notizbücher, die entsprechend enttäuscht weggepackt wurden.

Stattdessen sagte er mit verblüffender Direktheit exakt das, was er dachte. Diese kompromisslose Aufrichtigkeit hat ihm mehr als einmal Ärger eingebrockt. Vor allem dann, wenn er sich bezüglich der Sporthoheit FIA kein Blatt vor den Mund nahm. Vor dem Großen Preis von Kanada 1997 wurde er aus der Heimat zur FIA nach Paris zitiert - kurz vor dem Rennen auf jener Strecke in Montréal, die den Namen seines Vaters trägt und wo auch der junge Villeneuve eine große Anhängerschaft hat.

Einer der letzten Rebellen der Formel 1

In Montréal im Staate Quebec wird überzeugt Französisch gesprochen. Dass Villeneuve bei der Namensgebung seines Restaurants, ein In-Lokal in der quirligen Innenstadt, ausgerechnet die englische Übersetzung 'Newtown' wählte, wirkte wie Rebellion. Villeneuve kratzt so etwas nicht: "Ich habe immer meine Meinung gehabt und gesagt. Ich bin einfach so erzogen worden, zu sagen, was ich fühle. Weshalb sollte ich mich anders verhalten?"

Wie der Vater, so der Sohn

Jacques Villeneuve

Jacques Villeneuve liebte das Risiko - auf und abseits der Formel-1-Strecke Zoom

Ehrlichkeit und Ehre sind ihm wichtig, zwei Säulen seines Charakters. Oft wird er als Außenseiter beschrieben. Aber wer einmal verstanden hat, was ihm wichtig ist, erhält ein stimmiges Bild. Abgesehen von seiner freien Meinungsäußerung pflegt er im Sport auch ethische Werte, auf die sein Vater wohl stolz gewesen wäre. Für beide, Vater und Sohn, schien die Art und Weise, wie man in einem Rennen kämpft, oft wichtiger als das Resultat.

Und wie sein Vater war auch für Jacques Villeneuve immer ein zentrales Thema, wie man seine Position im Rennen verteidigt. Korrektheit und Fairness gehören zu seinem Selbstverständnis als Rennfahrer. Man wird in seiner langen Karriere mit elf Siegen und einem Weltmeistertitel schwerlich eine unsportliche Attacke gegen einen Konkurrenten finden.

Villeneuve ging eigene Wege mit dem Setup

Ebenso klare Vorstellungen hatte Villeneuve davon, wie sein Auto abgestimmt zu sein hatte. Er arbeitete gern und eng mit den Ingenieuren zusammen, auch wenn er um die elektronischen Helferlein in seinem Auto am liebsten einen Bogen gemacht hätte. In seiner Zeit bei Williams eckte er mit seinen Ideen an, aber er war unbestreitbar schnell und stark, wenn er seinen Willen durchgesetzt hatte.

Warum Freundschaft und Business getrennt werden sollten...

Das letzte Jahr bei Williams war nicht von Erfolg gekrönt. Renault hatte den Rennstall als Werkspartner verlassen. Fuhr Villeneuve im Vorjahr noch 81 WM-Punkte ein, waren es ein Jahr später nur noch 21. Dem Auto fehlte es an Konkurrenzfähigkeit, mehr als zwei dritte Plätze waren für den Kanadier nicht drin.

Jacques Villeneuve

Die Zeit bei BAR brachte Villeneuve nicht die erwünschten Ergebnisse ein Zoom

Ende 1998 verließ Villeneuve Williams. Es zog ihn zu dem gerade auf dem alten Fundament des Tyrrell-Teams gegründeten Team BAR. Seine Kritiker sagten, er habe das nur des Geldes wegen getan. Für Villeneuve spielte die Loyalität zu seinem langjährigen Freund und Manager Craig Pollock die größere Rolle. Er glaubte an Pollocks Traum und war mutig genug, ihm zu folgen. Chancen zu ergreifen, etwas Neues zu wagen und auszuprobieren, das liegt ihm.

Mit dieser Courage hatte er sich bereits in den US-Rennsport gestürzt und 1995 die 500 Meilen von Indianapolis sowie den Titel in der IndyCar-Serie gewonnen. So fährt er Ski, und selbst die Vielfältigkeit der Musik, die er hört, reflektiert die Offenheit für Unterschiedliches und Neues.

Villeneuves Zeit bei BAR war eine herbe Enttäuschung. Das junge Team hatte noch viele Formel-1-Lektionen zu lernen, zahlreiche Ausfälle und schwere Unfälle hatte "JV" wegzustecken. Es gab ein paar Podiumsplätze, zwei Mal wurde Villeneuve Dritter, aber mehr Enttäuschungen für einen Rennfahrer, der bewiesen hatte, dass er das Zeug zum Champion hat. Die größte Frustration kam zum Schluss: Ende 2003, noch vor dem Finale in Japan, hatte Villeneuve das Team verlassen, nachdem er von Teamkollege Jenson Button entzaubert worden war.

Jacques Villeneuve

Der Auftritt mit Renault war für Villeneuve eine lehrreiche Erfahrung Zoom

Nachdem er fast die gesamte Saison 2004 Zuschauer gewesen war, fuhr er noch die letzten drei Rennen als Teamkollege von Fernando Alonso bei Renault - jedoch ohne Erfolg, eine Ergebnisliste mit einem elften und zwei zehnten Plätzen war eine herbe Enttäuschung. Zuvor hatte Villeneuve zum Glück schon einen Zweijahresvertrag bei Peter Sauber ab 2005 unterschrieben.

Katastrophales Comeback Ende 2004 und Anfang 2005

Peter Sauber und Jacques Villeneuve

Jacques Villeneuve ist Peter Sauber bis heute für seine Chance dankbar Zoom

Auch ein ehemaliger Weltmeister steckt eine Auszeit nicht einfach so weg. 2005 wurde vor allem die erste Saisonhälfte schwierig. Die Weiterentwicklung des Sauber C24 brauchte ihre Zeit, oftmals verschleierten auch unterschiedliche Tankstrategien für Villeneuve und seinen jungen Teamkollegen Felipe Massa in Qualifying und Rennen den direkten Vergleich. In San Marino wurde er respektabler Vierter und in Belgien Sechster.

Aber Villeneuve war nicht daran gelegen, persönliche Defizite zu verbergen: "Das Herz vergisst, wie man mit dem hohen Speed umgeht", erklärte er, als er nach seiner Fitness gefragt wurde. "Wenn man wieder richtig schnell fährt, geht der Puls anfangs um 20 Schläge oder mehr nach oben. Erst mit der Gewöhnung pendelt er sich wieder auf eine gute Frequenz ein."

Villeneuve steckte im Kritik-Sumpf der Medien fest

Jacques Villeneuve

Jacques Villeneuve versuchte, die Kritik an sich abprallen zu lassen Zoom

Es folgte harte Kritik in den Medien und Gerüchte, er würde seinen Platz verlieren, noch ehe die Saison vorbei sei. Villeneuve verkraftete beides mühelos: "Das ist in Ordnung", sagte er, "ich habe in diesen Dingen jahrelanges Training. Man lernt, nicht zu lesen, was über einen geschrieben wird. Es ist viel besser, es nicht zu tun."

"Wenn ich es nicht gesehen habe, kann ich mich auch nicht darüber aufregen. Solange ich hart arbeite und es intern keine Probleme gibt, interessiert mich nicht besonders, was in der Zeitung steht. Ich fahre Rennen, weil ich den Rennsport und den Wettbewerb liebe. Ich mag nicht hinterherfahren, also arbeite ich immer so hart wie ich kann, um weiter nach vorn zu kommen."

Eine Ehe unter keinen guten Vorzeichen

Jacques Villeneuve

Bei der BMW Präsentation war "Harry Potter" Villeneuve noch optimistisch Zoom

Für 2006 sah Villeneuve bessere Perspektiven. Nach dem Kauf des Sauber-Teams saß der Kanadier plötzlich in einem Werksauto, auch wenn er natürlich wusste, dass einiges an Aufbauarbeit vor dem Team lieg. Aber Villeneuve war im Winter davon überzeugt, dass er noch das Zeug dazu hat, um in dem Sport, den er liebt, vorne zu sein: "Wenn ich das nicht fühlen würde", sagt er, "würde ich zuhause bleiben."

Als Teamkollege von Nick Heidfeld holte Villeneuve in dieser Saison sieben WM-Punkte, bei Heidfeld waren es derer 13, im Qualifying-Duell bezwang der Kanadier seinen Teamkollegen knapp. BMW Motorsport Direktor Mario Theissen schmierte Villeneuve nach der Übernahme des Sauber-Teams keinen Honig um den Mund. Dennoch klebte der Vertrag zwischen Sauber und Villeneuve am Kaufvertrag des Sauber-Teams mit BMW.

Am 7. August gab das BMW Sauber F1 Team die Trennung von Villeneuve bekannt. Dass sie eines Tages kommen würde, war den meisten Insidern klar, auch wenn Theissen in der Zwischenzeit auch lobende Worte über Villeneuve in die Mikrofone der Weltpresse schickte. Aber dass sie fünf Rennen vor dem Saisonende plötzlich erfolgte, war überraschend.

Jacques Villeneuve

Das war die einzige "Hoch-Zeit" für Villeneuve in diesem Jahr... Zoom

BMW sah Villeneuve ganz offensichtlich nur als Notnagel für 2007 an, sollte man keinen guten Fahrer wünschen. Nach Villeneuves Unfall in Hockenheim setzten die Bayern in Ungarn Testfahrer Robert Kubica ein ohne seinem Stammfahrer die Garantie zu geben, dass er sein Cockpit nach erfolgreicher Genesung wieder erhält. Das war Villeneuve zu viel, was dann zur einvernehmlichen Trennung führte-

"Das Team ist dabei, die Optionen für das nächste Jahr zu prüfen und hat nach Jacques' Unfall in Hockenheim entschieden, Robert Kubica im Renneinsatz beobachten zu wollen", ließ Theissen damals per Pressemitteilung mitteilen. "Dies hat natürlich auch Einfluss auf Jacques' Position für den Rest der Saison. Wir haben volles Verständnis dafür, dass es für Jacques schwierig ist, in dieser ungewissen Situation sein Engagement aufrechtzuerhalten. Wir respektieren seine Entscheidung und wünschen ihm alles Gute für seine Zukunft."

Der Rennfahrer mit den übergroßen Rennanzügen reagierte auf die Bekanntgabe enttäuscht: "Dies ist wirklich enttäuschend, denn ich hatte mich darauf gefreut, langfristig mit BMW zusammenzuarbeiten, in die kommende Saison zu gehen und dort von unseren gemeinsamen Erfahrungen zu profitieren."

Ein unwürdiger Abgang eines Ex-Champions

Jacques Villeneuve

Jacques Villeneuve : Ein Abschied aus der Formel 1 für immer? Zoom

Die Trennung von BMW könnte gleichzeitig das Ende der Formel 1-Karriere des Kanadiers bedeuten. Manager Yan Lefort beziffert die Chancen auf ein Comeback in der Formel 1 auf 50 Prozent. Mit seinen 35 Jahren gehört Villeneuve zum "alten Eisen". Als Alternative hat Villeneuve einen NASCAR-Vertrag in Aussicht, zudem wird er mit einem Le Mans-Projekt in Verbindung gebracht. Der Vertrag mit BMW wurde in der Zwischenzeit aufgelöst, angeblich für rund 4,7 Millionen Euro.

Folgen Sie uns!

Folge uns auf Facebook

Werde jetzt Teil der großen Community von Motorsport-Total.com auf Facebook, diskutiere mit tausenden Fans über den Motorsport und bleibe auf dem Laufenden!