• 31.03.2011 19:12

  • von Sven Haidinger & Dieter Rencken

Wie Pirelli die Herkulesaufgabe löste

Warum die Rallye-WM der Auslöser für den Formel-1-Einstieg war, wieso Pirelli an der Reifenpanik keine Schuld trifft und wieso man sich nicht anstecken ließ

(Motorsport-Total.com) - Viele Insider hatten für Melbourne Chaos prognostiziert: Die Pirelli-Reifen erwiesen sich bei den Wintertests als wenig haltbar, Rennen mit bis zu fünf Boxenstopps wurden befürchtet. Dass Sergio Perez schließlich mit nur einem Stopp durchkam, ist eine Sensation, aber bei weitem nicht die einzige an der Reifenfront. Bei näherer Betrachtung wird nämlich klar, welche Herkulesaufgabe der italienische Reifenkonzern in nicht einmal zehn Monaten erfolgreich bewältigt hat.

Titel-Bild zur News:

Die Pirelli-Reifen haben sich beim Formel-1-Comeback in Melbourne bewährt

"Im Juni mussten wir zwar nicht mit einem weißen Blatt Papier beginnen, aber wir mussten ein Werk neu aufbauen, ein Team zusammenstellen, den Reifen designen und entwickeln, ein Logistiksystem auf die Beine stellen", schildert Pirellis Sportchef Paul Hembery die schwierige Ausgangslage. Ein extrem kurzer Zeitraum, wenn man vergleicht, dass Bridgestone beim Vorjahres-Reifen auf über zehn Jahre Entwicklungszeit zurückgreifen konnte.

Doch warum begann Pirelli so spät mit der Entwicklung? Hembery erinnert sich gegenüber 'Autosport' an seinen Besuch beim Kanada-Grand-Prix im Juni, als er den Teams die Ambitionen seiner Firma präsentierte: "Es waren komplizierte Zeiten. Wir wendeten uns an die relevanten Interessensgruppen, also die Teams und Bernie, um zu verstehen, was sie sich von diesem Sport erwarten. Dann haben wir verglichen, ob sich dies mit unseren Ambitionen deckt."

Pirelli drängte auf rasche Entscheidung

Erst im Juni setzte sich Pirelli dann gegen Michelin und gegen die Interessen von FIA-Boss Jean Todt durch, der auf Seiten der Franzosen war. Hembery klagt: "Die Entscheidung fiel im späten Juni und damit viel zu spät. Wir hätten uns einige Monate früher eine Entscheidung gewünscht. Der Prozess war aber sehr komplex. Wir mussten dafür sorgen, dass alle in die gleiche Richtung arbeiten. Und wenn man dann noch die FIA mit einbezieht, dann handelt es sich um drei Gruppen. Es war sehr hart, diese drei Gruppen zu einer Einigung zu bringen."

"Wir hätten uns einige Monate früher eine Entscheidung gewünscht." Paul Hembery

Der wahre Auslöser dafür, dass Pirelli nach zwei Jahrzehnten wieder Interesse an einem Formel-1-Einstieg zeigte, war eine Strategieänderung der Rallye-WM-Organisatoren im März. "Sie wollten keinen Ausrüster für drei Jahre", bestätigt der Brite, dem die Entscheidung schwer fiel, aus dem Rallyesport auszusteigen. "Wir waren so lange involviert, hatten großartige Arbeit geleistet und haben diese Zeit genossen. Doch trotz unserer Einigung auf einen Drei-Jahres-Plan teilte man uns plötzlich mit: 'Nein, es ist höchstens ein Ein-Jahres-Plan'. Daraufhin sagten wir: 'Wir sollten das dann noch einmal überdenken'."

Es war reiner Zufall, dass auch die Formel 1 zu diesem Zeitpunkt einen Alleinausrüster suchte. "Das hat dann zusammengepasst", so Hembery. So einfach, wie es klingt, war die Entscheidung aber nicht. "Wir waren aufrichtig entschlossen. Man muss so etwas ernst nehmen, weil es so ein großes Projekt ist. Es deckt alle Aspekte unseres Geschäftes ab: von der Fabrik bis zu dem, was man bei der Veranstaltung sieht - es ist ein riesiges Projekt. Aber wir sagten: Legen wir los!"

Hembery nach Melbourne stolz auf seine Truppe

Dass man nun nicht nur die Teams mit durchaus haltbaren Reifen verblüffte, sondern auch durch die großen Unterschiede zwischen den Mischungen für mehr Spannung und unterschiedliche Strategien sorgte, ist für Pirelli wie Balsam auf der zuletzt geschunden Seele. "Darauf sind wir stolz", gibt Hembery zu.

"Wir haben immer an unsere Daten und an unsere Arbeit geglaubt. Wie wir jetzt bewiesen haben: zurecht!" Paul Hembery

Auf dem Lorbeeren will man sich jetzt aber nicht ausruhen, zumal weitere Hürden warten. Mit Sepang kommt nun ein Hitzerennen auf Hembery & Co. zu: "In diesem Spiel musst du dich ständig verbessern", weiß der Brite. "Schon Malaysia ist eine neue Herausforderung, aber eine, die wir annehmen. Dort werden wir wieder viel lernen. Aber wenn ich mich so umhöre, dann erhalten wir viele Komplimente, was mich freut."

Dies steigert auch den Zusammenhalt in der Reifenfabrik in der Türkei. "Während der Wintertests haben einige noch Alarm geschlagen, aber die Wintertests können oft irreführend sein", sagt Hembery. "Wir haben immer an unsere Daten und an unsere Arbeit geglaubt. Wie wir jetzt bewiesen haben: zurecht!"